Golgotha

Von Golgota verläuft eine blutige Spur durch die Weltgeschichte © Mihály von Munkácsy (1884)

Ostern ohne blutiges Ritual und absurde Lehren

Kurt Marti /  Ostern ist geprägt von Kreuz und Auferstehung, von Osterhasen und Ostereiern. Auf Blut und Absurditäten könnte man gut verzichten.

ktm. Jedes Jahr in der Karwoche wird die biblische Oster-Geschichte herausgeputzt und schöngefärbt wie ein Osterei. Dabei wird auch dieses Jahr ausgeblendet, welche menschenfeindliche und abstruse Geschichte wirklich dahinter steckt. Deshalb stellen wir den Beitrag «Ostern ohne blutiges Ritual und absurde Lehren» vom 9. April 2012 noch einmal online.

In seinem Buch «Der Anfang aller Dinge» schreibt der katholische Theologe Hans Küng: «Was aber ist dann das Kriterium des Christlichen, das unterscheidend Christliche? Es ist nicht ein abstraktes Etwas, auch nicht eine Christusidee, eine Christologie oder ein christozentrisches Gedankensystem, sondern ist der konkrete gekreuzigte Jesus als der lebendige Christus, als der Massgebende.» Dieser Gekreuzigte und Auferstandene steht im Zentrum des kirchlichen Oster-Rituals. Auf ihn setzen viele Millionen Christinnen und Christen ihre Jenseits-Hoffnungen. Ein zweifelhaftes und brüchiges Fundament, denn hinter dem blutigen Ritual der Kreuzigung steht eine menschenverachtende Lehre und hinter der Auferstehung urmenschliche Wunschvorstellungen.

Paulus erfand die absurde Lehre der Erbsünde

Der blutige Tod am Kreuz ist untrennbar verbunden mit der absurden Lehre von der Erbsünde, welche der religiöse Eiferer Paulus erfunden hat, um den Kreuzestod Jesu nachträglich zu rechtfertigen. Gott liess demnach seinen eigenen Sohn von den Juden ermorden, damit die Christen mit göttlichem Blut von der Erbsünde reingewaschen werden. Die Dramaturgie dieser unglaublichen Geschichte war überdies im Alten Testament vorherbestimmt, so dass die Schauspieler des Neuen Testamentes unter Missachtung der Freiheitsrechte nur noch wie programmierte Roboter zu funktionieren hatten.

Der Mensch wird durch die christliche Konstruktion der Erbsünde grundlos beschuldigt und lebt als bloss Begnadigter weiter, ohne dass er sich der Gnade Gottes je sicher sein kann. Die Lehre der Erbsünde stempelt die Menschen als verderbte Wesen ab und liefert sie der Willkür eines richtenden Gottes aus. Eine solche Anthropologie ist menschenverachtend. Sie erniedrigt und degradiert den Menschen.

Blutorgie als «mentale Vorbereitung auf Grausamkeiten im Namen Christi»

Der Philosoph Herbert Schnädelbach kommt in seinem Buch «Religion in der modernen Welt» zum Schluss, dass die humanistische Idee zweitausend Jahre lang durch die paulinische Lehre von der Erbsünde «korrumpiert» wurde: «Das Christentum kann sich Glaube-Liebe-Hoffnung nicht ohne Blut vorstellen; je blutiger, desto authentischer.» Für Schnädelbach hat diese Blutorgie «auch der mentalen Vorbereitung auf die Grausamkeiten im Namen Christi gedient.» Von den Kreuzzügen über die Hexenverbrennungen bis zu den Religionskriegen.

Als Christus starb, verfinsterte sich der Himmel und noch heute geht von Golgota, diesem morbiden Hügel ausserhalb Jerusalems, eine beklemmende Dunkelheit aus. Die Evangelisten schufen den Verräter Judas, der als personifizierte Metapher des Judentums zweitausend Jahre lang die Geschichte Europas und des Nahen Ostens verseuchte; von den Judenverfolgungen über den Holocaust bis zum heutigen Nahostkonflikt.

Auch der babylonische Gott Bel-Marduk wurde hingerichtet

Laut Bibel wurde Christus verfolgt, gekreuzigt, starb, stand wieder auf und fuhr in den Himmel auf. Er war nicht der einzige. Wie der Kirchenkritiker Karlheinz Deschner eindrücklich aufgezeigt hat, weisen viele Götter und Gottmenschen verblüffende Parallelen zu Jesu Leben und Sterben auf. Zum Beispiel der babylonische Gott Bel-Marduk: Wie Jesus wurde auch Bel-Marduk gefangen genommen, verhört, zum Tod verurteilt, gegeisselt und mit einem Verbrecher hingerichtet, während ein anderer Verbrecher freigelassen wurde. Wie Jesus hatte er die Fähigkeit, Tote zum Leben zu erwecken und galt als vom Vater gesandter Erlöser. Der Theologe Hans Küng irrt also, wenn er das unterscheidende Kriterium des Christlichen im Gekreuzigten sieht.

Viele Götter beherrschten damals die Kunst des Auferstehens

Auch die Kunst des Auferstehens war laut Deschner damals weit verbreitet: Der babylonische Gott Tammuz stand ebenso von den Toten auf wie der syrische Adonis, der phrygische Attis, der ägyptische Osiris und der thrakische Dionysos. Osiris stand am dritten Tage wieder auf und Attis am vierten. Deshalb schwankten die Evangelisten zwischen dem dritten und vierten Tag.

Paulus litt vermutlich unter einer Schläfenlappen-Epilepsie als er den auferstandenen Christus im gleissenden Licht zu sehen und dessen Stimme zu hören glaubte. Sensorische Störungen wie Lichteindrücke und akustische Halluzinationen sind nämlich typisch für diese Form der Epilepsie. Und Paulus wird nicht der einzige gewesen sein in dieser Zeit, wo sich Wirklichkeit und Wunschvorstellungen problemlos überschnitten.

Schlussendlich war Christus auch nicht der erste, welcher wie eine Apollo-Rakete in den Himmel fuhr. Vor ihm taten das beispielsweise auch Herakles und Dionysos, welche sogar Fussspuren auf dem Boden hinterliessen. Kein Wunder, dass der Kirchenlehrer Hieronymus im 5. Jahrhundert behauptete, die Fussspuren des himmelwärts gefahrenen Christus seien noch immer sichtbar.

Antike Lichtsymbolik und alteuropäische Frühlingsfeste

Die Anthropologie des Kreuzes ist menschenverachtend und die Auferstehung eine urmenschliche Wunschvorstellung oder gar eine paulinische Schläfenlappen-Epilepsie. Was bleibt dann noch Verwendbares vom Osterfest übrig? Um das zu ergründen, kann ein Blick in die NZZ vom 5. April 2012 nicht schaden. Dort steht ein aufschlussreiches Interview mit dem katholischen Ethiker Markus Arnold und dem reformierten Dogmatiker Pierre Bühler. Auf die Frage, welches ihre wichtigsten Bezüge zu Ostern seien, nannte Arnold als erstes ausgerechnet «die aus der Antike stammende Lichtsymbolik» und die «alteuropäischen Symbole wie das Ei» und Bühler das «Passahfest» und die «alteuropäischen Frühlingsfeste mit ihren Fruchtbarkeitssymbolen wie Hase und Eier».

Über die nicht-christlichen Rituale und Symbole wussten Arnold und Bühler ziemlich unverkrampft zu berichten. Sobald aber die Fragestellung zur Kreuzigung und zur Auferstehung wechselte, begannen die Widersprüche und Ausflüchte: Von der Gülle der Katholiken an Karfreitag bis zur «schwierigen Frage» des Blutopfers. Unbestreitbarer Höhepunkt war dabei die Antwort von Arnold zum Problem der Gottheit Christi: «Es wird nur zum Problem, wenn man einen gewaltigen Unterschied zwischen Mensch und Gott macht. Meine Überzeugung ist: Jesus wird von uns nicht deshalb als Gott verehrt, weil er so abgehoben war, sondern weil er so radikal menschlich war».

Wieso nicht unverkrampfte Ostern?

Was um Himmels Willen ist «radikal menschlich» an Christus, der eine Lizenz zum Wunder wirken hatte, der Menschen zum Leben erweckte, der von den Toten auferstand, der vom Heiligen Geist gezeugt wurde und barfuss in den Himmel auffuhr? Entweder ist er nun Gottes Sohn und folglich göttlich oder er ist ein gewöhnlich Sterblicher und folglich menschlich. Arnolds Antwort zeigt die Absurdität dieses Konstrukts. Deshalb lautet die entscheidende Frage ganz einfach: Wieso nicht unverkrampfte Ostern, ohne blutiges Kreuzritual und ohne absurde Lehren?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine. Kurt Marti ist Journalist und wohnt in Brig-Glis. Er ist mit dem Schriftsteller Kurt Marti nicht verwandt.

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4 Meinungen

  • am 29.12.2012 um 21:08 Uhr
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    Vielen Dank für diesen Beitrag! Nach meiner Ansicht (und der vieler meiner Freunde) war Jesus ein Mensch (kein Gott) der über die Fähigkeit verfügte, den damals üblichen grausamen Verhaltensweisen der Menschen alternative, moderne und vor allem funktionierende Verhaltensweisen gegenüberzustellen und vorzuleben.
    Das war revolutionär und schön, und viele haben das damals verstanden.
    Leider haben sich viele Scharlatane an ihn drangehängt und als Resultat ist die Bibel meilenweit davon entfernt, die wirklichen Absichten Jesu wiedergeben zu können.
    Die Instrumentalisierung Jesu zur Machtherstellung und -erhaltung haben aus der Kirche einen Angstorden gemacht, denn Menschen mit Angst sind leicht zu regieren.
    Jesus hatte sicherlich das gegenteilige Ziel. Also nichts mit Blut und Schuld und Scham und Angst und Macht und Erpressung und Zwangsabgaben an die Kirche. Ergo: es wird Zeit für ein neues Christentum. Eins, das durch Reinheit und Schönheit alle Menschen überzeugt.

  • am 27.03.2016 um 16:28 Uhr
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    Die christliche Gemeinde formierte sich als Gemeinde der Sünder (im Unterschied zu der Gemeinde der Gerechten, den Pharisäern). Sie hatte daher unvermeidlich ein großes Interesse an der Frage: Wie kann es zu einer Vergebung der Sünden kommen?
    Wir wissen heute, dass die Verfechter von «Schönheit» und «Modernität» nicht fähig und nicht ernsthaft gewillt sind, ernsthafte, gegen sie gerichtete Sünden zu vergeben. Es bleibt also dabei, dass der natürliche Vergeltungsdurst der Menschen nur dort gestillt wird, wo ein Mensch sich stellvertretend für alle anderen aufopfert – und wir sollten mal besser darauf hoffen, dass dieser Mensch Gott war, sonst würde sein Opfer nämlich keine große Reichweite haben.

  • am 28.03.2016 um 00:41 Uhr
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    Ich bin sehr einverstanden mit dem Artikel, vor allem was über die Erbsünde gesagt wird. Aber ich bin auch ein Fan von Jesus. Ich bin der Meinung, dass er zutiefst menschlich ist, also die menschlichen Werte gelebt hat, und diese Werte leben hiess damals, gegen viele Tabus zu verstossen. Das hat er mit sehr viel Mut gemacht. Vor allem hat er die Frauen auf die gleiche Stufe gestellt wie die Männer.
    Alles ander ist für mich unwichtig, ob er Gott war, ob er auferstanden ist usw. interessiert mich nicht. Das hat mit ‹meinem Vorbild Jesus› nicht zu tun.

  • am 29.03.2016 um 17:16 Uhr
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    Mit Bezug auf Voltaires «Écrasez l’infâme!» fragt man sich mit Beklemmung, wie niederträchtig die «catholica» im Wallis war oder noch ist, dass sie noch heute solche Opposition wie diejenige von Kurt Marti produziert. – Gleichzeitig nimmt man zur Kenntnis, dass es sie immer noch gibt: die in ihren Schützengräben grimmig verharrende, in religiösen Fragen mit ideologischen Fertigteilen hantierende Linke, die so limitiert ist, dass sie verstaubte Texte rezyklieren muss, um sich ihrer Gewissheiten zu versichern. – Und man wünscht dem Autor und dem Milieu, das er beliefert, sie mögen sich bei René Girard, Charles Taylor oder Antje Schrupp kundig machen: http://www.zeit.de/kultur/2016-03/karfreitag-feiertag-ostern-care-woche-leid-10nach8/seite-2

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