Hatz gegen Tamilen bleibt weitgehend tabu
Seit nunmehr fast dreissig Jahren werden tamilische Flüchtlinge in der Schweiz immer wieder falsch angeschuldigt. Zum ersten Mal haben «10vor10» und der «Tages-Anzeiger» ein grosses Unrecht angeprangert. Es war höchste Zeit. Denn früher hatten sie die Feme mitgetragen.
Tamilen als Drogenhändler diffamiert
Bereits anfangs der Achtzigerjahre wollte der damalige Flüchtlingsdelegierte Peter Arbenz unter der Justizdirektorin Elisabeth Kopp die tamilischen «Wirtschaftsflüchtlinge» aus Sri Lanka allesamt ausschaffen. Der «Blick» heizte die Stimmung auf mit einer Artikelserie über den Heroinhandel in der Schweiz, der angeblich von Tamilen beherrscht werde. Es war ein verlogener Kampagnenjournalismus mit erfundenen Behauptungen und aufgebauschten Einzelfällen, den das Duo Kopp/Arbenz stillschweigend billigte.
Die Methode war ähnlich wie später bei den Kampagnen über Scheininvalide oder Fürsorgebetrüger: Man verallgemeinert Einzelfälle. Die Tamilen boten sich dazu geradezu an, denn sie hatten keine Fürsprecher und waren als Gemeinschaft isoliert.
Die geplante Massenausschaffung stand 1987 kurz vor dem Erfolg. Doch da platzte das indo-srilankische Friedensabkommen, und als erste Vollzugsbehörde weigerte sich die Berner Kantonsregierung, die Weisung des EJPD zu befolgen. Dann strauchelte Kopp über ihre eigene Affäre, Arbenz begann mit der Asylbewegung, vor allem mit dem engagierten Arzt Peter Zuber, im Stillen zu verhandeln, und die Tamilen wurden «vorläufig aufgenommen». Der vage Status sollte die Tür zu weiteren Ausschaffungsversuchen einen Spalt offen lassen.
Kleinste Regelwidrigkeit als Anlass einer Ausschaffung
Bereits im Jahr 1990 erprobte der Bund an den Tamilen eine verschärfte Ausschaffungspraxis für Asylbewerber, die sich etwas zu Schulden kommen liessen. Der Regelverstoss reichte vom Ladendiebstahl bis zur «Verletzung der Mitwirkungspflicht im Asylverfahren», was einen weiten Ermessensspielraum offen liess. Als damaliger Leiter der Koordinationsstelle Tamilen in Bern konnte ich im persönlichen Gespräch mit Arbenz einige angedrohte Ausschaffungen abwenden, aber die strukturelle Bedrohung blieb und liess nicht wenige Tamilen, die den unsicheren Status der Vorläufigkeit nicht ertrugen, von sich aus wegziehen in ein anderes Land. Sie liessen eine ganze Menge Gelder bei der AHV liegen, welche die Tamilen einbezahlt, bei ihrer Auswanderung aber nicht zurückverlangt hatten. Denn niemand hatte sie über dieses Recht aufgeklärt.
Stimmung für Attentate gegen Tamilen geschaffen
Derweil wütete ein Bürgerkrieg im Norden Sri Lankas, und im Süden wurden Tamilen, die aus dem Norden stammten, als Terroristen verfolgt. Trotzdem wurden die Behörden nicht müde zu behaupten, die Tamilen könnten gefahrlos in ihre Heimat zurückkehren; sie hätten dort nichts zu befürchten. Dies begünstigte jene rabenschwarze Logik, nach der im Grunde jeder Tamile, der nicht freiwillig nach Sri Lanka zurück reiste, sich ohne Berechtigung in der Schweiz aufhielt. Diese behördlich begünstigte Stimmung war der erste Nährboden für Attentate gegen Tamilen.
Attentate im Jubeljahr
Noch kleiner wurde die Hemmschwelle gegenüber der Gewalt, als die 700-Jahr-Bundesfeiern nahten, die dank öffentlich zelebriertem Nationalismus den Rechtsextremismus hinter sich her schleppte. Nie mehr, weder vorher noch nachher, gab es laut Statistik in der Schweiz so viele Attentate gegen Flüchtlinge wie um das Jubeljahr 1991 herum. Vier Asylsuchende, darunter zwei tamilische Kinder, verloren bei einem (nie aufgeklärten) Brandanschlag in Chur ihr Leben. In Regensdorf bei Zürich tötete der Schweizer Ex-Boxchampion W. E. den jungen Tamilen «Jeevan» mit einem einzigen Faustschlag. Der trauernde Wirt, bei dem dieser gearbeitete hatte, sagte, es sei gewesen, als ginge die Sonne auf, wenn Jeevan zur Arbeit kam; er habe gelacht, wenn er gekommen sei, und habe gelacht, wenn er wieder nach Hause ging.
Für Lebende zumutbar, was mit dem Toten scheiterte
Über diesen getöteten Tamilen habe ich den Film «Jeevan» gedreht. Die Handlung rekonstruierte den Tathergang und eine Reise mit der Urne von Jeevan nach Chavakachcheri, der Stadt im Norden Sri Lankas, aus der er in die Schweiz geflüchtet war. Erstaunlich war, dass die Flüchtlingsbehörden des Bundes Tamilen nach Sri Lanka damals ohne Bedenken ausschafften, es aber gleichzeitig nicht fertigbrachten, den Leichnam nach Chavakachcheri zu überführen. Die Rückkehr für Lebende war laut Behörden zumutbar, während sie den Leichentransport wegen der Kriegswirren nicht zustande brachten. Das war der Grund, weshalb Jeevan in der Schweiz kremiert werden musste.
Rivalen mit falschen Anschuldigungen
Ähnlich wie einst im spanischen Bürgerkrieg gab es auch innerhalb des tamilischen Widerstands (gegen die chauvinistische singhalesische Zentralregierung) rivalisierende Organisationen, die um ihre eigene Vorherrschaft kämpften. Diese Rivalisierung setzte sich in der Diaspora fort. Tamilische Splittergruppen klagten Exponenten der Tamil Tigers in der Schweiz an, sie würden ihre Landsleute erpressen und sammelten auf diese Weise Gelder, um den Befreiungskampf in Sri Lanka zu unterstützen. Die Rivalen unternahmen im Laufe der letzten Jahrzehnte eine ganze Reihe solcher politisch motivierter Kriminalisierungsversuche. Doch jedes Mal mussten die Untersuchungsrichter am Ende feststellen, dass die Strafanzeigen auf falschen Anschuldigungen beruhten. Zu einer Verurteilung kam es nie.
Die geheimnisvolle Rolle von Ronald Sonderegger
Am 14. Januar 1996 lancierte Ronald Sonderegger in der Sonntagszeitung auf drei Seiten eine Kampagne, die alles Bisherige übertraf. Auf der Frontseite und den Seiten 2 und 3 prangerten Titel wie «Gewalt, Tote: Tamilen erpressen Schutzgelder» oder « Wer nicht zahlt, muss um sein Leben fürchten». Akribisch zählte er 13 Fälle von gravierenden Straftaten unter Tamilen auf, die im Zusammenhang mit Gelderpressungen verübt worden seien, und bezeichnete Nadarajah Muralitharan (mit vollständiger Adressangabe und Bild) als Drahtzieher, weil er der Chef des politischen Flügels der Tamil Tigers in der Schweiz war. Recherchen ergaben, dass keine einzige dieser Straftaten auch nur einen entfernten politischen Zusammenhang mit den Tamil Tigers hatten. Sie entpuppten sich alle als gewöhnliche Kriminalia.
Ronald Sonderegger, ehemaliger Gerichtsberichterstatter mit Affinitäten zu den schweizerischen Nachrichtendiensten, konnte ich nicht mehr dazu befragen, da er kurz nach seinem Artikel an Malaria starb, mit der er sich in Afrika infiziert hatte. Seine Story hatte sich ungeprüft verbreitet. Praktisch alle Schweizer Zeitungen, vom Landboten bis zum Walliser Boten reproduzierten anderntags am Montag die Anschuldigungen Sondereggers ungefiltert und unkontrolliert. Es blieb ihnen effektiv keine andere Wahl, wenn sie im Geschäft der Sensation bleiben wollten. Denn kritische Nachfragen bei den zuständigen Behörden waren am Wochenende kaum möglich.
Razzia während Verhandlungen
Das war eine perfekte Stimmungsmache, um wenige Wochen danach in einer landesweit koordinierten Polizeiaktion am 10. April 1996 zur Tat zu schreiten, im Beisein einer Equipe von «10vor10» unter der Regie von Michèle Sauvain, Ehefrau von Filippo Leutenegger. In fünf Kantonen wurden 15 Tamilen verhaftet, überlebenswichtige Hilfsgelder für die Kriegsopfer im Norden Sri Lankas beschlagnahmt, ebenso die Computer mit den Adresskarteien der Spender.
