Brisanter Brennstoff für deutschen Strom
Trotz erneuerbaren Energien und Klimawandel: Die dreckigste aller Arten, Strom zu erzeugen, boomt in Deutschland wieder. Im ganzen Land laufen Kohlekraftwerke auf Hochtouren. Der Atom-Ausstieg bedeutet auch: Deutschlands Bedarf nach Steinkohle wächst immens.
Gleichzeitig werden jedoch die letzten deutschen Steinkohle-Zechen 2018 stillgelegt. Bereits heute importieren die Stromkonzerne mehr als drei Viertel der benötigten Steinkohle, vor allem aus den USA, Kolumbien, Russland und Südafrika (siehe Grafik). Sie landet in deutschen Kraftwerken etwa von E.ON, RWE, Vattenfall, Steag und EnBW. Für die internationalen Rohstoffkonzerne ein Milliardengeschäft, von dem auch die deutschen Stromerzeuger profitieren. Denn Steinkohle aus dem Ausland ist billig – trotz der langen Transportwege. Einen hohen Preis zahlt hingegen die lokale Bevölkerung in den Fördergebieten: Der Bergbau richtet gigantische Umweltschäden an. Zurück bleiben zerstörte Landschaften, vergiftete Flüsse und Menschen, die aus ihren Dörfern vertrieben worden sind.
Das ganze Ausmass des Raubbaus dokumentiert ein Repoterteam des ZDF im Film «Böse Mine – gutes Geld». Die ZDFzoom-Reporter haben in grossen Abbaugebieten von Kolumbien und im US-Bundesstaat West Virgina gefilmt und recherchiert. Die schockierenden Bilder aus streng bewachten, hermetisch abgeriegelten «Sperrzonen» der Bergbaukonzerne zeigen, unter welchen katastrophalen Umständen die «schmutzige» Kohle für Deutschland abgebaut wird.
Öko-Katastrophe in den Appalachen
Eines der grössten Bergbaureviere der USA liegt in den Appalachen. Die weite, von Wald bedeckte Berglandschaft ist eines der artenreichsten Gebiete Nordamerikas. Doch mittendrin klaffen riesige graue Löcher. Ganze Bergspitzen fehlen. Sie wurden weggesprengt, um im Tagebau schnell an die Kohle heranzukommen. Mountaintop Removal – Bergspitzenbeseitigung – heisst die brachiale Fördermethode, die hier angewandt wird. West Virginia sieht deshalb in weiten Teilen aus wie eine Mondlandschaft. Schon jetzt sind in den Appalachen mehr als 500 Bergspitzen zerstört, Bergflüsse auf einer Länge von 2000 Meilen verschüttet und 6500 Quadratkilometer Wald vernichtet worden.
Doch der Schaden ist nicht nur oberflächlich. Die Bergbaukonzerne kippen das Restmaterial einfach in die Täler, berichten Dorfbewohner dem ZDF-Reporter. Dort verseuchen Schwermetalle und andere Schadstoffe Flüsse und Grundwasser. Feinstaub aus den Sprengungen belastet die Luft. Beides macht die Menschen krank: Krebserkrankungen, Herzleiden und Fehlbildungen bei Säuglingen nehmen zu, die Lebenserwartung sinkt. Nirgends in den USA sterben die Menschen früher als in West Virginia.
«Es ist die schrecklichste Form des Bergbaus, die man sich vorstellen kann», sagt Naturfotograf und Umweltschützer Corbit Brown, der seit Jahren in den Appalachen lebt. «Die Menschen zahlen mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben. Die Kohle bringt uns um.»
Getötete Gewerkschafter in Kolumbien
In Kolumbien, wo die Steinkohle ebenfalls oberirdisch abgebaut wird, sind die Folgen für die Umwelt ähnlich gravierend. An der Umweltzerstörung wirkt auch die Schweizer Firma Glencore mit. Viele Dörfer mussten den Abbaugebieten schon weichen, weitere Umsiedlungen sind geplant. Auch hier berichten Anwohner von Krankheiten durch den Kohlestaub. Allerdings fürchten viele Einheimische nicht nur um ihre Gesundheit, sondern gar um ihr Leben.
Die Provinzen La Guajira und Cesar, in denen sich die grossen Abbaugebiete befinden, wurden über viele Jahre von Paramilitärs beherrscht. Bis heute machen bewaffnete Gruppen die Gegend unsicher, bedrohen Gewerkschafter, die sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen.
Dem US-Kohlekonzern Drummond wird vorgeworfen, jahrelang eine paramilitärische Einheit finanziert zu haben, die nicht nur die Minen und Bahnlinie von Drummond schützte, sondern gezielt auch Kohle-Gewerkschafter ermordete und Menschen mit Waffengewalt aus ihren Dörfern vertrieb.
Drummond selbst weist alle Vorwürfe zurück, doch Zeugen bestätigen gegenüber dem ZDF-Team, dass es eine direkte Verbindung zum Konzern gebe. Allerdings zweifeln Juristen daran, dass es in einem hochkorrupten Land wie Kolumbien gelingen wird, die Drahtzieher vor Gericht zu bringen.
Stromerzeuger verraten ihre Lieferanten nicht
«Blutige» Kohle in deutschen Kraftwerken, weggesprengte Berge, vergiftete Flüsse, vertriebene und kranke Anwohner: Was sagen deutsche Politiker und Energieanbieter dazu? Nichts. Deutschland sei nicht für alle Probleme der Welt verantwortlich, heisst es lapidar. Für die Einhaltung der Gesetze und Umweltstandards beim Bergbau müssten Behörden und Regierungen der Kohle-Exportländer selber sorgen. Kurz: Die Stromerzeuger entziehen sich ihrer Verantwortung.
Schon lange fordern grüne Politiker und Umweltorgansationen mehr Transparenz und verbindliche Minimalstandards für Kohleimporte nach Deutschland. Der Energieproduzent E.ON hat gegenüber dem ZDF schriftlich erklärt, keine Kohle von Unternehmen zu beziehen, die das Mountaintop-Removal-Verfahren anwenden. Überprüfen lässt sich das nicht. Denn von welchen Lieferanten die grossen Energieerzeuger ihre Kohle beziehen, wollen sie nicht verraten – angeblich um keine Wettbewerbsvorteile zu verlieren. Sebastian Rötters, Rohstoff-Experte bei der Umweltorganisation Powershift vermutet andere Gründe: «Die Energieversorger hinterlassen einen ziemlich heftigen ökologischen Fussabdruck. Den verwischen sie lieber, als sich der Verantwortung zu stellen.»
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Siehe auch Artikel auf Infosperber:
«Glencore macht Kinder krank und hält Medien fern»
«Glencore-Chef Ivan Glasenberg sagt die Unwahrheit»
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine