Der Markt stoppt die Gier der Strombarone
Der erste Schönwetter-Manager der Schweizer Strombranche ging am 30. September überstürzt von Bord: Alpiq-Chef Giovanni Leonardi. Gleichzeitig kündigte Alpiq (Atel/EOS) die Entlassung von 450 Mitarbeitern und ein Restrukturierungsprogramm an. Auch BKW-Chef Kurt Rohrbach schickte 255 Angestellte nach Hause, während Axpo-Chef Heinz Karrer (NOK, CKW, EGL) die Zahl der Entlassenen noch geheim hielt.
Die Schweizer Medien rapportierten gehorsam, was die Strom-Bosse verlauten liessen: Die Gewinne und Umsätze der Stromkonzerne sind wegen der Finanzkrise, der Frankenstärke und der Fukushima-Katastrophe eingebrochen. Doch der wahre Grund des Katzenjammers liegt tiefer als dieses konjunkturelle Zittern. Die Probleme der Schweizer Stromkonzerne sind grösstenteils hausgemacht.
Gigantische Gewinnsteigerung der Strombranche
In den 90er Jahren wehrten sich die Apparatschiks der Elektrizitätswirtschaft mit Händen und Füssen gegen eine Liberalisierung des Strommarktes. Nach der Jahrtausendwende tauten sie rasch auf und merkten, dass sie mit der Veredelung von Atom-, Gas- und Kohlestrom viel Geld verdienen konnten. Die Wasserkraftwerke boten mit ihrer Spitzenenergie die ideale Voraussetzung dazu. Einen Teil der erzielten Milliardengewinne investierten die Stromkonzerne in Dutzende von Gas- und Kohlekraftwerken überall in Europa und in gigantische Pumpspeicherkraftwerke in den Schweizer Alpen.
Das Strom-Monopoly erreichte in den Jahren 2006 – 2008 seinen absoluten Höhepunkt. Der Gewinn allein der Axpo stieg von 529 Millionen im Jahr 2004 auf sagenhafte 1,436 Milliarden Franken im Jahr 2007. Laut der offiziellen Stromstatistik des Bundesamtes für Energie (BFE) lag der verteilbare Gewinn der gesamten Strombranche im Jahr 1999 noch bei bescheidenen 670 Millionen Franken. Zehn Jahre später stieg er auf gigantische 5,62 Milliarden an.
Milliarden für Pumpspeicherung und ausländische Kraftwerke
In den letzten zehn Jahren haben die grossen Stromkonzerne Milliardensummen in den Bau von Gas- und Kohlekraftwerken in ganz Europa investiert. Dadurch ist ein Schweizer Kraftwerkpark auf ausländischem Boden entstanden, der rund 50 000 Gigawattstunden (GWh) Strom produziert, wie die Schweizerische Energie-Stiftung SES berechnet hat. Zum Vergleich: Die gesamte Stromproduktion in der Schweiz beträgt 66 000 GWh. Im Ausland sind weitere 42 000 GWh geplant, so dass schliesslich die Schweizer Stromproduktion im Ausland rund 92 000 GWh betragen würde.
Zusammen mit der Inlandproduktion würde die Stromproduktion aus Schweizer Kraftwerken 158 000 GWh erreichen, was der 2,4-fachen Inlandproduktion entspräche. Auch im Inland sind die Stromkonzerne daran, Milliarden zu investieren: Das Pumpspeicherkraftwerk Linth-Limmern im Kanton Glarus kostet 2,1 Milliarden, Nant de Drance im Unterwallis 1,8 Milliarden. Die Schlussabrechnung dürfte weit darüber liegen. Linth-Limmern geht 2016 und Nant de Drance 2017 in Betrieb.
Pumpspeicherkraftwerke werden zu Investitionsruinen
Die Gefahr ist gross, dass die Pumpspeicherkraftwerke zu Investitionsruinen verkommen. Denn sie können nur rentabel betrieben werden, wenn die Marge zwischen billigem Bandstrom und teurem Spitzenstrom genügend gross ist. Und das macht den Strombaronen immer mehr Kummer. Weil im Pumpbetrieb rund ein Viertel des Stromes vernichtet wird, muss die Marge mindestens 25 Prozent betragen, damit keine Verluste entstehen.
