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Anne Eckhardt, Präsidentin des Ensi-Rats: «Filzvorwurf entkräftet» © sf

Hintergründe zum Persil-Gutachten der Atomaufsicht

Kurt Marti /  Der Ensi-Rat hat der Atomaufsicht Ensi einen Persilschein ausgestellt und lieferte gleichzeitig den Beweis, dass der Atomfilz lebt.

Das eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) hat den Auftrag des Bundes, die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) zu kontrollieren. Die Genossenschafter der Nagra sind die AKW-Betreiber, deren Vertreter im Nagra-Verwaltungsrat sitzen. In den letzten Monaten haben zwei namhafte Experten die Verfilzungen zwischen Nagra, Ensi und dem Bundesamt für Energie (BFE) hart kritisiert, nämlich der Geologe Marcos Buser, welcher unter Protest aus der Kommission für nukleare Sicherheit (KNS) ausgetreten ist, und der Geologie-Professor Walter Wildi, Präsident der ehemaligen Eidgenössischen Kommission für die Sicherheit von Kernanlagen.

Aufgrund der Filzvorwürfe gab der Ensi-Rat, welcher das Ensi beaufsichtigt, ein Gutachten beim Luzerner Beratungsbüro «Interface – Politikstudien Forschung Beratung» in Auftrag, um die Filzvorwürfe abzuklären. Drei Beispiele aus dem Gutachten zeigen, dass der Atomfilz lebt:

1. Nagra korrigierte Ensi-Protokolle

Die Atomaufsicht Ensi schickte Sitzungs-Protokolle zur sogenannten «Vorvernehmlassung» an die Nagra, welche umfangreiche Änderungen vornehmen durfte. Die «Korrekturen» betreffen nicht nur Aussagen von Nagra-Mitarbeitern, sondern auch von anderen Sitzungsteilnehmern. Offensichtlich war das Ensi mit der Protokollierung von fachtechnischen Sitzungen überfordert und musste dafür die Hilfe der Nagra in Anspruch nehmen, welche eigentlich vom Ensi kontrolliert werden müsste.

Obwohl ein klarer Fall von Filz und Inkompetenz, spielt das Interface-Gutachten die Brisanz des Vorgangs herunter: Es sei zu «keiner Verfälschung der Inhalte der Protokolle gekommen». Statt den Sachverhalt klar zu benennen, versetzen sich die Gutachter vielmehr in die Lage des Ensi und sind besorgt, die Vorvernehmlassung könnte den «Anschein» der Inkompetenz und der Manipulation erwecken.

2. Nagra korrigierte Ensi-Gutachten

Das Ensi schickte das «Sicherheitstechnische Gutachten zum Vorschlag geologischer Standortgebiete» vom Januar 2010 zur «Vorvernehmlassung» an die Nagra, welche darin Korrekturen vornahm. Hierzu fand eine Sitzung des Ensi mit der Nagra statt, welche nicht protokolliert wurde. Nach der «Vorvernehmlassung» wurde das Ensi-Gutachten in die breite Vernehmlassung geschickt. Auch die Nagra gehörte zu den Adressaten der Vernehmlassung, so dass eine «Vorvernehmlassung» keinen Sinn machte. Das Ensi begründet diesen sonderbaren Ablauf damit, dass es ein qualitativ möglichst hochstehendes Gutachten abliefern wollte. Folglich war die Atomaufsicht Ensi selber der Meinung, dass seine erste Fassung des Gutachtens für eine bereite Vernehmlassung qualitativ nicht genügte.

Daraus ziehen die Interface-Gutachter den fadenscheinigen Schluss, das Ensi habe «eine potenzielle Gefährdung der Glaubwürdigkeit» in Kauf genommen und sich «unnötigerweise dem Vorwurf der mangelnden Transparenz und der Befangenheit ausgesetzt». Es ist offensichtlich, dass die Gutachter um den heissen Brei herumtanzen, statt die Inkompetenz, Intransparenz und Befangenheit klar als Filz zu bezeichnen. Stattdessen kommt das Gutachten zum Schluss, die Fachkompetenz und Unabhängigkeit des Ensi sei gewährleistet, was der Ensi-Rat dankbar aufnahm und öffentlich verbreitete.

