Schuldenschnitt: Ukraine JA – Griechenland NEIN
«Die ausländischen Gläubiger widersetzen sich hartnäckig einem Schuldenschnitt. Doch…die Gläubiger werden einlenken müssen», schrieb die NZZ am 18. Juni. Die Rede war nicht von Griechenland, sondern von der Ukraine. Was also die Ukraine soll und darf, wird Griechenland stur verwehrt. Über diese ungleiche Behandlung hat Infosperber bereits am 28. März informiert.
Sowohl Griechenland wie die Ukraine werden nicht in der Lage sein, ihre Staatsschulden eines Tages zurückzuzahlen. Ohne Schuldenschnitt «lässt sich wohl tatsächlich auf keine andere Weise sicherstellen, dass die Ukraine auf den Pfad der Schuldentragfähigkeit zurückkehrt», konstatierte die NZZ. Dabei ist die Ausgangslage in der Ukraine wesentlich besser: Die Staatsschulden der Ukraine erreichen laut IWF «nur» 93 Prozent des Bruttoinlandprodukts, diejenigen von Griechenland 180 Prozent, also das Doppelte.
Der Währungsfonds IWF und die EU messen die Ukraine und Griechenland mit zwei Ellen
Die neu gewählte linke griechische Regierung mit dem «Ex-Marxisten» Alexis Tsipras an der Spitze will man zwingen, das griechische Volk mit weiteren Rentenkürzungen und Steuererhöhungen noch stärker zum Verzweifeln zu bringen – ohne Griechenlands Schuldenlast mit einem Abschreiber der Gläubiger zu reduzieren und einem Neuanfang überhaupt eine Chance zu geben.
Von der rechtsnationalen ukrainischen Führung mit dem Oligarchen Petro Poroschenko an der Spitze verlangt der IWF sogar, einem Schuldenschnitt zuzustimmen, um weitere IWF-Kredite zu erhalten. Warum tut er das in Griechenland nicht?
Griechenlands neue Regierung verlangt einen Schuldenschnitt, wenn sie weitere Auflagen des IWF und der EU-Instititionen umsetzen soll.
Die Ukraine hat bisher deutlich weniger Auflagen des IWF umgesetzt und soll jetzt vom IWF trotzdem ein Hilfsprogramm von 17,5 Mrd. Dollar zugesprochen erhalten. Martin Lanz, NZZ-Korrespondent in Washington, hatte dazu festgestellt: «Wenn es das Weltgeschehen verlangt, ist der IWF eine hochpolitische Organisation, die ihr ökonomisches Gewissen unterdrückt.»
«Die Verantwortung der Gläubiger»
Die Gläubiger, also die Käufer und Besitzer von ukrainischen Staatsanleihen «stehen in der Pflicht», meint die NZZ. Denn sie hätten ihr Geld «dem korrupten Janukowitsch-Regime geliehen». Jetzt müssten sie «die Konsequenzen ihres Tuns tragen». Im Übrigen seien «Schuldenrekonstruierungen» (ein schöneres Wort für Abschreiber, Zinsverzicht oder ewiger Aufschub) «nichts Ungewöhnliches». Sie seien Teil des Geschäftsrisikos. – Und in Griechenland?
Die grosszügigen Geldgeber an Griechenland haben die ebenfalls schwer korrupten früheren griechischen Regierungen unterstützt. Sie haben diesen Milliarden geliehen, damit sie damit reihenweise deutsche Panzer kaufen usw.
Abschreiber nur für ausländische Privatgläubiger
Schulden abschreiben in der Ukraine, aber nicht in Griechenland: Diese ungleiche Behandlung ist weder mit der Höhe der Verschuldung noch mit unterschiedlicher Reformfreudigkeit noch mit dem Erfüllen oder Nicht-Erfüllen von Auflagen zu erklären.
Ein Unterschied besteht darin, dass es andere Gläubiger sind. Den privaten Gläubigern von Griechenland – im Wesentlichen Grossbanken, Hedgefonds und Versicherungskonzerne anderer EU-Staaten – war es in den letzten Jahren im Rahmen der «Hilfspakete» gelungen, ihre toxischen Papiere den EU-Ländern, der Europäischen Zentralbank und zu einem kleinen Teil dem IWF zu übertragen. Seither ginge ein Abschreiber auf den griechischen Staatsanleihen zu Lasten der Steuerzahlenden in Deutschland, Frankreich, Italien usw. Es war der kapitale Fehler der westlichen Regierungen, dass sie den ursprünglich privaten Gläubigern halfen, sich weitgehend ungeschoren davonzuschleichen (ausser einem kleinen Schuldenschnitt im Jahr 2012).
Anders bei der Ukraine: Fast die Hälfte der Gläubiger sind weder die EU-Institutionen noch der IWF. Ein grosser Teil ist immer noch im Besitz ausländischer Investoren. Grösster ausländischer privater Besitzer ist die US-Investmentgesellschaft «Franklin Templeton», die auf der ganzen Welt Fondsanteile verkauft. «Franklin Templeton» hat nach Informationen von «Bloomberg» insgesamt 7 Milliarden Dollar in ukrainische Staatspapiere investiert. Bei einem Schuldenschnitt würden die Besitzer dieser Fondsanteile Verluste erleiden. Auch Russland gehört zu den Gläubigern.
Nun sollen nach den «Wünschen» des IWF und der EU beim geforderten Schuldenschnitt in der Ukraine ausschliesslich die privaten ausländischen Besitzer zur Kasse kommen. Der IWF und europäische Steuerzahlende würden also verschont, ebenso wie die privaten ukrainischen Besitzer von Staatsanleihen: hauptsächlich lokale Banken und die ukrainische Nationalbank.
Eine öffentliche Debatte darüber, wie eine derart ungleiche Behandlung von ukrainischen und ausländischen Gläubigern in einem Rechtsstaat möglich ist, wird nicht geführt.
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Siehe
- Tsipras soll vor seinem Wahlvolk nackt dastehen, 11.6.2015
- Die New York Times fordert zu Schuldenschnitt auf, 17.6.2015
- Was Griechenland verwehrt wird, darf die Ukraine, 28.3.2015
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine