Kaum Infos über bedrohliche Lage auf Finanzmärkten
An jedem Werktag berichtet das Schweizer Fernsehen zur besten Sendezeit kurz vor der Hauptausgabe der Tagesschau in einer 2-minütigen Sendung über das Geschehen an der Börse. Für die Zuschauenden entsteht der Eindruck eines «Courant normal»: Die Kurse gehen auf und ab. ModeratorInnen, Firmenchefs und «Chefökonomen» von Banken begründen die Entwicklung. Der Markt scheint zu funktionieren, die Börse ihren Dienst an der Wirtschaft zu leisten.
Diesen Eindruck erhielten die Zuschauenden auch vor 2007, als – für sie wie aus heiterem Himmel – die globale Finanz- und Bankenkrise ausbrach.
Namhafte Akteure wie Paul Achleitner, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Deutschen Bank, sind sich einig, dass die Krise «ohne zu starke Fremdverschuldung» nicht möglich gewesen wäre. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ teilt diese Einschätzung.
- Heute sind die OECD-Staaten, Unternehmen und Privaten noch deutlich höher fremd verschuldet als vor 2007.
- Noch immer gehören Grossbanken und Grosskonzerne in die Kategorie «Too Big to Fail».
- Die von Notenbanken ausgelöste Geldschwemme und Nullzinspolitik ist ein Balanceakt in luftiger Höhe.
Niemand kann einigermassen genau voraussagen, wie diese Politik endet. In den Lehrbüchern der Wirtschaft ist eine solche Situation nicht vorgesehen. Entsprechend variieren die Meinungen zwischen drohenden Riesenpleiten, einer Hyperinflation und einem langsamen, beherrschbaren und politisch durchsetzbaren Exit in Richtung Wirtschaftswachstum.
SRF TV: Es fehlt an Meinungsvielfalt
In der täglichen Sendung «SRF Börse» erfahren die Zuschauenden nichts davon. Das sieht das Konzept nicht vor. Und ein Sendekonzept könne nicht Gegenstand einer Beschwerde sein, wie sie von der Infosperber-Redaktion initiiert worden war, hielt die Unabhängige Beschwerdeinstanz am 17. Juni 2016 fest.
Die Vielfalt der Meinungen zu den Finanzmärkten kommt allerdings auch im Gesamtprogramm von SRF TV für die Zuschauenden nicht merkbar zum Ausdruck.
Konkret beanstandete die Beschwerde, dass Informationen und Meinungen über folgende Entwicklungen kaum zu sehen und zu hören sind:
- Mögliche gefährliche Konsequenzen der «quantitativen Lockerung» der Nationalbanken (Aufkauf von Staatsanleihen und Aktien, um die Geldmenge zu erhöhen).
- Das Risiko vom Platzen von Börsenblasen und mögliche Folgen für die Realwirtschaft.
- Das Agieren von nicht regulierten Schattenbanken (spezielle Börsenhändler und Vermögensverwalter). [SRF erklärte, eine Sendung ECO aus dem Jahr 2012 (!) habe darüber berichtet].
- Die Risiken unregulierter «Over the counter» (OTC)-Transaktionen, namentlich mit Derivaten und strukturierten Produkten, für die Stabilität des Finanzmarktes. Die Risiken würden mit zunehmendem Volumen immer unbekannter und diffuser, «was für die Realwirtschaft und die Gesellschaft gefährlich ist» (Prof. Marc Chesney 2014). Über Gefahren undurchsichtiger Finanzprodukte informierte SRF im Jahr 2015 weder in den vielen Sendungen «SRF Börse» noch im Gesamtprogramm wahrnehmbar.
