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Nach dem Untergang der antiken Kultur versank Europa in der Dunkelheit © cc/flickr/K.Dafalias

Die Totengräber der antiken Kultur

Martin Bauer /  Das Christentum hat die antike Hochkultur beerdigt. Diese These belegt der Althistoriker Rolf Bergmeier in seinem neusten Buch.

Der deutsche Althistoriker Rolf Bergmeier stellt in seinen soeben erschienenen Buch «Schatten über Europa» die These auf, dass das Christentum für den zivilisatorischen Rückschritt verantwortlich ist, der in Westeuropa seit dem fünften Jahrhundert überall festzustellen ist. Der Humanistische Pressedienst (dpd) sprach mit ihm über christlichen Fundamentalismus, Bildung im Imperium Romanum und verpasste Entwicklungschancen Europas.

Herr Bergmeier, was dürfen wir uns unter antiker Kultur vorstellen? Wie sah das Leben im Römischen Reich im vierten Jahrhundert aus?

Im Vergleich mit nicht-imperialen Ländern lebte das Römische Reich auf beachtlich hohem Niveau. In nahezu allen Städten gab es öffentliche Schulen, Bibliotheken, Gymnasien und Theater. Wo immer sich die Legionen niederließen, bauten sie Straßen, beheizte Bäder und erschlossen das Umland. Aquädukte und Tunnel führten Wasser über Fernleitungen an die Städte heran. Das Rechtswesen war organisiert, herrliche Plastiken zierten öffentliche Plätze, Fußbodenheizungen wärmten die Thermen, das Reich war durch Fernstraßen erschlossen, eine Staatspost, cursus publicus, verband die Städte. Auf allen Seiten des Mittelmeeres waren römisches Recht und römische Kultur eingezogen und die Wirtschaft blühte, weil alle vom freien Handel profitierten.

Ab wann stellen Sie einen kulturellen Verfall fest und wie äußert sich dieser?

Der Einbruch erfolgt ab dem 5. Jahrhundert. Die Schulen schließen, Bibliotheken veröden, Tempel werden zu Steinbrüchen, Theater zu Lagerräumen und die Bürger verlernen das Lesen und Schreiben. Erst sterben die weiterführenden Grammatik- und Rhetorenschulen und schließlich die Elementarschulen. Ende des sechsten Jahrhunderts sind die öffentlichen Schulen überall im Imperium geschlossen und rund 95 Prozent der mittelalterlichen Bevölkerung Analphabeten. Selbst die Angehörigen der mittleren und oberen Führungsschicht verlernen im frühen Mittelalter die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben. Karl der Große, im Jahre 800 zum Kaiser gekrönt, soll wie ein römischer Schulbube von acht Jahren mit den Buchstaben gekämpft haben. Parallel werden die Philosophieschulen geschlossen, Theater und Sport (Olympiade) verboten, wird die Kunstausübung beschränkt und die wissenschaftliche und medizinische Forschung beendet. Über das lateinisch sprechende Mittelalter senkt sich die Finsternis herab.

Wenn es um den Untergang der antiken Welt geht, werden als Ursachen häufig die Völkerwanderung und die spätrömische Dekadenz genannt. Was spricht dagegen?

Es ist eine Mär, dass die Germanen ihre Wildschweine auf den Büchern römischer Bibliotheken gegrillt haben. Die germanischen Stämme, anfänglich vermutlich selten mehr als 10 000 kampffähige Männer und rund 20 000 bis 30 000 Angehörige (Frauen, Greise, Kinder), die in der Silvesternacht 406 über den Rhein setzten, suchten nicht die Zerstörung, sondern Raum, um sich anzusiedeln.

Ebenso wenig ist im vierten Jahrhundert eine kulturelle Dekadenz zu beobachten. Im Gegenteil: Kaiser Julian, von der christlichen Kirche als Abtrünniger (Apostata) geschmäht, und der hoch gebildete Symmachuskreis versuchten in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts an die goldenen augustinischen Jahre anzuschließen. Manche Historiker und Philologen sprechen daher von einem zweiten «Silbernen Zeitalter» und meinen damit die Spätantike. Auch das wird in meinem Buch ausführlich untersucht und belegt.

Als alternative Erklärung bieten Sie den Aufstieg des Christentums zur vorherrschenden Ideologie an. Welche Prozesse laufen da genau ab, die zum Untergang der antiken Kultur führen?

