So fleissig melken die Bauernlobbyisten den Staat
Der frühere Landwirt Jörg Will aus dem Bernischen Bannwil erinnert sich noch gut an die Generalversammlung des Bernischen Bauernverbandes (Lobag), die im Frühjahr 1998 im Kursaal Bern über die Bühne ging. Die landwirtschaftlichen Verbände mussten damals ihre Finanzierung neu regeln. Dabei schlug die Lobag-Spitze für das Inkasso der Mitgliederbeiträge «eine zwar bequeme, aber leider staatliche Lösung» vor, wie Will rückblickend erklärt. Das kantonale Amt für Landwirtschaft sollte mit dem schriftlichen Einverständnis der Bauern ermächtigt werden, fällige Mitgliederbeiträge bei den Direktzahlungen des Bundes abzuziehen und der Lobag zu überweisen, um einen Teil an den Schweizerischen Bauernverband (SBV) in Brugg weiterzuleiten.
Inkasso der Mitgliederbeiträge durch die Kantone
Damit wäre man den Kritikern des Bauernverbandes ins offene Messer gelaufen, erklärt Will. Deshalb habe er an der GV im Kursaal für «mehr unternehmerische Freiheit der Bauern» und für «weniger Staatswirtschaft» plädiert. Jeder Bauer sollte eine jährliche Rechnung erhalten und den Beitrag selber einzahlen. Will setzte sich mit seinem Antrag durch. Seither stellt die Lobag jedem Bauern einzeln Rechnung. Mit dieser Regelung ist aber der Kanton Bern im Deutschschweizer Vergleich in der Minderheit. Nur in 6 von 20 angefragten Kantonen wird das individuelle Inkasso praktiziert: Aargau, Appenzell Innerhoden, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Bern und Solothurn.
Eine staatliche Lösung hingegen gilt in den folgenden 14 Kantonen: Appenzell Ausserhoden, Glarus, Graubünden, Luzern, Nidwalden, Obwalden, St. Gallen, Schaffhausen, Schwyz, Thurgau, Uri, Wallis, Zug und Zürich. Deren kantonale Ämter für Landwirtschaft ziehen die SBV-Mitgliederbeiträge mit dem schriftlichen Einverständnis der Bauern von den Direktzahlungen ab und schicken sie an die kantonalen SBV-Verbände, die einen Teil der Beiträge an die SBV-Zentrale in Brugg weiterleiten, wo im Jahr 2013 total 6,7 Millionen Franken Beitragsgelder zusammenflossen.
Ein wesentlicher Teil dieser Beitragsgelder wurde somit mit Hilfe der kantonalen Landwirtschaftsämter eingezogen und fand den Weg direkt aus der Steuerkasse des Bundes in die SBV-Schatulle. Ziemlich erstaunlich für einen der mächtigsten Schweizer Interessenverbände, dessen Direktor der liberale Freiburger Nationalrat Jacques Bourgeois ist und in dessen Chor die staatskritische SVP prominent mitsingt, während sie in ihrem Parteiprogramm nicht genug für «Eigenverantwortung statt Staatsallmacht», gegen «schleichenden Sozialismus» und «Staatsinterventionen» eifern kann.
Professor Markus Schefer: «Problematisch»
Auf die Frage, ob für dieses staatliche Inkasso eine rechtliche Grundlage existiert, verweisen mehrere kantonale Landwirtschaftsämter auf die Empfehlungen des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW). Tatsächlich hat das BLW, an dessen Spitze der frühere SBV-Vize-Direktor Bernard Lehmann steht, diese Praxis abgesegnet. Laut BLW-Sprecher Jürg Jordi hat das BLW «im Rahmen der Oberaufsicht in den Kantonen die Verrechnung von bestimmten Beiträgen (z. B. für Fachorganisationen, Kontrollkosten oder Abzüge für Fonds) mit den Direktzahlungen geprüft». Eine solche Verrechnung sei aber «nur dann korrekt, wenn entweder eine rechtliche Grundlage dazu besteht oder der Bewirtschafter sein schriftliches Einverständnis dazu gegeben hat». Wenn also die Bauern ihre schriftliche Zustimmung geben, braucht es laut BLW keine rechtliche Grundlage.
Dem widerspricht Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel. Er hält eine rechtliche Grundlage für notwendig, auch wenn die Bauern ihr schriftliches Einverständnis geben: «Eine Einwilligung allein genügt meines Erachtens nicht. Eine Behörde darf nur jene Aufgaben wahrnehmen, die ihr von einem Rechtssatz zugewiesen werden. Eine Dienstleistung zugunsten eines privaten Vereins, dessen Zielsetzung die Interessenvertretung mit Bezug auf die Tätigkeit jenes Amtes ist, das die Dienstleistung wahrnimmt, erscheint mir ohne Grundlage in einem Rechtssatz problematisch.»
Millionen-Subventionen für die Fleischwerbung
Zu den Mitgliederbeiträgen, die von der Staatskasse direkt in die SBV-Kasse fliessen, kommen weitere 2,2 Millionen Franken Bundessubventionen unter der Rubrik «Absatzförderung und Basiskommunikation» hinzu, wie BLW-Sprecher Jordi auf Anfrage bekannt gibt. Jordi konnte diese Subventionen für den mächtigen Lobbbyverband SBV «leider nicht einfach so aus einer Tabelle ablesen», sondern musste die Zahlen zuerst zusammensuchen. Denn die 2,2 Millionen-Subventionen stehen weder im Agrarbericht 2013 des Bundes noch im SBV-Jahresbericht. Dabei geht bei «Agristat», dem hauseigenen statistischen Dienst des SBV, sonst keine einzige Zuckerrübe vergessen. Selbstverständlich wird auch «Agristat» mit 100‘000 Franken aus der Bundeskasse alimentiert, ohne dass diese Zahl irgendwo im SBV-Jahresbericht auftaucht.
Bundessubventionen erhalten auch zahlreiche Organisationen, bei denen der SBV beteiligt ist. Beispielsweise die Proviande Genossenschaft, die Werbeplattform der Schweizer Fleischwirtschaft mit der bekannten Marke «Schweizer Fleisch». Fast zwei Drittel der Proviande-Jahreseinnahmen von rund 20 Millionen Franken stammen aus der Bundeskasse, ohne dass dies im Jahresbericht explizit sichtbar wird. Für die Absatzförderung erhält Proviande 6,1 Millionen und für den Vollzug der sogenannten Schlachtviehverordnung weitere 6,3 Millionen, also insgesamt 12,4 Millionen aus der Bundeskasse, wie das BLW auf Anfrage bestätigt. Hinzu kommt ein Supplement von 120’000 Franken für das «Pilotprojekt zur Exportförderung» und 215’000 Franken für die Gesellschaft «QM Schweizer Fleisch», einem weiteren Vehikel des Bauernverbandes.
Fleischvermarkter reiben sich die Hände
Proviande ist mit seiner Werbekampagne «Schweizer Fleisch: Alles andere ist Beilage» omnipräsent, sei es auf Plakaten, Inseraten oder in der TV-Werbung. Von den Bundessubventionen der Proviande profitieren beispielsweise die beiden SRF-Sendungen Giacobbo/Müller und Meteo, aber auch die Ski-Weltcuprennen von Adelboden und Wengen, die Sportverbände Swiss Ski und Swiss Tennis sowie per teure Hochglanz-Inserate die 23 auflagenstarken Publikumszeitschriften in der ganzen Schweiz, von der Schweizer Illustrierten bis zum L’Hebdo.
Schweizer Fleisch: TV-Sponsoring für Giacobbo/Müller
Über diese subventionierte Fleischwerbung können sich vor allem die grossen Fleischvermarkter Bell-Gruppe (Coop), Micarna (Migros) und Sutter (Fenaco) freuen, deren CEOs alle im Proviande-Verwaltungsrat sitzen. Die drei Fleischvermarkter generieren jährlich Milliardenumsätze und Millionengewinne. Beispielsweise die Bell-Gruppe verzeichnete 2013 einen Umsatz von 2,6 Milliarden Franken und einen Gewinn von 76 Millionen. Auch der Bell-Chef Lorenz Wyss lässt sich mit 713’000 Franken Jahreslohn nicht lumpen.
Neben der Proviande gibt es auch noch den Landwirtschaftlichen Informationsdienst (LID), der von Kurt Nüesch, dem Direktor der Schweizer Milchproduzenten (SMP) präsidiert wird und der rund 80 Mitgliederorganisationen zählt, darunter der SBV. Auch dieses PR-Instrument der Bauernlobby subventioniert der Bund, und zwar unter dem Titel «Absatzförderung und Basiskommunikation» mit 420‘000 Franken, was einem Fünftel des LID-Jahresbudgets entspricht. Im publizierten LID-Jahresbericht – man darf dreimal raten – steht nichts darüber.