Muralitharan Nadarajah blieb acht Monate lang in einem Zürcher Untersuchungsgefängnis, bis er Ende 1996 mit einer Entschädigung von 100‘000 Franken auf freien Fuss gesetzt werden musste. Die Anschuldigungen der tamilischen Rivalen fielen rasch in sich zusammen.
Weshalb der Hauptangeschuldigte dennoch so lange in Untersuchungshaft bleiben musste, wäre unverständlich, wenn man nicht folgendes in Betracht ziehen würde: Die Schweiz verhandelte damals mit der srilankischen Regierung über ein bilaterales Rückschaffungsabkommen, um tamilische Flüchtlinge in «grösserer Anzahl» nach Sri Lanka «zurückführen» zu können, wobei der damalige Aussenminister Kadirgama nur bereit war, dem Abkommen zuzustimmen, wenn die Schweiz den Geldsammlungen in der tamilischen Diaspora einen Riegel schiebt. Seine Begründung: die hierzulande gesammelten Gelder würden nicht Kriegsopfern helfen, sondern den Kampf der Terroristen verlängern.
Sondereggers posthume Folgen in Kanada
Muralitharan flüchtete nach seiner Freilassung zuerst nach Frankreich, dann nach Südafrika, Botswana, Brasilien, Mexico und schliesslich nach Kanada, wo sich seine inzwischen sechsköpfige Familie aufhielt; ein Sohn, Birunthan, nach dem heute ein Park in Scarborough benannt ist, war während des Gefängnisaufenthalts in der Schweiz zur Welt gekommen.
Bei der Einreise in Montreal war Muralitharan erneut verhaftet worden. Da ich in der Zwischenzeit einen Untersuchungsbericht über Sondereggers Anschuldigungen in der Sonntagszeitung vom 14.Januar 1996 publizierte, der alle involvierten Ermittlungsbehörden zu Wort kommen liess, wurde ich überraschenderweise als Zeuge vor den Immigrations Court in Toronto vorgeladen. Ich sollte unter Eid bestätigen, dass die schweizerischen Zeitungsartikel Muralitharan zu Unrecht als Drahtzieher von Erpressungen bis hin zum Mord dargestellt hatten. Während ich in Toronto die Hand auf die Bibel legte, sah ich auf dem Pult des Anklägers Sergeant Bowen den Winterthurer Landboten vom 15. Januar 1996, also eine jener Zeitungsenten, die nach Sondereggers Bericht unkontrolliert weiter verbreitet wurden. Diese Schweizer Zeitungsartikel sorgten in Kanada noch längere Zeit dafür, dass Muralitharan in unzählige adminstrative Einbürgerungs- und Bleiberecht-Verfahren verwickelt wurde, in denen er immer wieder seine Unschuld beweisen musste.
Vom Schikanierten zum Vater eines Helden
Etwas Ruhe kam in die Angelegenheit, nachdem sein Sohn Birunthan im milden Winter des Jahres 2008 einen anderen Jungen, der im Eis eingesunken war, aus dem Naturweiher im Wharnsby Park rettete und dabei selbst ertrank. Jetzt wurde Muralitharan auf einen Schlag zum Vater eines gefeierten «11-Year-Old-Hero»; der Wharnsby Park in Scarborough wurde umbenannt in Birunthan Park.
Presserat: «Entstellung von Tatsachen»
In der Schweiz hatten sich derweil allerhand Journalisten mit neu aufgewärmten alten Erpressungsgeschichten zu profilieren versucht. Dazu gehörte auch Verena Vonarburg, die am 8. Januar 2005 im Tages-Anzeiger unter dem Titel «Die Tamilen und der Zwang zur Spende» noch einen drauf setzte: «Mehr als die Hälfte der tamilischen Männer in der Schweiz hat laut Anelingam ein Alkoholproblem; andere Tamilen stimmen dem zu». Anelingam war ein erfundener Name, eine Überprüfung der grotesken Behauptung unmöglich. Der Presserat rügte später den Bericht und warf Verena Vonarburg die «Verletzung einer berufsethischen Norm» und die «Entstellung von Tatsachen» vor.
Was die auf Tamilen spezialisierte Ethnologin Damaris Lüthi (auf die sich Verena Vonarburg bezog, ohne mit ihr gesprochen zu haben) besonders ärgerte, war der Zeitpunkt der unwahren «Zwang-zur-Spende»-Story. Sie erschien nur knapp zwei Wochen, nachdem der Tsunami unvorstellbare Schäden vor allem im tamilischen Norden Sri Lankas angerichtet hatte, dessen Bevölkerung auf die Spendengelder aus der Schweiz dringend angewiesen war.
