Im «Hochparterre» sind alle Löhne gleich
Damit eine Führungsperson eine hervorragende Leistung erbringt, so geht die Theorie, muss man sie hervorragend bezahlen. Darum verdienen die obersten Manager in der Schweiz mehr als hundert Mal so viel wie das Personal in den untersten Lohnklassen. Die Jungsozialisten wollen dieses Verhältnis jetzt auf 1:12 verkleinern; über ihre Volksinitiative werden die Schweizer Stimmberechtigten im November abstimmen. Im Vorfeld der Abstimmung malen Leute aus Wirtschaft und bürgerlichen Parteien bereits den Untergang der Wirtschaft oder die Renaissance des Kommunismus an die Wand.
Lohnkonzept bei «Hochparterre»
Noch gleicher, als es die jungen Sozialisten fordern, funktioniert die kapitalistische Aktiengesellschaft Hochparterre: In diesem Medienunternehmen erhalten alle Angestellten ab dem dritten Dienstjahr den gleichen Grundlohn wie der Chef. Zurzeit sind das 83’000 Franken im Jahr. Hinzu kommt für alle zehn Mitarbeiterinnen und neun Mitarbeiter eine Beteiligung am Jahresgewinn von gegenwärtig je 17’000 Franken – wenn die Geschäfte florieren mehr, wenn sie darben weniger.
«Der Gewinn ist unsere Liebestrunk», sagt Hochparterre-Chef Köbi Gantenbein, der dieses Lohnmodell gemeinsam mit Mitgründer Benedikt Loderer 1992 einführte. Die egalitäre Beteiligung am Gewinn motiviert alle zusammen, Hervorragendes zu leisten, um den eigenen Jahreslohn auf 100’000 Franken aufzustocken. Alle Angestellten erhalten überdies alle drei Jahre zwei Monate bezahlten Bildungsurlaub. Dieser bietet für manche eine Kompensation für einen höheren Lohn, den sie anderswo erreichen könnten.
Bescheidene Boni
In der Regel bleibt nach der Ausschüttung noch etwas Gewinn übrig. Dieses Geld verwendet Gantenbein paternalistisch, um «Sonderleistungen» von Angestellten abzugelten, und um sich selber «den Führungsfranken» auszuschütten. Diese Abweichungen vom Egalitätsprinzip sind aber bescheiden. Insgesamt bewegen sich die Einkommen samt Boni bei Hochparterre innerhalb eines Verhältnisses von 1:1,2, also einem Zehntel von dem, was die Jungsozialisten fordern.
Zum Vergleich: In Dutzenden von Firmen sind die höchsten Managerlöhne mehr als zwölf Mal so hoch wie die tiefsten. Darunter fallen, so zeigt eine Erhebung von Travail Suisse, neben Finanz- und Industriekonzernen auch Staatsbetriebe wie Swisscom und Post oder die dem «sozialen Kapital» verpflichtete Migros. Die meisten rechtfertigen diese Ungleichheit mit dem Markt: Wer sich nicht an den Löhnen und Lohndifferenzen der Konkurrenz orientiere, könne im Wettbewerb um qualifiziertes Personal nicht mithalten.
Erfolg im Wettbewerb
Fehlt es bei Hochparterre also an Qualifikation oder Wettbewerbsfähigkeit? Der Erfolg spricht gegen diese Vermutung: Das 1988 gegründete Magazin gehörte einst zu den defizitären Publikationen im Medien-Imperium von Beat Curti. Statt es zu liquidieren, bot Curti das Produkt den angestellten Journalisten Gantenbein und Loderer zu einem symbolischen Preis an. Ab 1992 bauten die beiden mit ihren Mitarbeitenden die grossformatige «Zeitschrift für Architektur, Planung und Design» stetig aus und ergänzten das Flaggschiff mit einer Reihe von Beibooten. Dazu gehören etwa Sonderhefte zu einzelnen Themen, ein Onlineportal für Architektur und Design oder die Edition, die Bücher herausgibt. Damit lassen sich Synergien fruchtbar nutzen.