Zwangsabgaben für Marketing und Kommunikation
Die Artenvielfalt der Bundeskässli wird ergänzt durch ein Konstrukt, das dem Bauernverband weitere Millionen in die Kassen spült: Der SBV und weitere Branchenorganisationen können nämlich Nicht-Mitglieder zur Zahlung von Beiträgen zwingen, wenn es um sogenannte «Selbsthilfemassnahmen» zur Qualitätssicherung geht und wenn der Bundesrat zustimmt. Solche Zwangsabgaben sind im Artikel 8 des Landwirtschaftsgesetzes verankert. Beispielsweise ist der Bauernverband bis Ende 2015 vom Bundesrat ermächtigt, für Marketing und Kommunikation auch bei Nicht-Mitglieder Zwangsbeiträge einzukassieren. Gleiches gilt für den Verband der Schweizer Milchproduzenten (SMP) unter dem Titel «Marktforschung, Basiswerbung, Verkaufsförderung, Öffentlichkeitsarbeit und Marketingmassnahmen».
Üppige Bundessubventionen und gesetzlich verordnete Zwangsabgaben zementieren die Macht der florierenden Bauernlobby, während die Bauern unter der Überproduktion und dem Preiszerfall leiden. «Vertreten landwirtschaftliche Organisationen noch die Produzierenden?», fragte deshalb der ehemalige Landwirt Jörg Will in einem Leserbrief im «Schweizer Bauer» vom letzten Oktober und fuhr den landwirtschaftlichen Organisationen und Vermarktern schwer an den Karren, weil diese statt die Interessen der Bauern vor allem ihre eigenen Verbandsinteressen wahrnähmen. Er habe darauf «viele positive Reaktionen aus Bauernkreisen» erhalten. Manche sagten mir, es sei «noch viel schlimmer». Doch öffentlich schweigen sie: «Wer den Mund aufmacht, muss mit wirtschaftlichen Nachteilen rechnen». Die Bauern seien «träge geworden», weil sie der Agro-Industrie und den Verbänden «völlig ausgeliefert» seien.
«Strategiewechsel» beim Milchproduzenten-Verband
Ein Beispiel für die divergierenden Interessen ist der Verband der Schweizer Milchproduzenten (SMP). Darin sind zwölf regionale Milchproduzentenverbände zusammengeschlossen, darunter die Bernische Lobag, der grösste Kantonalverband des SBV. Im SMP-Vorstand sitzen keinesfalls nur Milchproduzenten, wie der Name vermuten lässt, sondern auch die Laufburschen der Milchverarbeiter. Beispielsweise die beiden Landwirte Thomas Oehen und Christian Arnold: Oehen ist Vizepräsident und Arnold Mitglied des Emmi-Verwaltungsrates. Keineswegs zur Freude vieler Landwirte, denn die Interessen der Milchindustrie decken sich nicht mit den Interessen vieler Milchproduzenten, die sich im Verein BIG-M (Bäuerliche Interessengruppe für Marktkampf) zusammengeschlossen haben, um «den bodenlosen Milchpreiszerfall zu stoppen». Für den BIG-M-Sekretär und Milchproduzenten Werner Locher aus Bonstetten im Kanton Zürich ist klar, «dass im SMP-Vorstand die Vertreter der Milchverarbeitungs-Industrie nichts zu suchen haben». Denn diese wollen laut Locher «möglichst viel billige Überschussmilch, um ihre Überkapazitäten auszulasten».
Paradoxerweise müssten die Milchbauern, die bereits unter dem zerfallenden Milchpreis leiden, auch noch mit «Zwangsabgaben» die Milch-Exporte finanzieren. Laut BIG-M hat nämlich der SMP entschieden, die überschüssige Milch aufzukaufen und «auf dem Weltmarkt zu entsorgen», und zwar über die Milch-Exportfirma LactoFama AG, die im letzten Frühjahr gegründet wurde und vom SMP-Präsidenten Hanspeter Kern präsidiert wird. Für diesen Milchexport brauche es im nächsten Jahr «mindestens 12 Millionen Franken, welche der SMP über eine Zwangsabgabe bei den Milchproduzenten beschaffen will».
Laut Locher hat beim SMP in letzter Zeit ein fataler «Strategiewechsel» stattgefunden, weg von der Konfrontation, hin zu einer «freundlichen Gesprächskultur» mit den Milchverarbeitern. Deshalb setze der SMP im Interesse der Milchverarbeiter auf Mehrproduktion, statt die Milchproduktion zu begrenzen und damit den Milchpreis zu stabilisieren. Zum Nachteil der meisten Milchproduzenten. Der SMP-Vorstand habe vor der Milchindustrie «regelrecht kapituliert». Die Verhandlungen fänden «hinter den Kulissen» statt und «leider lassen sich die Bauern nur schwer mobilisieren, obwohl sie unzufrieden sind». Und wenn einer einmal an der SMP-Versammlung Kritik äussere, werde er von den «studierten Agronomen im SMP-Vorstand vor aller Öffentlichkeit lächerlich gemacht». Deshalb würden viele Milchbauern «die Faust im Sack machen und schweigen».
