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CO2-neutral als Ziel © igorstar996/Depositphotos

Diese acht Fragen zum 2-Grad-Klimaziel warten auf Antworten

Red. /  Ist der Klimatraum von Paris ausgeträumt? Fossile Energien und mehr Menschen trieben das Wachstum an. Lässt sich das ändern?

upg. Diesen Beitrag mit den acht Fragen hatte der tödlich verunfallte Infosperber-Redaktor Hanspeter Guggenbühl Ende 2020 verfasst. Weil seine acht Fragen immer noch keine Antworten fanden, haben wir seinen Artikel aktualisiert.


Bis zum Jahr 1800 lebten weniger als eine Milliarde Menschen auf dem Planeten Erde. Trotz industrieller Revolution, die vor allem auf der Nutzung von Kohle basierte, dauerte es mehr als hundert Jahre, bis sich die Bevölkerung weltweit auf zwei Milliarden verdoppelte. Ein rasantes Wachstum setzte erst nach dem zweiten Weltkrieg ein, als die Menschheit begann, neben Kohle auch schnell wachsende Mengen an Erdöl und Erdgas auszubeuten: Allein von 1960 bis zur Jahrtausendwende verdoppelte sich die Weltbevölkerung von drei auf sechs Milliarden – und seither wächst sie jedes Jahr um weitere 1,2 Prozent – bis heute auf über acht Milliarden Personen. Allerdings ist diese starke Zunahme nicht allein auf den Einsatz der komfortablen fossilen Energieträger zurückzuführen, sondern auch auf technische, hygienische und medizinische Fortschritte.


Entwicklung von Bevölkerung, Wachstum und CO2-Ausstoss

Noch stärker als die Bevölkerung wuchs bis heute sowohl der Ausstoss des klimarelevanten Gases CO2, das aus der Verbrennung von nicht nachwachsender fossiler Energie resultiert, als auch die globale (inflationsbereinigte) Wirtschaftsleistung. Den Verlauf dieser drei wesentlichen Wachstums-Indikatoren im Zeitraum von 1960 bis 2020 zeigt die folgende Grafik.

Bild-Wachstum-1960-bis-2020
Entwicklung von Bevölkerung, Wirtschaft und CO2 von 1960 bis 2020

Tendenziell besteht also eine Korrelation zwischen der Zunahme von Bevölkerung, fossilem Energieeinsatz und Wirtschaftsentwicklung, gleichzeitig aber auch eine relative Entkoppelung (absolut wird die Entkoppelung erst, wenn die Wirtschaft wächst und der CO2-Ausstoss schrumpft):  

  • Die Differenz zwischen Bevölkerungszuwachs und stärkerem Zuwachs der CO2-Emissionen zeigt, dass der globale fossile Energiekonsum pro Kopf seit 1960 zugenommen hat.
  • Die Differenzen von Bevölkerungs- und CO2-Zunahme zum noch steileren Wachstum der Weltwirtschaft zeugen von einer Produktivitäts-Steigerung sowohl der produzierenden Personen (höheres Sozialprodukt pro Kopf) als auch der eingesetzten fossilen Energie (zunehmende Energieeffizienz).

60 Jahre Entwicklung, Umkehr in 30 Jahren

Das rasante Wachstum von Bevölkerung, Wirtschaft und fossilem Energiekonsum hat jedoch eine Kehrseite. Der Ausstoss des Treibhausgases CO2 heizt das Klima auf. Diese Klimaerwärmung soll begrenzt werden auf weniger als zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad. Das hatten die Regierungen 2015 an der Klimakonferenz von Paris beschlossen. Um diesen Klimavertrag zu erfüllen, so rechnen die meisten Klimaforscher, muss der Ausstoss von CO2 und weiteren Treibhausgasen bis 2050 auf null sinken. Was das bedeutet, führt die folgende, bis 2050 fortgeschriebene Grafik vor Augen:  

Bevölkerungswachstum
Die Klimapolitik erfordert eine radikale Trendwende. Grössere Auflösung der Grafik hier.

Das klimapolitische Ziel «null CO2» gilt netto. Das heisst: Wenn der Wald weltweit schneller wächst, als er abbrennt oder abgeholzt wird, dann darf 2050 weiterhin ein bisschen fossile Energie eingesetzt werden. Wenn hingegen die Wälder schneller schwinden als wachsen, muss die Menschheit den fossilen Energieeinsatz schon früher beenden. Auf jeden Fall erfordert das Ziel «netto null CO2 bis 2050» eine radikale Wende des Energiekonsums. Und das in nur 30 Jahren. Denn seit dem Abschluss des Vertrags von Paris sind weitere fünf Jahre ins Land gezogen, in denen die CO2-Emissionen weiter gestiegen sind; sie dürften auch im laufenden Jahr weiter steigen (siehe die Grafik ganz oben).

