EU-Volk straft Russland-Boykotteure ab
Der European Song Contest (ESC) ist eine Musikveranstaltung und kein Politevent. Und selbst musikalisch ist die Sache oft eher fragwürdig. So steht etwa dieses Jahr fest, dass der Schwedische Sieger-Song wohl kaum gewonnen hätte, wenn nicht während seiner Darbietung immer noch ein lustiges Strichmännchen hinter und neben dem Sänger rumgeturnt wäre: Das schaffte über die Qualität der Musik hinaus Sympathie und Wiedererkennungswert. Marketingmässig hatten die Schweden ihre überragenden 365 Punkte somit redlich verdient. Das war keine Überraschung.
Überraschend war hingegen der gute zweite Platz der Russen mit 303 Punkten. Trotz Ukraine-Konflikt, Krim-Annektion und permanentem Putin-Bashing seit Monaten in ganz Westeuropa lagen die Musikanten aus Russland anfangs lange an der Spitze des «Votings». Dagegen halfen auch die bestimmt politisch motivierten Pfiffe aus dem Publikum in Wien wenig. Und die Kommentatoren auf allen Kanälen verzweifelten fast: «Wird dieses Jahr wohl die Musik mehr gewichtet, als politische Sympathie?» Jeden Zusatzpunkt für Runner-Up Schweden feierten sie geradezu euphorisch. Und als der dann gewonnen hatte, herrschte allgemeine Erleichterung.
Deutschlands Absturz
Viel erstaunlicher noch als der russische Erfolg war derweil die totale Pleite der Deutschen: Keinen einzigen der insgesamt 2320 Punkte, welche die 40 Länder (je 58 Zähler) verteilen konnten, ging an Deutschland. Fast leer ging mit nur 4 Punkten auch Frankreich aus. Mit 5 Punkten steht Grossbritannien als weiteres grosses EU-Land kaum besser da.
Gut: Die rundum trostlose Darbietung der Französin erklärt einiges. Und natürlich spielt die Musik bei der einzigen elektronischen Volks-Abstimmung in ganz Eurasien schon eine wichtige Rolle. Aber eben auch Sympathie und Politik: Nachbarvölker geben einander im ESC auch für eher missratene Liedchen regelmässig reichlich Punkte. Und wenn ein Land politisch abgemeldet ist, kann dessen Vertreterin noch so astrein ins Mikrophon trällern – es nützt alles nichts. Das hat wohl auch damit zu tun, dass zu wirklich wichtigen Politthemen (Krieg und Frieden und Spionage, die «gar nicht geht» – oder Sanktionen etc.) die Bevölkerung in der ganzen EU und weit darüber hinaus kaum je etwas zu sagen hat – geschweige denn abzustimmen.
Und so wird der ESC mitunter stets auch zu einem Polit-Ventil und -Barometer. Darum würden die Russen diesmal wohl ganz weit hinten hinaus fallen, so meinten und hofften viele Kommentatoren. Sie hatten sich total getäuscht – und ärgern sich nun. Abgestraft hat die elektronische ESC-Schaudemokratie nicht «den Russen», sondern «den Deutschen». Den Franzosen und den Engländer auch noch gleich: 303 Punkte für den ach so bösen Putin – 0 Punkte für die nette Merkel.
Das zeigt: Während die Polit-Machthaber in den Chefetagen der «führenden» EU-Länder nicht müde werden den russischen «Teufel» in der Gestalt Putins an die Wand zu malen und diesen zu boykottieren (wie neulich bei seiner Feier zum Sieg über die Nazis vor 70 Jahren), votet Europas Bevölkerung ganz unbekümmert für die Russen – und lässt die treibenden Russland-Boykotteure leer ausgehen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Amateur-Bassist (Fender).
Mit Verlaub , Herr Ramseyer , eine Frage:
Ziehen Sie eigentlich solche Schlüsse an ihren Haaren herbei, um damit periodisch Ihre Stirnglatze zu pflegen?
Sehr geehrte Damen und Herren von Infosperber
Ich informiere mich immer wieder gerne auf Ihren Seiten, insbesondere weil die Artikel meistens gut recherchiert und aus einer anderen Perspektive geschrieben sind und sich vom Boulevardjournalismus abheben. Der hier ist leider eine Ausnahme … .
Ich habe mir den ESC erspart. Nur die Punktemeldungen habe ich verfolgt. Die musikalischen «Werte» will ich nicht beurteilen. Aber dass die ehemaligen Sowjetrepubliken für Russland gestimmt haben war doch auffallend. England vergab dafür Punkte an das Commonwealth-Land Australien.
Ich finde den Artikel ganz gut.
Könnte es sein, dass im Nacken eines Charles-Louis Joris, eines Carsten Schmidt oder eines Jürg Schmid noch das Teufelchen «Kalter Krieger» sitzt und sie jetzt schmerzlich zur Kenntnis nehmen müssen, dass eine Mehrheit der einfachen Europäer_innen hinter den Kopf gegriffen und den kleinen Wicht in den Kehricht entsorgt hat?
Zweifelsfrei ist für mich, dass bei solchen Anlässen andere Faktoren mindestens auch eine Rolle spielen als lediglich die dargebotene Musik. Ob Herr Noris mit seiner freundlichen Frage richtig liegt oder der Autor, welcher die vergebenen Punkte in direkten Zusammenhang zu der Politik der jeweiligen Länder bringt, wage ich nicht zu beurteilen. Keine Ahnung.
Sollte es aber so sein, sollten die Taten von WWP und seinen Leuten der Grund sein, dass Russland mit an der Spitze lag, so würde mich das herzlich freuen, denn es würde zeigen, dass die Leute gemerkt haben, dass die Chorsänger (TV/Presse) verschweigen, verdrehen und lügen, und dass von der amtierenden Mannschaft im Kreml in Tat und Wahrheit noch und noch Impulse und Einladungen kommen, welche dem Wohle der Menschen dienen wollen.