- Die Folgen des elektronischen Mikrosekunden- oder Hochfrequenzhandels. Sein Anteil an den Börsenumsätzen ist zwar nicht genau bekannt (keine Offenlegungspflichten), erreicht aber laut Schätzungen ein Viertel aller Börsenumsätze [Franca Contratto GesKR 2/2014]. Über die wenigen Vor- und die vielen Nachteile beziehungsweise Folgen dieser casinoartigen Spekulationen erfuhren SRF-Zuschauende im Jahr 2015 nichts Wahrnehmbares, in den rund 250 Sendungen «SRF Börse» gar nichts. Im Jahr 2014 informierte SRF in einer einzigen ECO-Sendung am späten Abend über den Mikrosekundenhandel (am 13.10.2014).
Meinungsvielfalt in der NZZ
Auch über Risiken und Gefahren dieser Trends an den Finanzmärkten informiert in der deutschen Schweiz wohl die NZZ am besten. Regelmässig hat sie Aussagen von Rating-Agenturen etc., Think Tanks oder Professoren veröffentlicht, welche auf diese Trends und Entwicklungen der Börse hinwiesen. Einige Beispiele:
- Die NZZ («Wohin führt die extreme Geldpolitik») berichtete über die «notleidenden Kredite» (des Bankensektors), welche in der EU Ende 2014 über eine Billion Euro erreicht hätten (Kredite, deren Rückzahlung äusserst fraglich ist).
- Die NZZ («Wohin führt die extreme Geldpolitik») informierte über Meinungen von Ökonomen, Investmentgesellschaften und Professoren, das Finanzsystem «neige aus dem Ruder zu laufen», sei auf dem «Weg zum monetären Endspiel», die Nationalbanken-Politik «könnte letztlich dem bisherigen Finanz- und Währungssystem den Todesstoss versetzen», das «Vertrauen in das Papiergeld könnte verloren gehen», für Anleger «sei es dann wichtig, Realwerte zu besitzen», es bestehe schliesslich die Gefahr von «bank runs».
- Die NZZ («Immer grössere Kritik an Geldpolitik») informierte über Aussagen von Forschungsinstituten und Investmentgesellschaften: Die Notenbanken hätten «Solvenzprobleme als Liquiditätsprobleme» behandelt und so «den gefährlichsten Finanzmarkt seit 200 Jahren geschaffen»….«Unternehmen hätten mit dem Rückkauf eigener Aktien Billionen in die Finanzwirtschaft geschaufelt, statt in der realen Wirtschaft zu investieren». Die quantitative Lockerung führe «weltweit zu einer Fehlallokation von Kapital». Die Politik der Notenbanken habe «hoch verschuldeten Banken aus der Patsche geholfen und die ‹Reichen reicher› gemacht». Die Notenbanken hätten nicht klar gemacht, «dass ihre Aktionen die Märkte verzerrten» und ihre Geldpolitik «Vermögen umverteilen». Alles Informationen, welche die Entwicklung der Börse beeinflussen und für Aktien- und Obligatonenkäufer und -verkäufer wichtig sind.
- Die NZZ («’It’s the Fed, stupid›!») thematisierte den Einfluss des «geldpolitischen Dopings» auf den Aktienmarkt.
- Die NZZ («Wie lange trauen die Anleger den Zentralbanken noch?») liess einen Investmentbanker zu Wort kommen, der die «Anfälligkeit für drastische Abstürze» thematisierte.
- Die NZZ («Rufe nach einer Reform des Geldsystems») informierte, dass «immer mehr Ökonomen befürchten», dass die immer grössere globale Verschuldung mittelfristig zu einem «Kollaps des Geldsystems» führen könnte. Das hätte für die Aktienmärkte drastische Konsequenzen.
Grenzen der Programmfreiheit
Das Schweizer Fernsehen kann im Rahmen der Programmfreiheit selber entscheiden, welches Gewicht es den oben genannten Informationen, Stimmen und Trends gibt. Diese sollten allerdings für die Zuschauenden wenigstens wahrnehmbar sein. Dies war weder in den Sendungen «SRF Börse» noch im Gesamtprogramm von SRF im Jahr 2015 der Fall.
