Schulen der Piusbrüder im Licht des Bundesgerichts
Das Bundesgericht hat sich vor zwei Monaten gegen die Eröffnung des ersten islamischen Kindergartens in Volketswil (ZH) ausgesprochen, weil die Bildungsziele der Volksschule nicht erfüllt waren. Mit diesem wegweisenden Urteil stützte das Bundesgericht die Entscheide des Zürcher Verwaltungsgerichts, des kantonalen Volksschulamts und des Regierungsrats.
Laut Bundesgericht dürfen Privatschulen zwar «Schwerpunkte setzen, insbesondere inhaltlicher, pädagogischer, weltanschaulicher, religiöser oder konfessioneller Art». Aber sie müssen Gewähr bieten, «dass die Schülerinnen und Schüler keinen pädagogischen oder weltanschaulichen Einflüssen ausgesetzt werden, die den Zielen der Volksschule in grundlegender Weise zuwiderlaufen».
Konkret bemängelte das Bundesgericht
- das religiöse «Wissen» als Basis von allem Wissen, insbesondere die fehlende Trennung von religiösen und weltlichen Unterrichtsinhalten;
- die fehlende individuelle konfessionelle Wahlfreiheit;
- den Zwang zur Übernahme religiöser Normen, insbesondere die Tendenz zur Abschliessung gegenüber der offenen Gesellschaft;
- das fehlende Bekenntnis zu den humanistischen und demokratischen Werten.
Laut Bundesgericht besteht seitens der Öffentlichkeit und des Gemeinwesens grundsätzlich «ein erhebliches Interesse, dass die Kinder in der Grundschule auf die Integration in eine pluralistische Gesellschaft vorbereitet werden». Eine «zu starke Gewichtung religiöser Schwerpunkte im Unterricht» könne dem entgegenstehen.
Die zuständigen Zürcher Behörden versprachen gegenüber der Justiz, dass nun auch die anderen religiösen Privatschulen einer Überprüfung unterzogen werden. Es ist auch höchste Zeit, hier im Sinne einer pluralistischen und offenen Gesellschaft Ordnung zu schaffen. Nicht nur im Kanton Zürich. Beispielsweise auch in jenen Kantonen, in denen die erzkatholische Piusbruderschaft Kindergärten, Primar- und Sekundarschulen mit dem Segen des Staats betreibt. Das heisst in den Kantonen St. Gallen (Wangs, Oberriet, Wil), Wallis (Riddes), Luzern (Luzern), Waadt (Villars-Tiercelin) und Genf (Onex). Die Erziehungsprinzipien der Piusbruderschaft werden im Folgenden an den oben genannten Kriterien des Bundesgerichts gemessen:
- Das religiöse «Wissen» als Basis von allem Wissen, insbesondere die fehlende Trennung von religiösen und weltlichen Inhalten
- Die fehlende individuelle konfessionelle Wahlfreiheit
- Der Zwang zur Übernahme religiöser Normen, insbesondere die Tendenz zur Abschliessung gegenüber der offenen Gesellschaft
- Das fehlende Bekenntnis zu den humanistischen und demokratischen Werten
Grundlage der Schulen der Piusbruderschaft ist die anti-modernistische und erzkatholische Enzyklika «Über die christliche Erziehung der Jugend»(«Divini illius magistri») von Papst Pius XI. aus dem Jahr 1929. Artikel 80 der Enzyklika über «die katholische Schule» wird auf der Internetseite der Piusbrüder explizit zitiert:
«Dafür ist notwendig, dass der ganze Unterricht und Aufbau der Schule – Lehrer, Schulordnung und Schulbücher – in allen Fächern unter Leitung und mütterlicher Aufsicht der Kirche von christlichem Geiste beherrscht sind, so dass die Religion in Wahrheit die Grundlage und Krönung des ganzen Erziehungswerkes in allen seinen Abstufungen darstellt, nicht bloss in den Elementarschulen, sondern auch in jenen Schulen, in denen auch höhere Fächer gelehrt werden. ‚Es ist nicht bloss notwendig‘, um ein Wort Leos XIII. zu gebrauchen, ‚dass der Jugend zu bestimmten Stunden Religionsunterricht erteilt wird, sondern dass auch der ganze übrige Unterricht religiösen Geist ausstrahlt. Wenn dieser fehlt, wenn dieser heilige Atem das Innere der Lehrer und Schüler nicht durchzieht und erwärmt, dann wird man aus der ganzen Schulung recht wenig Nutzen ziehen. Oft wird daraus sogar nicht geringer Schaden erwachsen.»
