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«Wer einer Mutter die Kinder enteignet, erklärt ihr den Krieg.» © Weltwoche Verlags AG

Die Natur- und Mutter-Mythen des Roger K.

Jürgmeier /  «Vater Staat: Tödlicher Eingriff.» So läutet die «Weltwoche» die Kriegsreden des Chefs zum Kindsmord von Flaach ein.

«Meine Frau würde mich vermutlich umbringen, wenn ich ihr unsere drei Kinder wegnähme.» Verrät Roger Köppel in seinem ersten Editorial des Jahres 2015. Müssen wir uns Sorgen machen? Hat der Verleger und Chefredaktor eine potenzielle Mörderin geheiratet? «Nichts gegen meine Frau.» Weist der Liebende Befürchtungen und Mitgefühl zurück. Seine Frau sei wie die meisten Mütter, die er kenne. Und die «würden für ihre Kinder alles geben, … vielleicht sogar morden.»

Die Mutter von Flaach allerdings hat nicht alles für ihre Kinder gegeben, sie hat sie umgebracht. Wenn ich sie nicht haben kann, sollen sie nicht mehr leben. Das ist die Logik, die Liebe mit Besitz verwechselt. (Köppels Frau, so seine Phantasie, würde immerhin ihn, nicht ihre drei Kinder töten.)

«Wer einer Mutter die Kinder enteignet, erklärt ihr den Krieg»
«Wer sich zwischen eine Mutter und ihr Kind drängt, setzt zerstörerische Energien frei.» Das Bild, das an Kernspaltung erinnert, soll die Tragödie von Flaach erklären. «Wer einer Mutter die Kinder enteignet, erklärt ihr den Krieg. Wer die Kinder kurz darauf ins Kriegsgebiet zurückschickt, setzt sie unabsehbaren Gefährdungen aus.» Mit diesen Denkfiguren macht Köppel die «staatlichen Kinderschützer» für die Tat der Mutter (mit-)verantwortlich. Als würden Mütter ihre Kinder nur umbringen, wenn ihnen das Sorgerecht entzogen wird.

Der Versuch, das soziokulturelle Umfeld als Tat-Kontext einzubeziehen, ist bemerkenswert für ein Blatt, das es sonst nicht mit den «TäterversteherInnen» hat. Und es ist zu vermuten, dass die öffentliche Debatte über den Flaacher Kindsmord anders verlaufen, die KESB, nicht nur in der «Weltwoche», weniger oder gar nicht unter Beschuss geraten wäre, wenn ein Vater seine Kinder erstickt oder erschossen hätte.

Mutterliebe: «Eine Urkraft aus den Tiefen der Evolution»
Offensichtlich löst die gewalttätige Frau und Mutter weit mehr Beklemmung aus als der Mann als Täter, denn die Frau als (Kinds-)Mörderin verstösst nicht nur gegen das allgemein-menschliche Tötungsverbot, sondern vor allem auch gegen das Bild der heiligen Mutter beziehungsweise friedliebenden Frau. Wird sie zur Täterin, muss ihr Schlimmstes angetan worden sein. «Die Mutterliebe ist die intensivste bekannte Beziehungsenergie, eine Urkraft aus den Tiefen der Evolution. Wer sich unvorsichtig an diesem wundervollen, gefährlichen Magnetfeld zu schaffen macht, geht Risiken ein.» Warnt der schreibende Verleger alle, die in Frage stellen, dass Mütter (oder Familien) in jedem Fall ein liebevolles Umfeld für ihre Kleinen sind. Und will seine biologisch aufgeladenen Muttermythen – unter denen die Kinder als Opfer begraben werden und vergessen gehen – als «nüchterne Schilderung der Realität» verstanden wissen.

Als würde die Natur allen Kindern zu allen Zeiten die schützende Mutterliebe garantieren. Als würden Lebensrealitäten diesen Mythos nicht täglichstündlich widerlegen. Als wäre die Vorstellung dieser allumfassenden und bedingungslosen Mutterliebe, gleich der romantischen Liebe, nicht eine kulturell einigermassen neue Erscheinung. Der Wandel der «Gleichgültigen des 18. Jahrhunderts … in die besorgte Mutter des 19. und 20. Jahrhunderts», so Elisabeth Badinter in ihrem Buch «Die Mutterliebe», widerspreche der «Vorstellung von einem Instinkt, der gleichermassen das Tierweibchen und die Frau auszeichnen soll.»

«Er begehrt mich, also bin ich»
Aber der soziale Wandel von Männlichkeiten und Weiblichkeiten ist die Sache von Roger Köppel nicht. Wo immer Geschlechtervorstellungen und -realitäten im Spiel sind, greift der Frontmann der «Weltwoche» zur Naturkeule. So auch im September des letzten Jahres, als er in Zusammenhang mit den Badener Müllereien die Liebe als «Höllenmacht» beschwor und um Toleranz für «Männer, die ihren Trieben legal zum Opfer fallen» warb. «Es gibt zwischen Männern und Frauen ein Naturgesetz: Der Mann muss die Frau begehren.» Und das bringt ihn in Gefahr.

«Nichts», ermahnt er Männer am Beispiel von Geri Müllers Chattereien, «ist gefährlicher als das nachlassende Verlangen nach einer Frau, die man einst begehrte.» Frauen, so Köppels Angewandte Geschlechterphilosophie, «sind süchtig nach Beweisen männlichen Begehrens. Er begehrt mich, also bin ich.» Das aufklärerische «Ich denke, also bin ich» – noch in weiter Ferne, zumindest für Frauen. Aber auch «der begehrende Mann ist nicht mehr zurechnungsfähig.» Das «genetisch eingepflanzte Vermögen, die Frau unbedingt zu wollen», sei die Achillesferse des Mannes, «die empfindliche Lücke im Panzer».

Eigentlich müssten wir Roger Köppel dankbar sein. Dafür, dass er immer wieder anschauliche Belege dafür liefert, dass die Gleichheit der Geschlechter noch lange nicht so selbstverständlich ist, wie es Feministinnen und GenderspezialistInnen gerne um die Ohren geschlagen wird. Zum Beispiel, wenn Gleichstellungsbüros aus Budgets und «Gender» aus Lehrplänen gestrichen werden (sollen). Dafür, dass er sich nicht klammheimlich auf der Couch von PsychoanalytikerInnen offenbart, sondern an einer der öffentlichsten Stellen – im Editorial.

«Nie ist die Macht der Frau, nie ist die Ohnmacht des Mannes grösser»
Da zeigt sich der sonst so toughe Köppel in seiner ganzen Verletzlichkeit. «Der Mann ist am verwundbarsten, wenn er begehrt. Nie ist die Macht der Frau, nie ist die Ohnmacht des Mannes grösser…» Und wehe dem, der die Frau, die ihn erhört hat, nicht mehr begehrt. Die Qualen von unglücklich Verliebten erscheinen ihm nicht grösser als die Torturen, «welche die Frau gegen den Mann anwendet, der sie nicht mehr begehrt».

Abgesehen davon, dass der Verleger Roger K. mit solchen Geschlechterholzschnitten Auflage zu bolzen versucht – da hat einer wirklich Angst vor der Frau und Mutter. Zum Glück schützt die KESB (Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde) auch gestandene Männer.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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Eine Meinung zu

  • am 14.01.2015 um 23:46 Uhr
    Permalink

    Welch entlarvende Analyse – ein wahres Wort gelassen ausgesprochen – von Mann zu Mann! Ob Herr Köppel im Geschichtsunterricht vielleicht einen Fensterplatz hatte?

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