Die Folgen der grossen Niederlage
Im Mai 2009 verloren die Tamil Tigers in Sri Lanka den Bürgerkrieg. Mit Waffen aus China schoss die singhalesische Armee ganze Landstriche im tamilischen Nordosten zusammen, einschliesslich Tausende von Zivilisten, um die Tigers zu besiegen, die die Menschen als «human shields» benutzten. Wie viele der Befreiungstiger nach ihrer Entwaffnung von der singhalesischen Armee exekutiert wurden, ist vorläufig nicht zu eruieren, denn die Regierung von Mahindra Rajapakse agierte unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Er verwies ausländische Journalisten des Landes, seine Regierung liess kritische inländische Medienschaffende inhaftieren oder ermorden, und sie weigert sich bis heute, die UNO-Forderungen nach einer unabhängigen Untersuchung der Gräueltaten zu erfüllen. Die Rede ist von Massengräbern, die von Traxs in Knochenfelder verwandelt wurden, um die Leichen unkenntlich zu machen. Rajapakse scheint immun gegen alle internationalen Verurteilungen und installiert ein autokratisches Regime mit zunehmend diktatorischem Charakter.
Tamilen heute als Arbeitskräfte begehrt
Dies hinderte das eidgenössische Bundeamt für Migration nicht, sofort die alte Leier wieder anzustimmen: Die Situation in Sri Lanka habe sich nach dem Ende des Bürgerkriegs entschärft, die «vorläufige Aufnahme» der Tamilen sei zu prüfen. Doch diese haben faktisch nicht viel zu befürchten, denn es werden letztlich der Schweizerische Wirteverband, die Hoteliers und das Gastgewerbe sein, die eine konkrete Ausschaffung in «grösserer Anzahl» zu verhindern wissen, weil man sie braucht, die Tamilen, in kleinen und grossen Küchen, in Spitälern und Wäschereien.
Neue Razzia nach altem Muster
Die einzige Chance, die Tamilen doch noch loszuwerden, wäre immer noch ihre Kriminalisierung. Wenn man endlich nachweisen könnte, dass sich hinter diesen immer lächelnden Gesichtern dunkler Hautfarbe doch verbrecherische Machenschaften verbergen, dann würde sich die Stimmung für eine Ausschaffung wohl verbessern.
Bei einer landesweiten Razzia im Januar 2011 verhaftete die Bundesanwaltschaft erneut zehn Sympathisanten der Tamil Tigers wegen angeblicher Spendengeld-Erpressung. Die Rechnung schien aufzugehen. Die koordinierte Polizeiaktion war die Mediensensation der Woche und der sonst so gute Ruf der arbeitssamen Tamilen im Eimer. Diesmal wurden Tigersympathisanten angeschuldigt, ihre Landsleute zur Aufnahme von Kleinkrediten gezwungen zu haben. Mit dem beschafften Geld hätten sie die im Nordosten Sri Lankas bedrängten Tamil Tigers in der letzten Kriegsphase massiv unterstützt, so die Anschuldigung.
Bundesanwaltschaft legte Bank mit falschen Angaben herein
Nun aber, ein halbes Jahr später, entpuppt sich die Polizeiaktion wiederum als Farce. Denn nebst den alten Anschuldigungen erfand die Bundesanwaltschaft einen neuen Straftatbestand und schoss damit übers Ziel hinaus. Sie behauptete gegenüber der «Bank-now» in Horgen, welche die Kleinkredite verliehen hatte, es bestehe der Verdacht, dass die Tamilen Drogengeld gewaschen hätten. Mit dem falschen Verdacht (von dem sich die Bundesanwaltschaft inzwischen distanzierte) gelang es den Ermittlern, an Kundendaten heranzukommen, die die Bank sonst nicht herausgerückt hätte.
Nun bedauern einige Medien, dass wegen dieser «Verfahrensfehler» die Strafuntersuchung steckenbleibt und es möglicherweise wieder nicht gelingt, die «mutmasslich» kriminellen Tamil Tigers in der Schweiz endlich zu überführen. Dass die Vorwürfe der Spendengeld-Erpressungen auch diesmal ursprünglich von rivalisierenden Tamilen stammten, ging in der jüngsten Berichterstattung unter. An eine Aufarbeitung ihrer jahrelang diskriminierenden Berichterstattung scheinen sie nicht zu denken.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Regisseur des Film «Jeevan». 1996 Zeuge im Prozess gegen den zu Unrecht beschuldigten Chef der Tamil Tigers Muralitharan Nadarajah.