Das ETH-Institut CEPE (Centre for Energy Policy and Economics) hat bereits im 2005 gewarnt: «Wenn langfristig zu Marktpreisen gepumpt werden muss, dann lohnen sich diese Projekte nicht.» Insbesondere die CO2-Abgaben auf fossilen Energien wirken sich laut CEPE «sehr ungünstig» auf zukünftige Pumpspeicherwerke aus.
Stromschwemme statt Stromlücke
Die Marge der Stromhändler ist im letzten Jahr massiv kleiner geworden, weil in Europa ein riesiger Stromüberschuss herrscht und folglich die Strompreise absackten. Der Stromüberschuss in den EU-Ländern liegt zwischen 15 und 25 Prozent, obwohl in Deutschland mehrere Atomkraftwerke abgeschaltet wurden. Die Szenerie ist grotesk: Während die Stromkonzerne in der Schweiz immer noch die Stromlücke an die Wand malen, tragen ihre Kraftwerke im Ausland zur europäischen Stromschwemme bei und drücken die eigenen Handelsmargen und Jahresgewinne.
Gleichzeitig bremst auch die Finanzkrise den privaten und industriellen Stromkonsum. Aus energiepolitischer und ökologischer Sicht ist die Verminderung des Stromverbrauchs durchaus erwünscht. Für die Stromkonzerne hingegen bedeutet dies einen Umsatz- und Gewinneinbruch.
Der Markt bestraft die Auslandstrategie
Der Katzenjammer der Stromkonzerne Axpo, Alpiq und BKW soll vor allem von ihrer verfehlten Strompolitik ablenken. Denn von einem Gewinneinbruch kann nur im Vergleich zu den Jahren der Überhitzung von 2006 bis 2008 gesprochen werden. Beispielsweise sind die Gewinne der Axpo seit 2009 auf rund 400 Millionen Franken, also auf Werte vor dem Boom zurückgekehrt. Im 2011 wird die Axpo dank der Strompreiserhöhungen in ihrem Absatzgebiet einen deutlich höheren Gewinn erzielen, wie der Halbjahresgewinn von 459 Millionen bereits andeutet. Trotzdem wollte auch Axpo-Chef Karrer nicht abseits stehen und stimmte in den Jammerchor ein.
Der Gewinn der Alpiq lag in den Jahren 2009 und 2010 bei 676 Millionen beziehungsweise 645 Millionen. Wegen dem massiven Einbruch der Stromhandelsmargen sank der Halbjahresgewinn 2011 auf 155 Millionen. Und auch der Aktienkurs bestrafte die internationale Strategie der Alpiq brutal: Seit dem Sommer 2008 ist der Aktienkurs der Alpiq um 75 Prozent gefallen. Im zehnjährigen Vergleich nähert sich die Alpiq-Aktie wieder dem Wert vor dem Handelsboom.
13,3 Milliarden Gewinnreserven angehäuft
Obwohl die Stromkonzerne Milliarden in Gaskraftwerke und Pumpspeicherkraftwerke investierten, und obwohl sie sich bei Termingeschäften an den Strombörsen verspekuliert haben, legten sie im Hinblick auf den Bau neuer Atomkraftwerke sehr komfortable Fettpolster an: Beispielsweise hat die Axpo ihre Gewinnreserven in den Jahren von 2005 bis 2010 von 4,3 Milliarden auf 7,3 Milliarden Franken erhöht und diese als Eigenkapital ausgewiesen. Die Alpiq und die BKW weisen je 3 Milliarden Gewinnreserven auf. In den Kassen dieser drei Stromkonzerne liegen also grandiose 13,3 Milliarden Franken bereit. Dazu kommen noch die flüssigen Mittel, welche bei der Axpo rund 2,3 Milliarden, bei der Alpiq rund 1,2 Milliarden und bei der BKW 432 Millionen betragen.