Im Jahre 380 wird die christlich-trinitarische Konfession, eine Fraktion aus einem Bündel zerstrittener christlicher Konfessionen auf der Suche nach dem «wahren» Gott, durch den spanischen Kaiser Theodosius zur Staatskirche erhoben. Mit dem Erlass cunctos populos und weiteren 60 Gesetzen wird der bisherige tolerante, zwischen Mono- und Polytheismus schwankende Staatskult aufgehoben und durch den dogmatischen, unduldsamen, jüdisch-christlichen Monotheismus ersetzt.
Parallel zu dieser staatspolitischen Entscheidung mit paradigmatischer Auswirkung, die das Mittelalter weit mehr von der Antike trennt als die bisher in den Geschichtswissenschaften gehandelten Ereignisse, entwirft der «heilige» Augustinus die bis heute weithin gültige, hochspekulative Sünden-, Sitten- und Verdammnislehre, die das Diesseits als Durchgangsstation für eine andere Welt abwertet. Verworfen sei der Mensch, meint Augustinus, böse die Sexualität. Am besten ziehe man sich in die Wüste zurück, um für seine Sünden zu büßen.

Nun gibt es aber auch Stimmen, die darauf verweisen, dass gerade in den christlichen Klöstern Bildung und Kultur gepflegt worden seien und vieles auf diesem Weg überhaupt zu uns gelangt ist.

Nur weniges, gemessen am Bücherverlust etwa ein Promille, übermittelt die frühmittelalterliche Kirche Europa. Denn alles wissenschaftliche und kulturelle Schaffen wird auf rein kirchliche Themen kanalisiert. Freiheit, auch Denkfreiheit, ist nur noch nach Maßgabe der Staatskirche möglich. Aus dem Riesenbestand heidnischer Bücher wird nur das übernommen, was kirchlichen Zwecken dient. Die berühmten Klosterbibliotheken des 9. Jahrhunderts können sich mit 100 bis 400 Büchern auch nicht annähernd mit den wissenschaftlich orientierten Bibliotheken des vierten «heidnischen» Jahrhunderts mit bis zu 500 000 Büchern pro Bibliothek messen. Das Studium der Mathematik und der Wissenschaften sei entbehrlich, so die Meinung des damaligen Klerus, da in der Bibel und in den Schriften der Kirchenväter alles stehe. Folglich bedarf es auch keinerlei Mittel, um die öffentlichen Schulen, Bibliotheken und Akademien zu erhalten. Damit geht ein ungeheurer Verlust an wissenschaftlichem know how und künstlerischer Fertigkeit einher. «Bildung» findet nur noch im Rahmen dogmatischer Vorgaben, kanalisiert und selektiert, innerhalb des Klerus statt, während gleichzeitig das Volk außerhalb der Klostermauern in einen archaischen Bildungsstatus zurückfällt.

In Ihrem Buch verweisen Sie darauf, dass durch den Kulturbruch die Entwicklung Europas für Jahrhunderte blockiert gewesen sei. Woraus schließen Sie, dass die Stellung der Frau sich früher verbessert hätte?

Die Stellung der Frau dürfte sich spätestens mit der Gründung der Staatskirche zunehmend verschlechtert haben. Die ursprüngliche paulinische Forderung «Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Mann und Frau» seien als Christen gleich (Gal 3,27) ist als Definition der Gemeinde zu verstehen, jedoch ohne Bedeutung für den gesellschaftlichen Rang der Frau. Denn derselbe Paulus fordert, Frauen sollten nicht über den Mann herrschen und in der Kirche schweigen (1 Kor 11,3 und 14,34). Es verwundert daher nicht, dass Frauen aus allen einflussreichen kirchlichen Ämtern ausgeschlossen wurden, in der Kirche getrennt sitzen mussten, praktisch nicht in gesellschaftlich bedeutende Positionen aufsteigen konnten und im hohen Mittelalter unter dem Schutz der Kirche als Hexen diskriminiert wurden. Im christlichen Mitteleuropa war es zwischen 400 und 1200 völlig ausgeschlossen, dass eine Frau – wie noch im vierten antiken Jahrhundert – Mathematikerin werden konnte (Hypatia von Alexandria) oder als Priesterin (Vestalin) hohes Ansehen genoss.

Dieses gekürzte Interview ist in der Originalversion beim Humanistischen Pressedienstes hpd abrufbar (siehe Link unten).


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