Bauern sind der Agro-Industrie «völlig ausgeliefert»
Wie paradox die Milchwirtschaft sein kann, hat die Bäuerin Wendy Peter aus dem Kanton Luzern in der Zeitschrift «Kultur und Politik» vom letzten Oktober eindrücklich geschildert. Die Milchabrechnungen seien «mit logischem Denken oft schwer nachvollziehbar». Die Kühe auf dem Hof der Familie Peter geben «eine eher fettärmere Milch», was oft zu Qualitätsabzügen führe, obwohl die KonsumentInnen immer mehr teilentrahmte und fettärmere Milch kaufen würden.
Mit ihrer fettarmen Milch ist die Familie Peter aber eine Ausnahme, denn im Zeitalter des massiven Kraftfuttereinsatzes produzieren die Schweizer Bauern tendenziell fettreiche Milch. Dadurch entstehen grosse Mengen an Butter. Diese müssen dann wiederum auf dem Weltmarkt entsorgt werden – wofür auch bei der Familie Peter ein weiterer Abzug auf dem Milchpreis belastet wird. Im Klartext: Die Luzerner Bauernfamilie Peter muss gleichzeitig für ihre zu wenig fette Milch und für den Export des überschüssigen Fettes in Form von Butter bezahlen. Profiteure dieser Milchpolitik sind die Milchverarbeiter und die Bauernlobby.
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Dieser Artikel erstmals im Pro Natura Magazin/Januar 2015 erschienen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Schweiz vor USA !
Laut offiziellen Zahlen der US- Landwirtschaftsbehörde USDA und der Schweizer Selbsthilfeotganisation Proviande, fliessen bei den Amerikanern Fr.1.35 in die Werbung für Fleisch und tierische Produkte; bei uns in der CH werden den Fleischmonopolisten von unserer„Elite“im Bundeshaus aus Steuergeldern nach Giesskannensystem ZEHN MAL soviel, nämlich über 120 Mio. Franken zur PR, Vermaktung und Verbilligung in die gierigen Rächen gestopft. Die vom Steuerzahler finanzierte Schweizer realitätsfremde Landwirtschaftspolitik verteilt Volksvermögen auch an die Giganten der kartellähnlich oranisierten Nahrungsmittelindustrie. Die Milchbarone von Emmi nützen die diversen Schweizer Gesetzeslücken und Selbstbedienungskässeli um sich mit den, ursprünglich zur Stützung der Landwirtschaft eingerichteten Marktentlastungsfonds und Verkäsungszulage eine goldene Nase zu verdienen; Allein der Luzerner Milchmulti „garniert“ vom Bund jährlich weit über 5o Millionen Franken dafür, dass er hochwertige Lebensmittel denaturiert, indem er CH-Qualitätsmilch zu wertlosem Industriekäse verarbeitet, mit Exportprämien zum Nulltarif ins Ausland verkauft, wo billiges Palmfett aus brandgerodeten Regenwaldflächen daruntergemischt wird und als Analogkäse und/oder verarbeitet in Fertigprodukten wieder, auch in die Schweiz, re-exportiert wird. Das ist missbräuchliche Verwendung von Subventionen, die den seriös arbeitenden CH-Bauern und Milchverarbeitern vorenthalten werden.
Die Tierrechtsorganisation hat nun eine Petition «Keine Steuermillionen für Proviande» lanciert. Jetzt unterschreiben um die Fleischabsatzförderung zu streichen:
>> http://www.tier-im-fokus.ch/contreviande
Lieber Herr Schwaller,
ich finde ihren Beitrag sehr interessant, nur die ersten 2, 3 Zeilen versteh ich nicht. Sollte anstelle von «Fr.1.35» 13 Mio stehen? Interessant für den Leser wäre die absolute Zahl, mit der die USA- Fleisch Industrie subventioniert wird. Vielleicht können sie das noch nachholen.
Pro Einwohner fliessen bei den 321 Mio. Amerikanern umgerechnet CHF.1.35 in die Vermarktung von Fleisch und tierischen Produktem; bei uns werden pro Schweizer aus Steuergeldern, die auch Mitschweizern, die keine Tiere essen wollen per Zwangsabgabe abgenommen werden, über ZEHN MAL soviel, nämlich über 120 Mio.,oder 15.-/ Einwohner CHF zur PR, Vermaktung und Verbilligung tierischer Produkteverteilt.