Tagesschau liess Zuschauer über den «Kampf» ratlos
Die Schlagzeilen kündigten den «Kampf gegen die Krise» an: Die Europäische Zentralbank EZB habe den Interbanken-Zins (was ist das?) von 1 Prozent auf 0,75 Prozent gesenkt. Dies sei «für die Wirtschaftsgeschichte ein bedeutender Schritt», erklärte Moderator Franz Fischlin bombastisch. «Das Geld im Euro-Raum» sei noch nie so billig gewesen.
Trotzdem hätten die Börsen negativ reagiert, räumte Fischlin kurz darauf ein. Sie hätten wohl eine stärkere Senkung des Zinssatzes als nur um ein Viertel Prozentpunkt erwartet. Offensichtlich war der Schritt für die Wirtschaftsgeschichte doch nicht dermassen bedeutend. Tatsächlich lag dieser Zinssatz – mit einem kurzen Unterbruch – schon seit Mitte 2009 bei tiefen 1 Prozent.
Etwas später meinte selbst der Moderator, es handle sich um «eine eher psychologische Massnahme», was ein Banker der UBS dann bestätigte. Dieser erkärte, dass die Senkung des Zinses um ein Viertel Prozent «die Probleme der Schuldenkrise sicher nicht löst». Und im folgenden Filmbeitrag erfuhr man überdies: Das Geld kommt bei den Unternehmen gar nicht an. Ein weiterer Banker erklärte, der Kanal zu den Unternehmen sei «verstopft».
Viele Zuschauerinnen und Zuschauer blieben ratlos: Wer verstopft denn den Kanal? Wo bleibt der angekündigte «Kampf gegen die Krise»? Und was ist der «bedeutende Schritt für die Wirtschaftsgeschichte»?
Und was wieder einmal auffiel: In der Tagesschau kamen ausschliesslich zwei Banken-Vertreter zu Wort, obwohl die Banken – als zu rettende und zu regulierende – in der Finanzkrise einseitige Interessen verfolgen. Die beiden Banker wurden erst noch in der Rolle als Experten befragt, anstatt ihnen wenigstens kritische Fragen zu stellen.
Immerhin ist wohl ungewollt eine wichtige Botschaft bei den Leuten angekommen: Der «Kampf gegen die Krise» erfolgt mit stumpfen Waffen und wirkt ziemlich hilflos.
Im nächsten Beitrag berichtete die Tagesschau über die Reaktion im Kanton Zürich auf den vom Bundesrat vorgeschlagenen Staatsvertrag mit Deutschland. Es war alles verständlich.
«Risques majeures»
Dann stellte die Tagesschau eine «wissenschaftliche Studie» über mögliche gesundheitliche Schäden von Windkraftwerken vor: «Sind Windmasten eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit?». Die Direktorin der Studie, Natacha Litzistorf, sagte im Interview, es seien «keine grösseren Gefahren» («risques majeures») für die Bevölkerung zu befürchten. Der TV-Reporter übersetzte dies mit «keine Gefahren» und der Moderator mit «Entwarnung». Korrekt übersetzt ist das nicht.
Tatsächlich «können gewisse Anwohner darunter leiden», wurde Litzistorf im weiteren übersetzt. Aha, also doch ein Risiko? Allerdings erfuhr man nicht, wie viele Menschen in welchem Abstand zu den Windmasten mindestens subjektiv leiden. Es wurde nicht danach gefragt.
Welche Bestimmung ist Stein des Anstosses?
Unter den folgenden Kurznachrichten erfuhren die Zuschauer, dass Gegner des Tierseuchengesetzes das Referendum eingereicht haben. Warum? Laut Referendumskomitee würden «Eigenverantwortung, Entscheidungsfreiheit und Erfahrungskompetenz der Tierhalter stark beschnitten», informierte die Tagesschau und speiste die Zuschauer mit diesen Schlagwörtern ab. Kein Wort darüber, welches denn der umstrittendste neue Gesetzesparagraph ist.
Dann informierte die Tagesschau über den parlamentarischen Untersuchungsbericht zur Reaktor-Katastrophe in Fukushima. Der Bericht war informativ und klar.
Ein unnötiger Fehler schlich sich ein: Der Moderator sagte, «erstmals seit der Katastrophe vor 15 Monaten produziert Japan wieder Atomstrom». Der Korrespondent doppelte nach: Japan habe «nach Fukushima alle Meiler vom Netz genommen, bis heute».
Richtig ist, dass Japan das letzte laufende AKW erst Anfang Mai 2012 abgestellt hat. Eine Google-Suche mit den Stichworten «Japan Atomkraftwerk abschalten» hätte diesen Fehler vermieden. Im Zusammenhang mit dem Untersuchungsbericht ist dies zwar irrelevant, doch hat die Tagesschau diese falsche Darstellung zweimal verbreitet.
Der Rest der Tagesschau mit Beiträgen über Ursachen eines Flugzeugabsturzes, Südkoreas Entscheid zum Walfang, dem Fund eines Schiffes im Vierwaldstättersee usw. haben wir nicht näher analysiert. Sie schienen aber gut aufbereitet und verständlich.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
In den meisten Massenmedien ist es leider üblich geworden, dem «Medienkonsumenten» – um nicht zu sagen der «Zielgruppe» – ein paar Statements irgendwelcher Protagonisten um die Ohren zu hauen und ihn dann mit dieser Halbinformation allein zu lassen. Dies betrifft die Tagesschau und Gratiszeitungen in starkem Mass, immer mehr aber auch andere Zeitungen. Wer sich wirklich eine Meinung bilden will, kommt nicht darum herum, sich zusätzliche Informationen zu beschaffen.
Eine löbliche Ausnahme stellt immer noch Radio DRS dar, wo Hintergrundberichte im Mittags- und Abendjournal immer noch zum Standard gehören. Auch wenn es neuerdings «SRF» heisst.