Ruandas Soldaten sterben im Kongo

RDF-Soldaten (Rwanda Defence Force) bei Kibumba in der DR Kongo. Quelle: Bericht der UN-Expertengruppe zur DR Kongo vom 13. Juni 2023 © Vereinte Nationen

Asyl-Partner Ruanda vertuscht einen Krieg

Philippe Stalder /  Kigali bestreitet, dass seine Soldaten in der DR Kongo kämpfen. Todesanzeigen im Internet zeichnen jedoch ein anderes Bild.

Ruanda wird im Westen bezeichnet als die Schweiz Afrikas: 30 Jahre nach dem Genozid an den Tutsis zähle der ostafrikanische Kleinstaat heute zu den sichersten Ländern der Welt. Dies beteuerte der damalige britische Premierminister Boris Johnson, als er seiner Regierung den Ruanda-Plan vorstellte. Im April dieses Jahres hat das Vorhaben, illegal eingereiste Asylsuchende unabhängig ihrer Herkunft direkt in das 6400 Kilometer entfernte Ruanda abzuschieben, die letzte parlamentarische Hürde genommen. Hierzulande hat die SVP Anfang Jahr die gleiche Idee aufgegriffen.

Eine Untersuchung der internationalen Rechercheplattform Forbidden Stories reisst jedoch Brüche in das rosige Bild, das Ruandas Präsident Paul Kagame im Westen von seinem Land zeichnen konnte: So sollen bis zu 5000 ruandische Soldaten in der benachbarten demokratischen Republik Kongo verdeckt in einem Konflikt kämpfen, an dem Ruanda jede Beteiligung abstreitet. In der ressourcenreichen Provinz Nord-Kivu kämpft die Rebellenmiliz M23 seit zwei Jahren gegen die kongolesische Armee. Es geht um den Zugang zu zahlreichen Rohstoff-Minen, über eine Million Menschen wurden durch die Kämpfe bereits vertrieben. Die NGO Human Rights Watch dokumentierte zahlreiche Tötungen, Vergewaltigungen und weitere Menschenrechtsverletzungen durch die M23.

Offiziell bestreitet Ruanda jede Intervention in seinem Nachbarland DR Kongo. «Ruanda unterstützt M23 nicht und hat keine Truppen in der DR Kongo», erklärte der ruandische Aussenminister, Vincent Biruta, während eines diplomatischen Briefings im Jahr 2023. Diese Haltung wird von Ruandas Präsident Paul Kagame, der das Land seit 24 Jahren führt, geteilt: «Dieses Problem wurde nicht von Ruanda geschaffen, und es ist nicht Ruandas Problem.»

Todesanzeigen zeichnen ein anderes Bild

Der ruandische Journalist Samuel Baker Byansi stiess im Internet auf viele Indizien, die auf das Gegenteil hindeuten: Er durchforstete Social Media nach Nachrichten über den Tod junger ruandischer Soldaten. Im Laufe der militärischen Auseinandersetzung in Nord-Kivu haben solche Posts auf Facebook und Twitter stark zugenommen. Posts von Angehörigen mit Fotos und Namen der gefallenen Soldaten, sind oft mit der Überschrift «RIP» (Ruhe in Frieden) versehen.

«Die Wahrheit ist eigensinnig»: Beispiel einer Todesanzeige auf X (ehemals Twitter). Quelle: Forbidden Stories

Zusammen mit seinem Kollegen John Williams Ntwali begab sich Baker im November 2022 auf Spurensuche nach Goma, der Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu. Er wollte mehr über die Soldaten und die Hintergründe ihres Verschwindens erfahren.

Kurz nach ihrer Rückkehr in die ruandische Hauptstadt Kigali wurde Baker von der Polizei verhaftet und zu seiner Recherchereise befragt. Es war zwar nicht seine erste Verhaftung aufgrund seiner journalistischen Tätigkeit, jedoch war das Verhör so intensiv, dass Baker sich dazu entschied, sein Leben in Ruanda aufzugeben und das Land zu verlassen. Nach seiner Flucht aus Ruanda warnte Baker seinen Kollegen Williams: «Die Situation ist nicht gut. Ich bin raus. Sieh zu, dass du auf deine Sicherheit achtest.» 

Ein Autounfall in Kigali

Zwei Monate später starb Williams unter mysteriösen Umständen bei einem Autounfall in Kigali. Baker setzte die Recherche daraufhin mit dem internationalen Recherchekollektiv Forbidden Stories fort und gründete das Projekt Rwanda Classified. Die Journalisten glichen die Identitäten und Todesdaten der 13 von Baker identifizierten Soldaten mit Angaben von Angehörigen sowie einem anonymen Armee-Insider ab, der die Fälle kannte. Die Untersuchung ergab, dass die Mehrheit von ihnen ihr Leben in der DR Kongo gelassen hatte. Ihre Dienstgrade reichten von Korporal bis zum Oberstleutnant und sie starben zwischen Mai 2022 und Frühling 2023. 

«Invasion eines souveränen Landes»: Beispiel einer Todesanzeige von mehreren Soldaten auf X (ehemals Twitter). Quelle: Forbidden Stories

Einer dieser Soldaten hiess Paul*. Paul sollte Trauzeuge seines besten Freundes Simon* sein. Paul konnte seinen Freund jedoch nicht mehr zum Altar begleiten, kurz vor der Zeremonie starb der junge Mann an der kongolesischen Front. Simon wollte an Pauls Beerdigung von seinen Dienstkameraden wissen, wie und vor allem wo Paul ums Leben kam. Die einzige Antwort, die Simon von ihnen erhielt, war: «Er starb im Dienst.»

Unter vier Augen klärte ein Kamerad Simon dann doch noch auf: «Er sagte uns eines Abends offen, dass er in der DR Kongo gewesen sei und dass das der Grund sei, warum sein Leichnam so lange gebraucht habe, um Kigali zu erreichen», so Simon gegenüber Forbidden Stories. 

Schätzungen gehen von bis zu 5000 ruandischen Soldaten aus

Das Recherchekollektiv konnte anhand von Testamenten, die in den Taschen der getöteten Soldaten gefunden wurden, 20 weitere ruandische Soldaten identifizieren, die in der DR Kongo gefallen waren. Ausserdem erhielten die Journalisten Videos von Zeugenaussagen, darunter die eines 34-jährigen M23-Kämpfers, der aussagte, dass er ursprünglich aus Ruanda stamme und im Alter von 13 Jahren der Armee beigetreten sei. 

Schätzungen gehen davon aus, dass sich bis zu 5000 ruandische Soldaten und bis zu 3000 M23-Kämpfer auf kongolesischem Gebiet befinden: «Für Präsident Kagame ist es ein Geschäft. Er schickt seine Soldaten in die DR Kongo: Er schickt tausende Soldaten über die Grenze, aber niemand kehrt nach Hause zurück», sagt der im Exil lebende Eugene Gasana, ehemaliger ständiger Vertreter Ruandas bei der UN, zu Forbidden Stories.

Gemäss dem ehemaligen ruandischen Major Robert Higiro, der ebenfalls im Exil lebt, sei Kagame «besessen davon, den Osten der DR Kongo zu kontrollieren. Aus Gründen, die wir alle kennen: die Mineralien, das Geld.» 

Die ruandische Regierung antwortete nicht auf die Fragen der Journalisten. Baker und sein Kollege Williams fragten dennoch nach. Einer der beiden lebt nun im Exil – und der andere ist tot.

* Namen geändert


Kurzfilm der Recherche. Quelle: YouTube / Forbidden Stories

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Keine
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