Die Religion wird hier als «Grundlage und Krönung des ganzen Erziehungswerkes» dargestellt und folglich auch als Ursprung und Ziel allen Wissens. Religion ist nicht bloss ein Fach, sondern strahlt in alle anderen Fächer aus. Von einer klaren Trennung von religiösem und weltlichen Inhalten ist hier keine Rede.
Beispielhaft kann das an einem Video des Piusbruder-Instituts «Sancta Maria» in Wangs SG gezeigt werden. Im Rahmen des Philosophie-Unterrichts ging es dabei um die Frage, ob man Gott beweisen könne, insbesondere um einen Gottesbeweis von Thomas von Aquin (1225 – 1274). Statt sich philosophisch-kritisch mit den mittelalterlichen Gottesbeweisen auseinanderzusetzen, macht der Piusbruder und Philosophielehrer Matthias Gaudron daraus eine religiöse Predigt. Die Schüler sind bloss Stichwortlieferanten für den monologisierenden Dogmatiker Gaudron.
Dabei wagt Gaudron sogar zu behaupten, «dass die Naturwissenschaft immer neue Argumente für die Existenz Gottes liefert, je weiter sie Fortschritte macht». Ohne Gott sei ohnehin alles dem Zufall überlassen und es gebe «keine Seele», «keinen Geist», «keine Freiheit» und «keine Liebe».
Fazit: Von einer Trennung von religiösen und weltlich-philosophischen Inhalten kann hier keine Rede sein. Im Gegenteil, hier mutiert der Philosophie-Unterricht zur religiösen Indoktrination. Treu nach dem Vorbild der mittelalterlichen Philosophie als Magd der Theologie. Das bundesgerichtliche Kriterium ist folglich nicht erfüllt.
Das Schreckgespenst der erzkatholischen Piusbrüder und deren Schulmeister ist traditionsgemäss der Modernismus, welcher die irrige Auffassung vertrete, «dass der Mensch jede Religion wählen könne, solange sie dem Urteil seines individuellen Gewissens entspreche». Die fundamentalistischen Piusbrüder hingegen fordern auf ihrer Internetseite, «dass der Mensch die Pflicht hat die Religion zu wählen, die mit der objektiven Wahrheit, mit Gottes Plan für das Universum und mit der Offenbarung übereinstimmt. Diese Pflicht völlig zu vernachlässigen oder eine andere Religion zu wählen ist der objektiven Ordnung und dem Willen Gottes entgegengesetzt und darum Missbrauch der Freiheit».
Doch damit nicht genug: Auf ihrer Internetseite sind die Piusbrüder auch der Meinung, der Staat habe «immer die Pflicht die Anhänger der falschen Religionen dahin zu führen, ihre Fehler einzusehen und sich zu dem einen, wahren Glauben zu bekehren». Allein «die wahre Religion» habe «ein Recht darauf, die Unterstützung des Staates zu geniessen».
Fazit: Die Schulen der Piusbruderschaft lehnen also die konfessionelle Wahlfreiheit ab und damit ein grundlegendes Freiheitsrecht, das die Bundesverfassung garantiert. Die Religionsfreiheit bezeichnen sie gar als «Missbrauch der Freiheit». Das ist auch der Grund für ihre Feindschaft gegenüber den anderen Religionen, insbesondere dem Islam.
Die Schulen der Piusbrüder sind Bibel-Schulen mit religiösem Drill inklusive Morgenmesse, Mittags- und Abendgebet. Die «beiden wichtigsten Mittel» der christlichen Erziehung sind «das regelmässige und andächtige Gebet sowie der eifrige Empfang der heiligen Sakramente, der Beichte und der Kommunion».
Träger der Piusbrüder-Schulen ist der Immaculata-Schulverein. Der Name «Immaculata» (die Unbefleckte = Synonym für die Gottesmutter Maria) ist Programm. Die Schüler werden dort in einer religiösen Parallelwelt nach den rigorosen Prinzipien der Piusbruderschaft erzogen und ausgebildet. Laut Angaben des Immaculata-Schulvereins geht es darum, «die Kinder so gut wie möglich vor den Einflüssen des Bösen zu bewahren», weil sich «die Welt in immer stärkerem Masse von der von Gott gegebenen Ordnung entfernt».