3. Nagra reisst dem Ensi die Federführung aus der Hand

Das Ensi lancierte eigene, fachtechnische Abklärungen. Als die Nagra davon erfuhr, schaltete sie sich sofort ein und riss dem Ensi die Abklärungen und die Federführung aus der Hand. Statt dieses inakzeptable Verhalten als Filz zu benennen, zitieren die Gutachter das Ensi, welches sich damit zu entschuldigen versucht, die Nagra habe die Abklärungen «besonders gründlich betrieben». Schlussendlich verlangen die Gutachter, dass in Zukunft «von Seiten des Ensi explizit entschieden wird, ob die Nagra mit den Abklärungen beauftragt werden soll». Damit halten die Gutachter implizit fest, dass das Ensi die Entscheidung bezüglich der Abklärungen durch die Nagra nicht getroffen hat. Kein gutes Zeugnis für die Atomaufsicht.

Sachplan des Bundes «weitgehend von der Nagra verfasst»

Nicht nur das Ensi zählte auf die fachliche Hilfe der Nagra. Auch das Bundesamt für Energie (BFE) im Departement Umwelt, Verkehr und Energie (UVEK) arbeitete offenbar bestens mit der Nagra zusammen, wie der Geologe Marcos Buser gegenüber Infosperber erklärt: «Der Sachplan geologische Tiefenlager des Bundes wurde in technisch-wissenschaftlichen Belangen weitgehend von der Nagra selbst verfasst. Das hat mir der verantwortliche technische Nagra-Direktor persönlich bestätigt. Und das ist im System sehr wohl bekannt». Fazit: Das BFE verfügte offenbar nicht über das nötige Fachwissen und holte sich dieses direkt bei der Nagra.

Filzvorwurf betrifft auch ein Mitglied des Ensi-Rats

Besonders brisant ist Busers Aussage im Hinblick auf die Zusammensetzung des dreiköpfigen Ensi-Rats-Ausschusses, welcher das Interface-Gutachten in Auftrag gab und dessen Durchführung begleitete. Neben der Ensi-Rats-Präsidentin Anne Eckhardt sass darin nämlich auch Werner Bühlmann, der bis 2011 als Stellvertreter des BFE-Direktors Walter Steinmann amtete und in dieser Funktion für die Erarbeitung und den Vollzug jenes «Sachplans geologische Tiefenlager» verantwortlich war, welcher laut Geologe Buser «weitgehend von der Nagra selbst verfasst wurde». Bühlmann gehört folglich zu jenen BFE-Beamten, welche sich mit dem Filzvorwurf von Buser und Wildi konfrontiert sehen. Und ausgerechnet Bühlmann sitzt im Ensi-Rats-Ausschuss, der das Gutachten zur Abklärung der Filzvorwürfe in Auftrag gab. Wenn das kein Filz ist!

BFE ist ein guter Kunde von Interface

Ein Blick in die Auftragsliste des Beratungsbüros Interface zeigt, dass im Bereich Verkehr, Umwelt und Energie etliche Aufträge aus dem UVEK kommen, insbesondere aus dem BFE und dem BAFU (siehe Link unten). Dieser Sachverhalt wird die Kritiklust des Büros Interface nicht unbedingt gesteigert haben. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass das Büro Interface ein ziemlich harmloses Gefälligkeitsgutachten mit den gewünschten Folgerungen ablieferte, statt hartnäckig zu untersuchen und bezüglich des Atomfilzes Klartext zu sprechen.

Zwar bestätigt das Interface-Gutachten Busers Vorwürfe in den oben erwähnten Fällen. Doch aus Zeitgründen hat sich Interface nur auf die genannten Dokumente beschränkt, statt sämtliche Protokolle und Gutachten über einen definierten Zeitraum zu prüfen. Trotz der vorliegenden Fakten und trotz der Beschränktheit der Abklärungen wagte der Ensi-Rat in seiner Medienmitteilung vom letzten Montag generell zu folgern, dass die Fachkompetenz und Unabhängigkeit beim Ensi vorhanden sei. Gegenüber Radio DRS erklärte Ensi-Rats-Präsidentin Anne Eckhardt zudem: «Das Gutachten hat den Filzvorwurf ganz klar entkräftet.»