Anlässlich der mündlichen Beschwerde-Verhandlungen erklärten Mitglieder der Unabhängigen Beschwerdeinstanz UBI keck, das Gesamtprogramm von SRF TV würde die in den Sendungen «SRF Börse» vermisste Meinungsvielfalt zur Darstellung bringen. Den Beweis dafür blieben allerdings die UBI und SRF TV schuldig.
Vergeblich hatte die Popularbeschwerde geltend gemacht:
«Wenn das ganze SRF-Programmangebot zum Themenbereich Börse fast ausschliesslich über tägliche Kursschwankungen mit fragwürdigen und spekulativen Kausalitäten, sowie über mikroökonomische Ereignisse wie Unternehmensabschlüsse oder Fusionen informiert – und dies einseitig aus Sicht von Konzernchefs und andern Entscheidungsträgern der Wirtschaft – , jedoch nur ganz am Rande über Auswüchse und Risiken für die Stabilität des Finanzsystems, für die Wirtschaftsentwicklung insgesamt, sowie über einschneidende Folgen für die Vermögensverteilung, dann sind die Zuschauenden nicht in der Lage, sich über Trends und Perspektiven des Börsengeschehens und auch nicht über das tägliche Börsengeschehen eine eigene Meinung zu bilden.»
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor war mit Infosperber an der Popularbeschwerde gegen die Sendung «SRF Börse» beteiligt. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz UBI hat sie am 17. Juni 2016 abgelehnt.
Leider kann man von «die Börse» nicht erwarten etwas anderes als eine Unterhaltungssendung, so ähnlich wie G&G zu sein.
Die Politik der Notenbanken, nicht zuletzt der EZB, sind alles andere als wir einst gelernt und auch unterrichtet haben. Technische Inkompetenz ohne historische Erfahrung scheint das Motto der aktuellen Entscheidträger zu sein.
Das System ist zwar vielleicht etwas solider als auch schon. Aber das ist nicht das Resultat vernünftiger Politik – obwohl die BIZ alles versucht – sondern die bessere Qualität des «Muddling-through» der direkt betroffenen.
Europa macht so ziemlich alles falsch, was falsch gemacht werden kann und die SNB lässt sich ins Bockshorn jagen und perfektioniert die wirtschaftspolitisch unsinnigste Politik der Negativzinsen.
Nicht dass Negativzinsen kurzfristig und gezielt angewendet nicht Sinn machen könnten. Herr Leutwiler hat das in den 70er Jahren gezeigt. Aber verallgemeinert und auf lokal orientierte Pensionskassen usw. angewendet, wird das zum Instrument der Zerstörung der Funktion des Geldes, der Nützlichkeit des Sparens und der Förderung der Anhäufung unproduktiver Werte wie Edelmetallen, Kunstobjekten und anderen «Hedge"-Instrumenten.
Tellenbach Kari lässt grüssen. Man wendet Monetärinstrumente an, die kontraproduktiv sind, weil man die echten Möglichkeiten im Dunkeln nicht sehen will.
Es wäre schön, wenn auch SRF nicht nur unter der Laterne suchen würde.
SRF hat sich längst den Privatsendern angepasst… Die Privatsender vertreten Partikularinteressen. Wem gehören die Sender?
Es scheint, dass der öffentliche nicht mehr der Öffentlichkeit gehört.
Sogar der «Kontext» und das «Echo» scheinen die Schere im Kopf anzuwenden.
Danke für diesen beleuchtenden und bereichernden Beitrag – auch für das Engagement des Autors und übrigen Mitwirkenden diesbezüglich. Leider wird sofort von «Verschwörung» gesprochen, wer differenzierte Ansichten miteinbringt.
Möglicherweise ist deren eigene Angst der Hinderungsgrund, andere Experten zuzulassen, welche sich dem Mensch verpflichtet fühlen wie dies in obigem Fall beschrieben war. Vielleicht müssen wir Bürger das Recht mittels einer Petition einfordern. Andere Möglichkeiten stehen kaum mehr zur Verfügung.