Stromproduktion im Ausland dient allein dem Profit
Ende November 2011 mussten die Alpiq-Verantwortlichen zugeben, dass man sich mit der Auslandstrategie vergaloppiert hatte: Wertberichtigungen und Rückstellungen in der Höhe von 1,7 Milliarden belasten das Jahresergebnisses 2011 schwer. Alpiq hat auch über die zukünftige Konzernstrategie informiert: Abkehr vom reinen Handelsgeschäft und Konzentration auf die Eigenproduktion. Von einem Rückzug aus dem riskanten Kraftwerkbau im Ausland und Inland ist keine Rede. Dabei spielen die Auslandproduktion für die Stromversorgung der Schweiz gar keine Rolle, wie selbst die Stromlobby auf ihrer Propaganda-Homepage «immergenugstrom.ch» festhält: «Die Option, Kraftwerke im Ausland zur Sicherstellung der Stromversorgung der Schweiz zu bauen, ist unrealistisch».
Auch laut der neoliberalen Avenir Suisse «muss die Zweckmässigkeit des Auslandengagement hinterfragt werden», weil die Investitionen «in erster Linie finanzieller Natur» und die meisten Stromproduzenten in öffentlicher Hand seien. Im Mai 2011 nahm auch der Regierungsrat des Kantons Bern zu einer Interpellation im bernischen Grossen Rat Stellung: «Aus Sicht der Wertschöpfung und der Arbeitsplätze ist es vorteilhaft, den Strom im Inland zu produzieren.»
Stromlobby hat den ökologischen Umbau verhindert
Die Stromwirtschaft hat sich in den letzten zehn Jahren hauptsächlich um den Stromhandel und den Kraftwerkbau im Ausland gekümmert. Der ökologische Umbau in der Schweiz wurde dadurch verhindert. Dies zeigen die Zahlen der Alpiq eindrücklich: Die Gesamtleistung der fossil-thermischen Alpiq-Kraftwerke in den EU-Ländern Italien, Tschechien, Ungarn und Deutschland beträgt 2550 MW. Zum Vergleich: Die Alpiq-Wasserkraftwerke in der Schweiz haben eine Gesamtleistung von 2866 MW.
Die Gesamtleistung der von Alpiq betriebenen Kleinwasser-, Wind- und Solarkraftwerke in der Schweiz hingegen beträgt mickrige 10 MW, also 0,4 Prozent der Auslandleistung der fossil-thermischen Kraftwerke. Der Bund hat versucht, mit ein paar Hundert Millionen Franken aus der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) Gegensteuer zu geben. Mit sehr bescheidenem Erfolg.
Milliardenreserven für die neuen erneuerbaren Energien
Angesichts der Fehlinvestitionen der Strombranche und der zweistelligen Milliardenbeträge in den Schatullen der Stromkonzerne, ist nun die Politik gefordert. Mit KEV-Sandkastenübungen ist der Atomausstieg nicht zu bewältigen. Es braucht eine griffige eidgenössische Strompolitik. Der Bund und die Kantone müssen die staatseigenen Stromkonzerne endlich in die Pflicht nehmen und ihnen Jahresquoten für die Produktion von neuen erneuerbaren Energien und die Stromeffizienz vorgeben. Die Milliarden liegen in den Reserven der Stromkonzerne abholbereit. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Stromwirtschaft diese Milliarden erneut im Ausland und in Pumpspeicherwerken verpulvert.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Mitglied des Beirates der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) bis am 4. Januar 2012
Der europaweite Ausbau der erneuerbaren Energien könnte gerade auch für diese Konzerne eine grosse Chance sein: Pumpspeicherwerke sind eine gute Ergänzung zu Wind- und Solarenergie. Es ist zu hoffen, dass die Herren Karrer, Rohrbach etc. das bald begreifen und gleich noch einen Teil ihrer gewaltigen Gewinnreserven in Photovoltaik investieren. Damit könnten sie Hunderte neuer Arbeitsplätze schaffen und ihr Kapital wäre über mehr als 30 Jahre sicher angelegt. Oder wollen sie das Geld auf der hohen Kante behalten, da sie immer noch auf neue AKW hoffen?