Fragwürdige Behauptungen des Ensi-Rats

Im Gutachten kommt jedoch der Begriff Filz nirgends vor. Stattdessen steht dort einzig die Behauptung: «Es lassen sich keine Muster finden, die auf eine Verflechtung der Mitarbeitenden beider Institutionen (Ensi und Nagra; Anm. d. Red.) aufgrund einer grösseren Zahl ähnlich verlaufender Karrieren hindeuten würden». Ob sich aber die Nähe des Ensi zur Nagra negativ auswirkt, hat Interface «aus zeitlichen Gründen nicht überprüft». Wie der Ensi-Rat daraus folgert, der Filzvorwurf habe sich entkräftet, ist nicht nachvollziehbar. Umso mehr als das Gutachten bestätigt hat, dass das Ensi Protokolle und Gutachten zur Kontrolle an die Nagra geschickt hat und dass aufgrund der fehlenden Untersuchungen nicht ausgeschlossen werden kann, dass dies auch in weiteren Fällen vorgekommen ist.

Ebenso fragwürdig ist die Behauptung des Ensi-Rats, die Fachkompetenz des Ensi sei «nach Ansicht von Interface beim Ensi gegeben». Die Gutachter stützen nämlich ihre Bewertung auf ihre «Erhebungen». Im Gutachten werden dazu aber einzig die Aussagen der Ensi- und Nagra-Mitarbeiter genannt:

  • «Die Interviewten bei der Nagra beurteilen die Mitarbeitenden des Ensi als kompetent und in der Lage, ihre Aufsichtsfunktion wahrzunehmen.»
  • «Die Befragten beim Ensi stellen einheitlich fest, dass dem Ensi genügend Kapazitäten (Personal, Finanzmittel) und Know-how zur Wahrnehmung seiner Rolle im Sachplanverfahren zur Verfügung stehen würden.»

Erstaunlich ist auch der Werdegang der folgenden Behauptung, welche der Ensi-Rat in seiner Medienmitteilung verbreitete: «Die Kontakte zwischen Ensi und Nagra sind intensiv, aber sachgerecht». Dabei handelt es sich laut Ensi-Rat um einen «Befund» der Gutachter. Im Gutachten kommt dieser «Befund» erstaunlicherweise nur als Aussage von Ensi-Mitarbeitern daher, welche im Gutachten in indirekter Rede wie folgt zitiert wird: «Daher seien die Kontakte zwischen Ensi und Nagra zwar intensiv, aber sachgerecht». Folglich ist aus einer anfänglich wertenden Aussage der Ensi-Mitarbeiter schlussendlich ein faktischer Befund der Gutachter geworden. Wenn der Ensi-Rat also behauptet, die Kontakte zwischen Ensi und Nagra seien «intensiv, aber sachgerecht» gibt er nichts anderes wieder als die Wertung der Ensi-Mitarbeiter.

Es braucht eine Untersuchung der Geschäftsprüfungskommission

Das Gutachten und dessen Verwertung durch den Ensi-Rat lässt viele Fragen offen, sodass es jetzt eine Untersuchung durch die parlamentarische Geschäftsprüfungskommission braucht, wie dies auch Marcos Buser fordert.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

Zum Infosperber-Dossier:

Ensi

Atomaufsichtsbehörde Ensi

Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi entscheidet darüber, ob AKWs noch sicher genug sind.

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Eine Meinung zu

  • am 7.12.2012 um 11:10 Uhr
    Permalink

    "Es sind im Rahmen der Untersuchung immer wieder Fragen zur Kompetenz und zu
    den Eingriffsmöglichkeiten des ENSI-Rates aufgetaucht. Der ENSI-Rat soll daher
    drittens klären, ob seine bestehenden Kompetenzen ausreichen, um seine Funktion
    als Aufsichtsorgan des ENSI wahrzunehmen. Ferner sind die Aufgaben und die
    Kompetenzen des ENSI-Rates mittels Organigrammen und/oder einem Pflichtenheft
    explizit festzuhalten. Sollten die Abklärungen ergeben, dass der ENSI-Rat
    nicht über genügend Kompetenzen verfügt, um seine Aufsicht über das ENSI wirksam
    wahrnehmen zu können, sind entsprechende Änderungen in der Gesetzgebung
    anzustreben."
    Wer seine Kompetenzen nicht kennt, ja mangels Pflichtenheft gar nicht kennen kann, ist nicht in der Lage, seine Aufgaben (tja eben: welche denn?) zu erfüllen. Wer was macht, wer wofür zuständig ist, muss ohne Organigramm jedes mal neu ausgehandelt werden – Filz? Unfähigkeit? Desinteresse? Oder gar Absicht?

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