Nein, überhaupt nicht kalte(r) Krieger, @Peter Beutler
Bloss ist das Phänomen der blockweisen Sympathiestimmen im ESC bereits ein seit eins-zwei Jahrzehnten existierendes – wenn man es denn überhaupt so nennen will – Problem. Auffallend war zudem früher auch, dass während der Kriege in Jugoslawien die meisten Stimmen der neuen Jugoslawenteilstaaten jeweils auch an die Teilnehmer des verfeindeten Staates gingen. (kann nachgesehen werden). Auch die Balten, Weissrussen, Russen und Finnen hielten oft zusammen.
In diesem Sinne meine ich, dass Herrn Ramseyers Quintessenzen in totaler Verkennung dieses ganz und gar nicht politisch motivierten Solidaritätsphänomens daher geschludert wurde, und wohl eher einem daher phantasierten Wunschdenken als der tatsächlichen Wirklichkeit.
@Thomas Ramdas Voegeli
Joris – nicht Noris.
Ist ja grad noch verzeihlich, hätten Sie allerdings Norris (mit zwei r) geschrieben, dann hätte ich Chuck gegen Sie angeheuert 😀 😀 😀 😀 😀 😀 😀 😀
@ Charles-Louis Joris
Oh. Danke für Ihre Nachsicht.
LoL.
Zu Korrektheit und Genauigkeit mal nebenbei – die Siezerei vo de Schwiizer im Netz lächert mich sowas von an.
.
Punktesysteme sind immer so oder komplett andersrum zu interpretieren. Was will einer mit seinem Punkt aussagen? Das mögliche Spektrum ist sehr weit.
Herr Ramseyer hängt sich weit zum Fenster hinaus, das denke ich auch. Dass mich seine Vermutung freut, ist meinem Wunschdenken geschuldet.
@Beutler: Nein, ich bin kein kalter Krieger. Aber ich bin überzeugt, dass da nicht nur die Darbietung bewertet wird. Es werden ebenso Sympathiestimmen verteilt. Man kann doch nicht einerseits erklären, man lasse die treibenden Russland-Boykotteure leer ausgehen und belohne Putin und anderseits so tun, als gehe es nur um die Bewertung der künstlerischen Leistung.
Was soll diese Kokophonie der Meinungen? Dies ist Infosperber unwürdig, wobei hier die Kritik nicht bei Infosperber liegt! Niklaus Ramseyer liegt ziemlich richtig, sagen wir mal eine 5! Schade, dass Russland nicht gewonnen hat. Der ESC ist genauso eine Farce wie das ganze Russland-Bashing. – Es gibt nur eines, die Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland müssen fallen, denn Russland gehört zu Europa!
Es heisst Kakophonie @Beda Düggelin – Ein Kokon tönt selten bis nie.
Und dann, nein, Niklaus Ramseyers Deutung der Stimmenabgaben – und um die geht es hier – ist falsch, respektive komplett daneben, oder vielleicht auch komplett neben dem Hosen. wie ich es weiter oben mit:
"Nein, überhaupt nicht kalte(r) Krieger, @Peter Beutler
Bloss ist das Phänomen der blockweisen Sympathiestimmen im ESC bereits ein seit eins-zwei Jahrzehnten existierendes – wenn man es denn überhaupt so nennen will – Problem. Auffallend war zudem früher auch, dass während der Kriege in Jugoslawien die meisten Stimmen der neuen Jugoslawenteilstaaten jeweils auch an die Teilnehmer des verfeindeten Staates gingen. (kann nachgesehen werden). Auch die Balten, Weissrussen, Russen und Finnen hielten oft zusammen.
In diesem Sinne meine ich, dass Herrn Ramseyers Quintessenzen in totaler Verkennung dieses ganz und gar nicht politisch motivierten Solidaritätsphänomens daher geschludert wurde, und wohl eher einem daher phantasierten Wunschdenken als der tatsächlichen Wirklichkeit. «
anhand von leicht nachprüfbaren Fakten schlüssig nachwies.
@M. Joris: Natürlich heisst es Kakophonie, nobody ist perfect, das war ja offensichtlich ein Verschreiber, allerdings wäre es schön, wenn die Blogger auf Infosperber, wenn sich etwas intellektueller zum Verhältnis West – Ost äussern würden!
Die Rechnung beim ESC, der eigentlich schon längst überflüssig ist und abgeschafft werden müsste (zahlen wir dafür Radio- und Fernsehempfangsgebühren?) ist doch ganz einfach. Die Organisation der nächsten Veranstaltung überlassen wir dem Westen, der hat ja Geld, oder zumindest Schulden. Aber bekanntlich kann man ja auch mit Schulden bezahlen…..
Die nächste Veranstaltung findet in Schwedenn statt, diese fand in Wien statt.
Ist das etwas zu westöstlich? Zu nah am Osten, Herr Düggelin?
Ja – die SRG zahlt dafür Gebühren an die Eurovisionsgemeinschaft; immerhin handelt es sich aber um eine der vom SRF-Publikum meist beachteten Sendung.
Bezüglich Qualität geh ich mit Ihnen einig – aber meine und Ihre Befindlichkeit alleine reichen nicht zur Begründung einer sofortigen Abschaffung
Gabriele Krone-Schmalz: «Russland verstehen. Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens.» Dieses Buch analysiert die lange westliche Tradition, Russland als Feind zu betrachten. Die Autorin – langjährige ARD-Moskau-Korrespondentin – zeigt mit unwiderlegbaren Fakten, wie die westlichen Medien sich manipulieren lassen.