Auf der Grundlage der menschenverachtenden Erbsünden-Lehre gilt es laut den Piusbrüdern die Sünden und Fehler der Kinder durch die sogenannte «Methode der Vorsorge», das heisst durch «ständiges Zusammensein» mit den Erziehern «im Anfangskeim zu ersticken». Ein System der Überwachung und Kontrolle. Im Hinblick auf das «unbefleckte» Vorbild gelten für die Mädchen strenge Kleidungsvorschriften: «Für Mädchen ist das Tragen von Hosen, enganliegenden Kleidungsstücken oder knieentblössenden Röcken nicht gestattet.» Ab der 6. Klasse gilt der geschlechtergetrennte Unterricht.
Fazit: Auch dieses bundesgerichtliche Kriterium erfüllen die Piusbrüder-Schulen nicht: Die SchülerInnen werden zur Übernahme religiöser Normen und Verhaltensweisen gezwungen, die die Tendenz zur Abschliessung gegenüber der offenen Gesellschaft haben.
Was die Piusbruderschaft von humanistischen und demokratischen Werten hält, zeigt ein Blick auf deren Gründer Marcel Lefebvre, der 1985 in einem Schreiben an Papst Johannes Paul II. die Juden, Kommunisten und Freimauer zu Feinden der katholischen Kirche erklärte. Gleichzeitig sympathisierte er mit den katholischen Diktatoren Franco (Spanien) und Pinochet (Chile), aber auch mit Jean-Marie Le Pen, dem Chef des französischen «Front National», wie die «New York Times» an seinem Todestag schrieb. Logischerweise bezeichnete Lefebvre die Erklärung der Menschenrechte als «gottlos» und «gotteslästerlich» und flehte die «allerseligste Jungfrau Maria» an, dem Papst «ihren Geist der Weisheit mitzuteilen, um dem Einbruch des Modernismus in das Innere der Kirche ein Ende zu setzen».
Getreu ihrem Gründer loben die heutigen Piusbrüder auf ihrer Internetseite die Hierarchien und bekennen: «Nie suchte die Kirche auf demokratischem Weg Neues zu erschaffen.» Weitere Breitseiten richten die Piusbrüder auf ihrer Internetseite gegen den Modernismus, die Irrlehre des Rationalismus und vor allem gegen «die Gottlosen». Gross ist dabei die Sehnsucht nach der Apokalypse. Bernard Fellay, der oberste Chef der Piusbrüder, phantasiert in seinem «Brief an die Freunde und Wohltäter» von «Kriegen, dem Verschwinden ganzer Nationen, von grossen Irrtümern, die sich über alle Kontinente ausbreiten, von der Weihe Russlands durch den Papst und die Bischöfe, vom Triumph des Unbefleckten Herzens und einer Zeit des Friedens.»
Noch martialischer geht ein weiterer Artikel zum Fest der Unbefleckten Empfängnis zur Sache: Darin ist die Rede von der «Hoffnung», dass «durch die Unbefleckte Empfängnis Mariens der ganzen Welt der Friede geschenkt werde». Aber nicht irgendein Friede, «sondern der Friede, der dadurch zustande kommt, dass die Gottlosen, die mit ihren Irrlehren den Glauben und die Kirche bekämpfen, eine entscheidende Niederlage hinnehmen müssen». Es war die Hoffnung von Papst Pius X. auf «eine weltweite Niederwerfung der Gottlosen», so dass «der ganze Erdkreis in Jubel ausbricht». Diese wirren Endzeit- und Vernichtungs-Hoffnungen werden immer wieder mit dem Wunsch nach der «Weihe Russlands» durch den Papst verknüpft.
Fazit: Sowohl die Geschichte der Piusbruderschaft als auch die aktuellen Bekenntnisse der Traditionalisten sprechen nicht die Sprache des Humanismus und der Demokratie, sondern der starren Hierarchien, der undemokratischen Gesinnung und der Intoleranz gegenüber Andersgläubigen und Ungläubigen. Folglich ist das humanistische und demokratische Kriterium des Bundesgerichts nicht erfüllt.
Piusbrüder im Wallis und die SVP
Es ist kein Zufall, dass nicht nur die erzkonservativen Piusbrüder Weltuntergangs-Phantasien und Russland-Verbrüderungen hegen, sondern auch Vertreter im Umfeld der Walliser SVP. Der Walliser SVP-Staatsrat Oskar Freysinger wollte Ende November einen Untergangs-Propheten und Waffennarr mit faschistischen Tendenzen als Berater für den Kanton Wallis rekrutieren. Im Mai war Freysinger in Moskau und war voll des Lobes für Putins Russland.