Die Hochparterre AG setzt heute 3,5 Millionen Franken pro Jahr um und erzielt einen Gewinn von rund einer halben Million. Für dieses «Gesamtwerk» erhielt Chefredaktor Köbi Gantenbein 2013 den Zürcher Journalistenpreis, eine Auszeichnung, um die ihn Branchenkollegen mit marktüblichem Einkommen beneiden.
Ideologie und Praxis
Am Anfang des Lohngleichheits-Modell stand die Ideologie: «Wir wollten unsere politischen Ideen wenigstens im eigenen Betrieb umsetzen», sagt der Bündner Sozialdemokrat Gantenbein. In der Praxis entdeckte er auch betriebswirtschaftliche Vorteile: «Lohngleichheit ist unbürokratisch, erspart Aufwand, schärft das politische Bewusstsein und verstärkt die ökonomische Verantwortung aller Beteiligten.»
Wie aber empfinden die Angestellten die von oben verordnete Gleichheit? Agnes Schmid, die als Leiterin Marketing und Verkauf in einer andern Firma weit mehr verdienen könnte, antwortet: «Ebenso wichtig wie der Lohn sind nicht monetäre Vorteile.» Dazu zählt sie das «hochqualifizierte Produkt», das «gute Team» und ein Chef, der den Mitarbeitenden viel Freiheit lasse und sie gleichzeitig stütze.
«Das Lohnmodell gehört zu den Spielregeln. Wer hier arbeitet, akzeptiert es», sagt Werner Huber, Architekt ETH, der seit zwölf Jahren bei Hochparterre über Architektur schreibt. Der Ideologie, die dahinter steckt, steht Huber allerdings neutral gegenüber. «Hier funktioniert das Modell»; ob es sich in andern grösseren Unternehmen anwenden lasse, sei offen. Seinen Lohn vergleicht Huber nicht mit Architekten-, sondern mit Journalistengehältern, und da stehe Hochparterre dank Gewinnbeteiligung gut da. Es störe ihn auch nicht, dass Jüngere oder weniger Erfahrene gleich viel verdienen wie er, denn, sagt der 49-Jährige: «Hier bringt jeder seine Leistung.»
Ein Sonder-, aber kein Einzelfall
Das Prinzip «Gleicher Lohn für alle» findet man vor allem in selbstverwalteten Alternativbetrieben. Das bekannteste Beispiel ist die linke Wochenzeitung «WoZ», bei der es von Anfang an für alle den gleichen Einheitslohn gab, denn, sagt Redaktionsleiterin Susan Boos: «Es gibt keine Kausalität zwischen Lohn und Leistung.» Der WoZ-Lohn ist in den letzten Jahren stetig angestiegen auf heute 60’000 Franken pro Jahr. Weil dieses Einkommen knapp sein kann für Leute, die noch Mann oder Kinder miternähren müssen, gewährt die WOZ überdurchschnittliche Kinderzulagen. Aufgestockt wurde der WOZ-Einheitslohn in den letzten Jahren durch eine «Wozifikation» an alle Mitarbeitende. Diese schwankte je nach Geschäftsgang zwischen einem halben und zwei Monatslöhnen.
Das Lohnmodell von Hochparterre ist darum kein Einzel-, aber ein Sonderfall. Denn bei diesem Unternehmen handelt es sich nicht um eine Genossenschaft, die von Gönnern mitfinanziert wird, sondern um eine profitorientierte Aktiengesellschaft. Gantenbein ist Mehrheitsaktionär; den Rest der Aktien besitzen zehn Angestellte.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Diese Obergrenze der Managerlöhne ist nicht neu, vor 40 Jahren absolvierte ich eine Lehre als Maschinenzeichner bei +GF+ SH, damals versammelte der damalige Generaldirektor die Belegschaft und brachte dieses Anliegen vor, (12 mal mehr Lohn für ihn); ein Raunen ging durch mit dem Resultat, dass wir uns willig erklärten; es zu akzeptieren mit der Bedingung, dass er einen guten Job macht, leider wurde dieses Übereikommen nicht schriftlich fixiert. Eine Bemerkung, die dieser Generaldirektor bei dieser Gelegenheit einwarf, war, dass die Schweizer Gesellschaft in Zukunft eine Dienstleistungsgesellschaft sein wird, das Resultat kennen wir mittlerweile zur Genüge….