Zusätzlich erschwert wird die radikale Wende des globalen CO2-Trends, weil die Weltbevölkerung gemäss demografischen Prognosen infolge teilweise fehlender Familienplanung weiter zunimmt.

Grafik-Wachstum-bis-2050-hoch
Der Klimaschutz erfordert in knapp 30 Jahren eine radikale Wende des langjährigen Trends.

Die Leistung der Weltwirtschaft, die angeblich einem Wachstumszwang unterliegt, soll ebenfalls weiter zunehmen; der jährliche Zuwachs von einem Prozent von 2020 bis 2050 liegt am unteren Ende der Erwartungen von Wirtschaft und Regierungen.


Acht Fragen auf dem Weg zum Zwei-Grad-Ziel

Vergleicht man das klimapolitische Ziel, dem die meisten Regierungen in Paris grundsätzlich zustimmten, mit der langfristigen Entwicklung, so stellen sich acht Fragen:

1. Lassen sich am Ende der fossilen Periode zehn Milliarden Menschen auf dieser Erde ernähren, wenn sich vor Beginn der fossilen Periode nicht einmal eine Milliarde Menschen satt essen konnten?

2. Kann die Weltwirtschaft weiterwachsen, wenn ab sofort weniger und ab 2050 kein Erdöl sie mehr schmiert?

3. Wer kann den fünf Milliarden Menschen mit (noch) unterdurchschnittlichem CO2-Ausstoss in Asien, Südamerika und Afrika verbieten, den gleichen, auf fossiler Energie basierenden Lebensstil anzustreben, den eine Milliarde Menschen in den USA, Europa und Australien ihnen seit 60 Jahren vorlebt?

4. Warum suchen private und staatliche Konzerne gegenwärtig immer noch unerschlossene Erdöl- und Erdgasfelder, wenn schon die bekannten Erdölvorräte den klimapolitischen tragbaren Ölkonsum weit überschreiten?

5. Warum strebten die Regierungen nicht schon 1972 die Abschaffung unserer fossilen Energiesklaven (Erdöl, Erdgas) an, als die ersten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vor den Grenzen des Wachstums warnten, der globale CO2-Ausstoss weniger als halb so gross war und für den Umstieg noch viel mehr Zeit blieb als heute?

6. Kannten die Regierungsleute die Konsequenzen, als sie 2015 in Paris beschlossen, die Erwärmung der Erde auf weniger als zwei Grad zu begrenzen?

7. Träumten sie, Wind- und Sonnenenergie, die heute weniger als 14 Prozent des globalen Energiekonsums decken, würden es schon irgendwie richten?

8. Oder rechneten sie – zu Recht – damit, dass sie im Jahr 2050 keine Verantwortung mehr tragen, wenn das Klima nicht hält, was ihr Vertrag verspricht? 

Antworten sind willkommen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Klimapolitik kritisch hinterfragt

Die Menschen beschleunigen die Erwärmung der Erde. Doch kurzfristige Interessen verhindern griffige Massnahmen.

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Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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8 Meinungen

  • am 17.03.2024 um 14:32 Uhr
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    2023 war das heisseste Jahr weltweit. Vor allem die Seeoberflächentemperaturen haben einen Sprung gemacht. Googelt mal: Global Sea Surface Temperatures 2023. Es gibt Diagramme, die den Verlauf der Seeoberflächentemperaturen mit einer Kurve pro Jahr zeigen. 2012-2022 waren die Kurven alle am oberen Ende, was zu erwarten war. Etwa ab zweites Quartal 2023 riss jedoch die Kurve nach oben aus. Dies ist eine spektakulär überraschende und besorgniserregende Veränderung.

    Die Gründe sind unklar. Es könnte eine Kombination vom Vulkanausbruch in Tonga mit Wasserdampf in der Stratosphäre, erhöhter Sonnenaktivität und weiteren unerwarteten Faktoren sein, die alle zusätzlich zur schon bekannten Klimaveränderung hinzukommen. Die Kipppunkte sind schon eingetreten.

    Wenn wir Menschen Pech haben, dann war’s das. Oder weniger extrem, wir werden in ca. 10 bis 20 Jahren eine extreme Krise mit unausprechlichen Folgen erleben. Ich bin nicht mehr jung, aber meine Kinder tun mir leid.

  • am 17.03.2024 um 15:16 Uhr
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    Die Grafiken beginnen erst ab 1960. Man sollte im Internet alle Grafiken mit CO2-Konzentration von 1750 bis 1950 entfernen. Das IPCC gibt als vorindustrielle CO2-Konzentration an: C02 = 278 ppm. Das ist der mit Eisbohrkernen ermittelte Wert für 1750.
    1650 bei 280 ppm
    1750 bei 278 ppm
    1850 bei 280 ppm
    1900 bei 295 ppm
    1950 bei 310 ppm
    2000 bei 369 ppm und
    2020 bei 414 ppm
    Dies widerspricht dem in Wikipedia von der ETH aufgezeichnete Verlauf des Rohnegletschers von 1654 – 1914 und sollte gelöscht werden, da ein Gletscherrückzug vor der Klimaerwärmung ab 1850 und eine Klimaerwärmung vor dem CO2-Anstieg ab 1950 offensichtlich falsch ist.

  • am 17.03.2024 um 15:37 Uhr
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    Beitrag und Fragen sind treffend formuliert! Antworten und Taten von Menschen, die zu Lösungen führen, sind noch Tabu für die (be-)stimmende Mehrheit, weil die Taten treffen alle eher unangenehm. Wer hier widerspricht, überlege bitte nochmals, ob die ganze Tragweite erkannt wurde. Weniger von Allem, nicht mehr von Zuviel.

    • am 18.03.2024 um 13:55 Uhr
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      Was für Lösungen sehen Sie denn?
      Den Tyrannosaurus Rex wünscht sich niemand zurück und wenn die Menschheit ausgestorben ist, wird ihr niemand nachtrauern und niemand wird sich den Menschen zurück wünschen.

  • am 18.03.2024 um 08:36 Uhr
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    Erstens hat eine Erwärmung oder Abkühlung der Erdatmosphäre viele, sich einander beeinflussende Ursachen, wovon der CO2-Gehalt nur eine ist, zweitens gibt es viele unterschiedliche Klimazonen, die ihre Besonderheiten der Temperatur- und Wetterentwicklung haben, drittens sind für Umweltzerstörung, Errosion, Artenschwund, Waldsterben, Überfischung, Bodenverschlechterung, die die Lebens- und Ernährungsbedingungen der Menschen bestimmen, andere menschengemachte Faktoren verantwortlich und nicht der CO2-Ausstoß: der holzt keine Wälder ab, pflastert nicht fruchtbare Böden mit Monokulturen zu und versiegelt auch keine Böden. Die unaufhaltsame Verstädterung und Zubetonierung treibt die lokal gemessenen Temperaturen in die Höhe. Drittens handelt es sich bei den Voraussagen um Modelle: hier gibt es extreme und moderate Voraussagen; wer recht hat, weiß keiner. Die Fixierung auf den CO2-Ausstoß hat etwas pathologisches und widerspricht der Komplexität unserer Erde.

    • am 19.03.2024 um 10:59 Uhr
      Permalink

      Die Fixierung darauf, den überaus mächtigen Beitrag von CO2 zur Klimaerhitzung kleinzureden, hat etwas pathologisches…

  • am 18.03.2024 um 09:34 Uhr
    Permalink

    Aus russischer Sicht bringt die Erwärmung mehr Agrarfläche und eine nördliche Passage durch das «ewige» Eis. Sind wir sicher, dass die mit uns kooperieren?

  • am 19.03.2024 um 11:18 Uhr
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    1. Vermutlich Ja, wenn wir weniger Flesich und Milchprodukte essen würden. Aber das passiert nicht, also Nein.
    2. Vermutlich Ja. Die aktuelle Elektroauto-Entwicklung und Einwegverpackungen zeigen, dass dieselben Fehler bzw. Kräfte wirken auch ohne Erdöl.
    3. Diesen Menschen wird bereits heute ein Lebensstil wie unserer «verboten». Es ist klar, dass wir weniger konsumieren müssen, damit diese gerechterweise «aufholen» können.
    4. Konzernen ist alles ausser Profit egal. Deshalb kann die Klimakrise nur durch ein Überwinden des Kapitalismus reduziert werden. Das fordert aber niemand, nicht einmal mehr die SP.
    5. Wie 4. Unter US-Präsident Bush senior gelang es fasst, aber die Lobbies schlugen dann zu (aus einer ARTE-Doku) und heute tanzen selbst die Grünen in Deutschland nach der Geige der Industrien.
    6. Vermutlich nicht.
    7. Vermutlich Ja.
    8. Sicher.

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