Die Piusbrüder gründen nicht nur Schulen, ihre SympathisantInnen drängen auch in die Erziehungsdepartemente. Vor zwei Jahren berief Freysinger seine Parteigenossin Ariane Doyen, eine Anhängerin der Piusbruderschaft, als wissenschaftliche Mitarbeiterin in sein Erziehungsdepartment. Die Vizepräsidentin der Unterwalliser SVP schickte ihre Kinder in die Primarschule «Fleurs de Mai» der Piusbrüder in Riddes, wie die Westschweizer Zeitung «Le Matin» berichtete. Und was sagte Freysinger dazu? Einmal mehr wusste er von nichts.
Wie alle Schulen der Piusbrüder in der Schweiz richtet sich auch die Primarschule «Fleurs de Mai» in Riddes explizit nach der päpstlichen Enzyklika «Über die christliche Erziehung der Jugend», welche auch der SVP die ideologische Grundlage gegen eine säkulare Sexualaufklärung in den Schulen bietet.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Was das Bundesgericht da vor sich hin plaudert, ist ein Riesenwitz: in Art. 9 EMRK ist die Glaubens-, Gewissens-, Religions- und Gesinnungsfreiheit verankert. Wenn es verlangt, «dass die Schülerinnen und Schüler keinen pädagogischen oder weltanschaulichen Einflüssen ausgesetzt werden, die den Zielen der Volksschule in grundlegender Weise zuwiderlaufen» setzt es dieses Menschenrecht ausser Kraft und versinkt alsogleich in einen unlösbaren Widerspruch, indem es seinerseits genauso fundamentalistisch wie die von ihm Kritisierten am «Bekenntnis zu den humanistischen und demokratischen Werten» festhält, obwohl ja nur noch Menschen, welche an den Weihnachtsmann glauben, davon ausgehen, die Schweiz sei eine Demokratie. Auch von Humanismus kann keine Rede sein, wenn man sich die herrschende grassierende Abzockerei vor Augen hält. Der Irrwitz seiner Kelle wird evident, wenn man beispielsweise weiss, dass es von Hundert Zwangspsychiatrisierten nur gerade knapp 4 die Freiheit schenkt, die übrigen 96 jedoch weiterhin schmoren lässt.
Ich habe das Video angesehen. Von einer «religiösen Predigt» kann keine Rede sein. Außer einem Zitat aus dem Römerbrief, in dem es heißt, dass man den Glauben für die Gotteserkenntnis nicht braucht, redet der Pater fast nur von Naturwissenschaft. Die gängigen Argumente gegen die Existenz Gottes kommen auch zu Wort, und zwar gerade von Seiten der Schüler, die sehr wohl kritisch nachfragen. Der wirkliche Ideologe ist der Verfasser Marti, der, anstatt sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen, gleich die staatliche Gewalt dagegen anrufen will, dass hier jemand Argumente für die Existenz Gottes vorträgt.
@Baumgartner: Bei «causa sui» musste ich aufhören mit dem Video. Also Gott hat sich nicht selber erschaffen, weil auch sonst sich nichts selber erschaffen kann… Cool. Hat mich jetzt voll überzeugt, der Mann, echt imfall, und das ganz ohne Erklärung, woher denn Gott jetzt kam.
…und Schüler zu Stichwortgeber zu degradieren, grenzt an Missbrauch, finde ich.
Da bin und bleibe ich lieber ein (zu klarem Denken fähigen) Zufallsprodukt – und dankbar gegenüber Journalisten wie Marti, die den «Grind» haben, hartnäckig gegen dieses verfilzte Mittelalter-Denken zu schreiben.
Hier stoßen mehrere weltanschauliche Erziehungskonzepte aufeinander – ein christliches, ein islamisches, ein links-atheistisches. Und das Bundesgericht ist zu stark vom linken Denken infiziert, um klar zu artikulieren, dass auch der Atheismus nicht mehr ist als eine Weltanschauung, die andere Weltanschauungen neben sich dulden muss, und dass eine pluralistische Gesellschaft alle Weltanschauungen großzügig anerkennen, «überwölben» und zwischen ihnen ausgleichen muss. Sie soll gerade nicht noch eine eigene vierte (fünfte, sechste) staatliche Weltanschauung dagegensetzen.