Noch mehr Steuermillionen für EU-Atomforschung
Vor einem Monat berichtete Infosperber: «Trotz Atomausstieg: Steuermillionen für neue AKW». 100 Millionen Franken hatte der Bundesrat Ende November 2012 für das europäische Atomforschungsprogramm Euratom 2012 bis 2013 gesprochen. Dabei geht es hauptsächlich um die Erforschung neuer Reaktoren, insbesondere der Kernfusion. Bereits seit 50 Jahren wird daran geforscht. Allein die Schweiz hat über eine Milliarde Franken in die Kernfusion investiert, ohne dass dabei bis heute eine einzige Kilowattstunde Strom produziert wurde. Doch der Bundesrat hält unbeirrt daran fest, obwohl selbst die atomfreundliche Eidgenössische Energieforschungskommission CORE der Meinung ist, dass von der Fusionstechnologie «bis 2050 kein Beitrag zur Deckung des Strombedarfs zu erwarten» sei.
Weitere 245 Millionen Franken für die EU-Atomforschung
Ende Februar hat der Bundesrat nachgedoppelt: Er will die EU-Atomforschung von 2014 bis 2020 mit insgesamt 245 Millionen Franken subventionieren und legt dem Parlament eine entsprechende Botschaft zu den Forschungsprogrammen der EU vor. Trotz Beschluss zum Atomausstieg! Mit den Steuermillionen will der Bundesrat vor allem den Fusionsreaktor ITER in Südfrankreich unterstützen, der in den letzten Jahren hauptsächlich mit massiven Budgetüberschreitungen aufgefallen war. Deshalb fiel die Euratom-Rechnung für die Jahre 2012 und 2013 mit 100 Millionen Franken besonders hoch aus.
Bemerkenswert sind die Begründungsversuche des Bundesrates für die weiteren 245 Millionen Franken, welche die Schweiz von 2014 bis 2020 ans Euratom-Programm zahlen soll. Der «Hauptgrund» dafür sei, dass die Europäische Kommission die Beteiligung der Schweiz am gesamten EU-Forschungsprogramm «Horizon 2020» erwarte, inklusive Finanzierung des Euratom-Programmes: «Würde sich die Schweiz namentlich nicht an das Euratom-Programm assoziieren, dann würde ihr auch die Assoziierung an das übrige EU-Forschungsrahmen-programm (FRP) verwehrt.» Der Bundesrat beantragt dem Parlament einen Gesamtkredit von 4,4 Milliarden Franken für Horizon 2020 inklusive Euratom-Programm.
Der Bundesrat windet sich um eine Begründung
Doch die EU ist keineswegs so stur, wie es der Bundesrat in seiner Botschaft darzustellen versucht. Der Bundesrat selbst erwähnt nämlich in seiner Botschaft ans Parlament, dass diese Bedingung «in dieser Form nicht für andere an das FRP assoziierte Staaten wie Norwegen, Israel oder die Türkei» gelte. Womit sich grundsätzlich die Frage aufdränge, «ob die Schweiz als einziges Land eine solche Behandlung akzeptiert».
Der Bundesrat bejaht diese Frage und schiebt dafür weitere Begründungen nach. Vorerst windet er sich aber noch um eine klare Antwort und erklärt, die Schweiz habe eine lange Tradition der Euratom-Mitarbeit seit 1978. Zudem habe man für 2012 und 2013 aufgrund der Budgetüberschreitungen höhere Beiträge einbezahlt. Deshalb mache jetzt ein Rückzug wenig Sinn, denn ab 2014 würden die Beiträge wieder sinken.
Der hohe Eintrittspreis für das «Human Brain Project»
Schlussendlich rückt der Bundesrat mit der eigentlichen Begründung heraus: Der «Mittelrückfluss» aus den EU-Forschungsprogrammen haben die einbezahlten Beiträge der Schweiz um den Faktor 1,5 übertroffen. Zu den grössten Nutzniessern gehören die beiden ETHs und das Paul Scherrer Institut PSI sowie die Schweizer Industrie. Eine Garantie allerdings, dass der Mittelrückfluss auch in Zukunft so vorteilhaft für die Schweiz ausfallen wird, kann der Bundesrat ausdrücklich keine geben.
Dann wird der Bundesrat konkret: Der Verzicht auf die Euratom-Beiträge hätte «verheerende Folgen für das FET-Flaggschiff ‚The Human Brain Project‘» der ETH Lausanne – ein EU-Projekt, das eine Milliarde Franken verschlingen soll. Laut Bundesrat würde die ETH Lausanne «von der Projektkoordination ausgeschlossen», wenn sich die Schweiz nicht am gesamten Forschungsprogramm inklusive Euratom finanziell beteiligen würde.
Im Klartext: Die 345 Millionen Franken für die EU-Atomforschung gehören zum Eintrittspreis für das «Human Brain Project», das unter Schweizer Hirn-Forschern sehr stark umstritten ist. Dafür ist der Bundesrat bereit, neben den Steuermillionen auch die Kohärenz seiner Atom-Ausstiegspolitik zu opfern.
Kein Thema in den Schweizer Medien
Nicht weniger erstaunlich als das Engagement des Bundesrates für die Atomenergieforschung der EU ist das Schweigen der Schweizer Medien. Als Infosperber vor einem Monat die 100 Millionen-Subventionen und folglich die widersprüchliche Haltung des Bundesrates aufdeckte, blieben sämtliche Schweizer Medien stumm. Kein einziger Beitrag ist seither zum bundesrätlichen 100 Millionen-Beschluss zugunsten der Atomforschung der EU erschienen.
Erst als der Bundesrat am 27. Februar die Botschaft zum EU-Forschungsprogramm bis 2020 online stellte, liess sich die NZZ zu den Euratom-Subventionen mit folgenden zwei sparsamen Sätzen vernehmen: «Auch die Beteiligung am Euratom-Programm soll fortgesetzt werden, zumal die EU keinen separaten Rückzug zulassen dürfte. Ein Teil dieser Forschung, besonders bezüglich Sicherheitsfragen, werde mit Blick auf den Atomausstieg noch wichtiger.» Dabei zitiert die NZZ kritiklos die Botschaft des Bundesrates. Die 245 Steuermillionen werden nicht erwähnt und auch nicht das Luftschloss der Fusionsforschung. Auf die Debatte im Parlament darf man gespannt sein. Vor allem im Zusammenhang mit dem bundesrätlichen Ausstiegsbeschluss.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)