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Die allermeisten News sind gratis. Wieso wollen Menschen dafür nicht bezahlen? Ausschnitt von 20 Minuten Online am 26. Juni 2024 © 20 Minuten (Screenshot)

Die «präzisen» Zahlen zur Mediennutzung taugen wenig

Pascal Sigg /  Der «Newskonsum» sinke, verbreitete das Forschungszentrum Fög. Zu den «News» gehören aber auch Königsklatsch und PR-Meldungen.

Mit der politischen Debatte um Medienförderung wird auch die Frage nach der Mediennutzung immer wichtiger. Was wollen Schweizer MedienkonsumentInnen? Was bräuchten sie? Wofür wären sie bereit zu bezahlen? Und wo und wie also versagt der Markt gegenüber den Interessen der Demokratie? Doch die Forschung dazu kratzt weiter an der Oberfläche.

Ein aktuelles Beispiel ist der alljährlich erscheinende, international ausgerichtete Reuters Digital News Report. Erst kürzlich lieferte er wieder genau bezifferte Antworten auf wichtige Fragen. Und dies auch für die Schweiz.

Doch die Studie zeigt, wie schwierig vorgeblich präzise Aussagen über die Mediennutzung sind. Einerseits ist besonders unklar, was verschiedene Menschen mit «News» überhaupt meinen. Und andererseits ist diskussionswürdig, ob die kleinen Stichproben bei der immensen Komplexität des individuellen Medienkonsums überhaupt repräsentativ sein können.

Im jüngsten Schweizer Länderbericht kam das ausführende Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög) der Uni Zürich etwa zum Schluss: Der Newskonsum hierzulande sinke. 2016 gaben noch 59 Prozent der Befragten an, sich sehr für Nachrichten zu interessieren. 2024 sind es nur noch 48 Prozent. In erster Linie wegen der Informationsflut geben rund ein Drittel der Schweizerinnen und Schweizer an, manchmal oder sogar oft Nachrichten zu meiden. Zudem geben 57 Prozent der Befragten an, nicht für News bezahlen zu wollen.

Untersuchungsgegenstand ist Ansichtssache

Die Zahlen und Grafiken suggerieren klare Deutlichkeit. Doch bereits die Vielfalt der Medienangebote in der Schweiz birgt Schwierigkeiten. Worüber die Befragten genau Auskunft geben, ist nämlich nicht ganz klar.

Daraus macht Linards Udris, Forscher am Fög, auf Infosperber-Anfrage auch keinen Hehl: «Viele Menschen haben offenbar ein relativ breites Verständnis von News.» So hätten einige als Nachrichtenquellen auf Social-Media-Plattformen Influencer oder andere Persönlichkeiten genannt. Und nicht etwa journalistische Medienmarken.

Mitverantwortlich dafür ist aber auch das Forschungsdesign, für welches Udris nicht verantwortlich ist. Der Begriff «News» wurde im Online-Fragebogen zwar definiert. Er ist allerdings sehr weit gefasst. Es heisst: «Mit Nachrichten sind nationale, internationale, regionale/lokale Nachrichten und sonstige aktuelle Informationen gemeint, die über ein beliebiges Medium bereitgestellt werden (Radio, Fernsehen, Zeitungen oder online).»

Darunter fällt also fast alles, was sich an einem x-beliebigen Tag auf einer News-Plattform anklicken lässt. Auch Celebrity-Meldungen, Überpersonalisiertes, Unterrecherchiertes, Hochpolitisches, aufwändig Erarbeitetes, Zurverfügunggestelltes, oder gar Werbung. Oder wie würden Sie diese Meldung über den neuen «Äffli-Akku mit mehr Power» eines Zürcher Unternehmens taxieren? Oder die Artikel des KI-Textgenerators von Ringier?

Udris weist darauf hin, dass Boulevard- oder Gratismedien wie Blick oder 20 Minuten beim Publikum weniger Vertrauen geniessen. Daraus lasse sich schliessen, dass die Menschen ein «Verständnis haben von News, das mit Qualität und relevanten Nachrichten in Verbindung steht».

Gratis-News funktionieren nur als Masse

Die Annahme ist zwar grundsätzlich plausibel. Doch ob dies tatsächlich zutraf, wurde nicht abgefragt. Dies führt zu grossen Unschärfen. So hält zum Beispiel auch der Bericht fest, dass ein Grossteil der «News» kostenlos erhältlich ist. Hingegen gibt er nicht an, dass Produktion und Verbreitung dieser «News» meistens mittels Werbung finanziert sind.

Um eine möglichst grosse Leserschaft und damit Beachtung der geschalteten Werbung zu erhalten, verlangt dieses Geschäftsmodell wiederum nach einer gewissen Masse an «News». Aus Sicht der Werbetreibenden wird die Quantität an Content so zu einer Qualität der Werbeinfrastruktur. Aus Sicht der Nutzenden aber entsteht eine Informationsflut, die es einem erschwert, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Diese Problematik ist längstens bekannt. Alleine die Ringier-Titel produzieren jede Woche rund 1000 Beiträge, die für die Verbreitung auf den Portalen infrage kommen, wobei mittlerweile nicht mehr alle gratis zugänglich sind. Dies passiert gemäss Sandro Inguscio, Digitalchef von Blick, in einem Wettrennen mit 20 Minuten um die werberelevante Reichweite. Dass dabei auch die schiere Masse der Artikel zählt, liegt auf der Hand. Dies dürfte massgeblichen Einfluss auf ihre Qualität, Funktion und Wahrnehmung dieser «News» haben. Doch diese Unterscheidung machen die Forschenden nicht.

Wie sieht der kostenpflichtige Newsmarkt aus?

Wer für Medieninhalte bezahlt, dürfte schlicht andere Ansprüche an «News» haben als Menschen, die dies nicht tun. Und er oder sie dürfte dies auch in einem Kontext tun, wo Werbung – und damit die Content-Flut – eine weniger wichtige Rolle spielt.

Die Studie fragte jedenfalls auch nach den Marken, für welche das Publikum bereit ist zu bezahlen. Es sind selbstverständlich solche, die überhaupt Geld verlangen. Spitzenreiter waren Tages-Anzeiger und NZZ. Wieso bleibt unbekannt. Haben diese beiden schlicht die härteste Bezahlschranke? Und wer sind all die anderen?

Eine Umfrage zu den beliebtesten Podcasts zeigte in den USA zum Beispiel eine grosse Fragmentierung und Diversifizierung der Medienlandschaft. Von den Menschen, die angaben, einen Lieblingspodcast zu haben, nannten die meisten denjenigen des Talkers Joe Rogan. Entscheidender aber war, dass er als Beliebtheitsmarktführer bloss fünf Prozent Marktanteil hatte. Die restlichen 95 Prozent gingen allesamt an viele verschiedene Shows.

Findet eine ähnliche Diversifizierung auch in der Schweiz statt? Dafür gibt es immerhin Anzeichen. Das Online-Medium Republik mit durchlässiger Bezahlschranke verzichtet auf Werbung und ist fast vollumfänglich durch Mitgliedschaften finanziert. Neben einzelnen Grossspenden verzeichnete Infosperber 2023 rund 2830 Einzelspenden in durchschnittlicher Höhe von etwa 85 Franken – Tendenz steigend.

Es ist kleinen Medien also durchaus bereits heute möglich, genügend hohe Einnahmen mit Online-Abonnements für Journalismus zu erzielen. Das Problem betrifft vor allem die grossen Konzerne, welche ihren Content sowohl der Werbeindustrie als auch dem zahlungsbereiten Publikum verkaufen wollen. Oder etwa doch nicht?

Ein Sample so gross wie Thurnen im Gürbetal

Um derartige Fragen zu beantworten, wäre ein grosses Sample unabdingbar. Sogar die Verantwortlichen der internationalen Studie geben zu bedenken: «Auch mit relativ grossen Samples ist es nicht möglich, viele kleinere Nutzergruppen bedeutsam zu analysieren.»

Der Schweizer Länderbericht des News-Reports basiert gemäss eigenen Angaben auf Daten von gerade mal 2012 Erwachsenen aus der Deutschschweiz und der Romandie. Dies entspricht etwa dem Fassungsvermögen der Kunsteishalle Küsnacht oder den Einwohnerzahlen der Gemeinden Disentis (GR) oder Thurnen (BE).

Linards Udris vom Fög sagt: «Die Sample-Grösse allein ist nicht entscheidend. Wichtiger ist, dass das Sample repräsentativ zusammengesetzt ist.» Gemäss einem Forscher des Reuters Institute for the Study of Journalism geschieht dies nach Alter, Geschlecht, Region und Bildungsniveau.

Die Teilnehmenden der Umfrage wurden durch das internationale Unternehmen YouGov rekrutiert. Gemäss Udris ein übliches Verfahren in der Sozial- und Marktforschung. «Wissenschaftler:innen beauftragen in sehr vielen Fällen Drittanbieter, eben weil es schwierig und aufwändig ist, repräsentative Panels zu bekommen. Das schaffen Drittanbieter gut, weil sie das kontinuierlich über Jahre hinweg machen können. Ich habe keine Bedenken hinsichtlich der Qualität der Daten.»

Detailliertere Auswertung wäre möglich

Dass sich die internationale Vergleichsstudie nur oberflächlich mit Fragen befasst, welche im Rahmen der Schweizer Mediendebatte interessieren, ist nur begrenzt den Forschenden anzulasten, die mit kleinen Budgets operieren. Udris gibt auch zu bedenken, dass die Aussagekraft der Umfrage erhöht werden könnte, wenn gewisse Punkte mit noch mehr Fragen gemessen werden könnten. «Aber die Anzahl Fragen ist zwangsläufig beschränkt, weil erfahrungsgemäss weniger Befragte mitmachen, wenn eine Befragung zu lange ist.»

Gleichwohl sagt er, dass man im Datensatz prüfen könnte, welche Faktoren entscheidend sind, warum jemand für Online-Nachrichten bestimmter Marken bezahlt. Wie wichtig zum Beispiel Vertrauen, Alter oder Einkommen der Nutzenden sei.

«Eine solche detaillierte Auswertung haben wir bisher nicht gemacht.»

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und arbeitet hin und wieder freischaffend für die Republik.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.