Kommentar
Kryptowährungen wie Bitcoins bleiben eine Option
Zu Beginn des Jahres 2014 sorgte Bitcoin fast täglich für Schlagzeilen. Für Otto Normalverbraucher war die Kryptowährung quasi aus dem Nichts aufgestiegen, und nur eine ganz winzige, IT-affine Elite konnte wenigstens erahnen, was es mit dem «digitalen Gold» eigentlich auf sich hatte.
Was jedoch alle rasch begriffen: Mit Bitcoins konnte man offenbar reich werden. Der Kurs der Währung, der anfänglich noch bei Bruchstellen hinter dem Komma eines Dollars gelegen hatte, war auf über 1000 Dollar gestiegen. Deshalb ging alles sehr rasch. In Zürich wurde der erste Bitcoin-Bancomat in Betrieb genommen, in Berlin Kreuzberg begannen die Hipsters, in den angesagten Lokalen damit zu bezahlen, und weltweit explodierte die Anzahl der digitalen Goldgräber, die mit ihren Computern im Internet nach Bitcoins suchten.
Traum von einer dezentralisierten Wirtschaft
Zu Beginn des Jahres 2015 ist es um die Bitcoins wieder still geworden. Der Kurs bewegt sich zwischen 250 und 300 Dollar, der Ruf ist angeschlagen. Zwei Ereignisse haben massgeblich dafür gesorgt: Zuerst verhaftete das FBI einen Texaner namens Ross Ulbricht. Er hatte ein Portal mit dem Namen Silk Road betrieben, wo Drogen und Waffen im grossen Stil gehandelt wurden. Bitcoins wurden daher in Verbindung mit dem organisierten Verbrechen gebracht. Schlimmer noch war der Kollaps der Mt. Cox. Über Nacht verschwanden 600’000 Bitcoins aus den Büchern der Bitcoin-Wechselbörse. Wer schon wollte noch dem Versprechen glauben, die viel gepriesene digitale Währung sei absolut sicher und vor Hackerangriffen gefeit?
Auch für die Kryptowährung gilt jedoch, was Mark Twain einst scherzhaft über sein verfrüht angekündigtes Ableben gesagt hat: Meldungen über ihren Tod sind weit übertrieben. Bitcoins sind nicht nur eine neue Währung, eine Art digitale Franken oder Dollars. Hinter den Bitcoins steckt ein völlig neues Finanzsystem. Es umspannt den gesamten Globus, braucht keine Geschäftsbanken als teure Mittelsmänner und hat keine Zentralbank als Oberaufsicht nötig. Mit Bitcoins lässt sich zumindest theoretisch der Traum von einer dezentralisierten Wirtschaft und emanzipierten Gesellschaft verwirklichen.
Mit anderen Worten: Bitcoins sind die ideale Währung für das, was Sharing Economy genannt wird. Um zu verstehen, was damit gemeint ist, müssen wir zuerst begreifen, was Bitcoins überhaupt sind. Die beiden Finanzjournalisten Paul Vigna und Michael J. Casey liefern uns mit ihrem Buch «The Age of Cryptocurrency» eine ausgezeichnete Starthilfe.
Das Gespenst der Krypto-Anarchie
Am Anfang der Bitcoins standen die Cypherpunks, eine Gruppe von anarchistischen Technofreaks, die Vigna und Casey wie folgt beschreiben: «Die Gruppe formierte sich zu Beginn der 1990er Jahre als eine lose Gemeinschaft von Verschlüsselungs-Künstlern, welche die gemeinsame Sorge über die schleichende Zerstörung der Privatsphäre und des Machtverlustes des Individuums in der modernen Gesellschaft verband.»
Timothy May, ein anarcho-libertärer, ehemaliger Intel-Physiker, der – wenn er gerade keine Science-Fiction-Romane schrieb – die meiste Zeit damit verbrachte, kryptographische Werkzeuge der Rebellion zu entwickeln, verfasste 1988 das «Krypto-anarchistische Manifest». In Anlehnung an Marx/Engels begann es mit dem Satz: «Ein Gespenst geht um auf der Welt, das Gespenst der Krypto-Anarchie.»
An die Cypherpunk-Gemeinde sandte ein gewisser Satoshi Nakamoto am 31. Oktober 2008 ein E-Mail. Darin stellte er eine digitale Währung vor, die versprach, vollkommen sicher zu sein und ohne Mittelsmänner auszukommen. «Nakamoto beschreibt einen verschlüsselte Online-Tausch-Mechanismus, der es möglich macht, dass zwei Parteien Wertsymbole untereinander austauschen, ohne ihre Identität preiszugeben», führen Vigna/Casey aus. «Diese Währung zirkuliert ausserhalb des traditionellen Bankensystems und ermöglicht es den Menschen einander direkt Geld zu schicken, von Peer- to-Peer, wie es heisst.» Wer dieser Satoshi Nakamoto ist, bleibt bis heute ein Rätsel. Niemand weiss, ob es ihn gibt oder ob es sich um ein Pseudonym eines Einzelnen oder einer Gruppe handelt.
Freiwillige Helfer rund um die Welt
Wie Nakamotos neues Währungssystem funktioniert, ist bekannt. Für den Tausch von Bitcoins braucht es weder Banken noch Kreditkartenunternehmen. Sie sind eine Art digitales Bargeld. Damit der Tausch funktioniert, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Es braucht ein universelles Register, in dem alle Transaktionen festgehalten und untereinander abgeglichen werden, und es braucht einen Mechanismus, der dafür sorgt, dass dieses Register stets auf dem neuesten Stand gehalten wird. Nakamotos Lösung für diese beiden Probleme war ebenso einfach wie genial: Er entwickelte den sogenannten «Blockchain», eine Databasis, die sich selbst aufdatiert, und zwar indem rund um die Welt freiwillige Helfer ihre Computer in den Dienst dieser Aufgabe stellen.
Die Anzahl dieser Bitcoins ist auf 21 Millionen begrenzt, die bis 2140 abgebaut sein werden. Der Begriff «digitales Gold» für Bitcoins ist so gesehen irreführend. Sie werden nicht im Cyberspace versteckt und dann wieder ausgegraben, sondern sie sind eine Belohnung dafür, dass man die Rechenleistung in den Dienst der Blockchain stellt. Die Belohnung erfolgt nach einem Zufallsprinzip.
Uraltes Tauschsystem aus der Südsee
Das tönt alles viel komplizierter, als es ist. Bitcoins sind zwar eine digitale Währung, das Prinzip war jedoch schon den Stammesgesellschaften in der Südsee bekannt, genauer auf der Insel Yap. Der legendäre Yap-Stein war eine Art Urzeit-Blockchain. Auf diesen riesigen Steinen wurden die gegenseitigen Verpflichtungen einer Dorfgemeinschaft eingeritzt. Um Betrug zu verhindern, durfte der Eintrag erst dann vorgenommen werden, wenn er öffentlich verkündet und von der Dorfgemeinschaft abgesegnet worden war. Nakamoto hat somit kein neues Prinzip erfunden, sondern ein uraltes Tauschsystem aus der Südsee in die digitale Zukunft gerettet. Der Yap-Stein wird dank dem Internet virtuell und rund um den Erdball verteilt und seine Potenz fast unendlich vergrössert.
Bitcoins existieren daher nicht physisch, die gelegentlich abgebildeten Münzen mit dem Bitcoin-Zeichen sind nur symbolisch zu verstehen. «Die Blockchain bedeutet alles für die Bitcoins» stellen Vigna/Casey fest. «Die sich stets verändernde Addierung von Schulden und Guthaben machen den Charakter der Währung aus. Bitcoins existieren nicht per se, nicht in einem Sinn, dass man sie in einem elektronischen Gefäss aufbewahren könnte. Bitcoins existieren nur so weit, als dass man ihnen einen Wert an einer Bitcoin-Adresse zuschreibt.»
Kein Geld, das die Banken aus der Luft schaffen
Obwohl es keine physischen Bitcoins gibt, werden sie doch «digitales Gold» genannt. Weshalb? Bitcoins sind kein Fiat-Money, Geld, das die Banken aus der Luft schaffen und beliebig vermehren können. Die Anzahl der Bitcoins ist, wie erwähnt, auf 21 Millionen beschränkt und kann nicht ausgedehnt werden, genau wie die Menge des Goldes beschränkt ist.
Gold ist eine Ware, daher spricht man bei einer auf Gold gestützten Währung gelegentlich auch von Waren- oder Aktivgeld. Bitcoins haben den Charakter eines Warengeldes, ohne aber eine Ware zu sein. Thomas Mayer, der ehemalige Chefökonom der Deutschen Bank, drückt es in seinem Buch «Die neue Ordnung des Geldes» wie folgt aus: «Aktivgeld kann auch immateriell sein, wie das Beispiel der Internetwährung Bitcoin zeigt. Worauf es bei Aktivgeld ankommt, ist, dass dieses Geld keine Verbindlichkeit repräsentiert und sich nicht wie das Zentralbankgeld heute der Nachfrage elastisch anpasst.»
Durchbruch noch keineswegs geschafft
Wie ist es den Bitcoins gelungen, aus dem doch eher exotischen anarcho-libertären Kreis der Cypherpunks in den Mainstream zu gelangen? Die Finanzkrise und die Beinahe-Kernschmelze des bestehenden Systems haben geholfen. Nakamotos Timing war perfekt. Bitcoins wurden dem Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers zu einer Idee, deren Zeit gekommen war. Sie entsprachen exakt dem Wunsch nach einem dezentralen Finanzsystem, das weder mit Fiat-Money manipuliert werden konnte und das nicht auf Banken aufgewiesen war, die «too big to fail» sind.
Trotzdem haben die Kryptowährungen den Durchbruch noch keineswegs geschafft, auch in der Theorie nicht. Führende Ökonomen wie beispielsweise die beiden Nobelpreisträger Robert Shiller und Paul Krugman oder der Crashprophet Nouriel Roubini, halten nach wie vor wenig bis nichts von Bitcoins. Es gibt aber auch andere Stimmen. So erklärt Lawrence Summers, ehemals US-Finanzminister und Rektor der Harvard University: «Die Menschen, die das Internet als Kuriosität für Wissenschaftler abgetan haben, befanden sich auf der falschen Seite der Geschichte. Die Menschen, welche die digitale Fotografie abgelehnt haben, waren auf der falschen Seite der Geschichte, und die Leute, die nur Tennisschläger aus Holz akzeptierten, waren auf der falschen Seite der Geschichte. Es könnte also sein, dass auch die Menschen, die ein auf Blockchain basierendes Währungssystem ablehnen, sich auf der falschen Seite der Geschichte befinden.»
Anti-Globalisierungs-Anarchisten und IT-Milliardäre
Satoshi Nakamoto ist inzwischen ebenso rätselhaft wieder von der Bildfläche verschwunden, wie er aufgetaucht ist. Seine Idee lebt weiter, allerdings auch in pervertierter Form. Zu den Cypherpunk-Anarchisten der ersten Stunde haben sich die Ultra-Kapitalisten und Ayn-Rand-Jünger gesellt. In Romanen wie «Atlas Shrugged» singt die 1982 verstorbene, russisch-amerikanische Schriftstellerin ein Loblied auf den entfesselten Kapitalismus und hat damit eine grosse Fangemeinde im Silicon Valley. Zur Bitcoin-Gemeinde gehören heute daher Anti-Globalisierungs-Anarchisten genauso wie IT-Milliardäre mit einer Abneigung gegen Sozialstaat und Steuern.
Ob sich die Bitcoins gegen den Zentralstaat durchsetzen werden, ist ungewiss. Es ist möglich, dass Kryptowährungen sich als vorübergehendes Phänomen entpuppen werden. Denkbar sind auch Hybridformen, ein digitaler Dollar beispielsweise, und eine Assoziierung mit dem bestehenden System. Bereits heute liefern die Bitcoins eine Ahnung von einer wahren Sharing Economy, einer Gesellschaft, in der gemäss Vigna/Casey «die Menschen in ihren eigenen, solar betriebenen Häusern leben, sich mit fahrerlosen, sich im Gemeinschaftsbesitz befindenden Autos transportieren lassen und Geld und Güter direkt von Peer zu Peer austauschen werden.»
Von Reputation, nicht von Gesetzen gesteuert
Das Konzept des Blockchains beschränkt sich längst nicht auf die Währung. Für Vitalik Buterin ist es der Kern einer neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Der 20jährige Russe gilt als neues Wunderkind der Szene und ist der führende Kopf hinter Ethereum, einer in Baar bei Zug domilizierten Firma für Internetdienstleistungen.
Buterin spricht von der Gesellschaft als eine «dezentralisierten autonomen Organisation» (DAO). «Die Idee hinter DAO besteht darin , dass man keine Organisation mehr hat, die von Menschen gemanagt wird, sondern von einem Algorithmus», erklärt Buterin. «Man kann sich darunter ein Computerprogramm vorstellen, das die Möglichkeit hat, Menschen anzustellen und zu feuern.»
Buterin träumt von einer dezentralen Gesellschaft, in der nicht korrumpierbare Software dafür sorgt, dass keine mächtige Zentralgewalt mehr entstehen kann und jeder Mensch die grösstmögliche Freiheit haben wird. In dieser Gesellschaft wird das Zusammenleben nicht von Gesetzen, sondern von der Reputation gesteuert. Weil alles transparent geworden ist, kann man es sich gar nicht mehr leisten, andere Menschen zu betrügen.
Die Zukunft steht in den Sternen
Auch die DAO-Gesellschaft der Zukunft hat Vieles gemeinsam mit der Stammesgesellschaft der Vergangenheit. «Reputations-Mechanismen funktionieren bestens in traditionellen Gesellschaften, wo sich die Menschen noch persönlich gekannt haben», sagt Buterin. «Sie funktionieren schlecht in grossen, anonymen, modernen Gesellschaften. Dank dem Internet könnte es mit der Reputation wieder klappen, denn es gibt zwar heute viele Menschen, aber es gibt auch sehr viel Information.»
Ob es je zu einer solchen DAO-Gesellschaft mit Blockchain und Tauschmechanismen und dem Fehlen einer Zentralgewalt kommen wird, steht in den Sternen. Die folgende Prognose von Vitalik Buterin dürfte jedoch auf jeden Fall eintreten: «In Zukunft wird unser Leben sehr viel mehr durch Software bestimmt sein, als dies heute der Fall ist.»
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Dieser Beitrag erschien auf Watson.ch.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Philipp Löpfe war früher stellvertretender Chefredaktor der Wirtschaftszeitung «Cash» und Chefredaktor des «Tages-Anzeiger». Heute ist er Wirtschaftsredaktor von Watson.ch.
Eine DAO-Gesellschaft wird solange nicht Realität bis sich nicht die grosse Mehrheit der Menschen endlich vom Trugbild des fürsorglichen Vaters Staat verabschiedet hat. Ausgerechnet Löpfe, der in der Vergangenheit nicht gerade dafür bekannt war, für weniger Staat einzutreten, schwärmt von Blockchain und Kryptowährungen …
Ob die Menschen Bitcoins je begreifen, ist irrelevant. Entscheidend ist, ob sie ihnen vertrauen.
Doch: Warum sollten sie das, wenn so obskur ist, wer dahinter steckt?
Geschichten vom unbestechlichen Algorithmus, der angeblich alles selbst macht, würde ich lieber nicht glauben. Letztlich wurde jedes Programm von Menschen entwickelt, und auch dem raffiniertesten Computer kann ein Mensch den Stecker ziehen.
Ausgerechnet Bitcoin, die Währung der Gauner, Spekulanten, und Idioten, die alle auch daran glauben, sich auf Kosten Anderer wohlhabend machen zu können. Ich verfolge die BITCOIN Welt, seit ihrem Entstehen. Und ich wundere mich täglich darüber, wie einfältig die Menschheit doch ist, wenn sie vom Virus des schnellen Geldmachens befallen ist.
Bgreifen muss man es aber nicht, man muss nur mitmachen. Wie überall, wo Leute mitmachen, in der Hoffnung ohne eigene Leistung reich zu werden. So funktioniert halt unsere Welt, zumindest die Welt derer, die glauben, auch etwas davon zu verstehen. Ist ja auch bei der Börse so, da wissen auch Alle, wie es funktioniert, auch wenn doch allen eigentlich klar ist, dass alles nur reine Spekulation ist.