Kommentar
Wachsende Schulden können Krise auslösen
Im Beitrag «Eine trügerische Ruhe macht Kommentatoren blind» vertrat ich die Meinung, dass strenge Vorschriften für die Banken wie ein Eigenkapital von 20-30 Prozent, eine Einschränkung des rein spekulativen Handels, eine Steuer auf Kapitaltransaktionen und das Schleifen von Steuerparadiesen die Gefahr einer weltweiten grossen Finanz- und Wirtschaftskrise markant verringern würden.
«Die Armen vor dem Verhungern bewahren»
Diese «Hoffnung ist falsch», meinst Du in Deiner Replik mit dem Titel «Die Schuldenberge sind nicht schuld an der Krise». Denn das eigentliche Problem sei die «extrem ungleiche Verteilung der Einkommen». Als Rezept zur Vermeidung einer grossen Krise empfiehlst Du deshalb, die «Kaufkraft wieder einigermassen gerecht und volkswirtschaftlich nachhaltig zu verteilen». So lange dies nicht der Fall sei, müssten Staaten mit Krediten (das heisst weiterer Verschuldung) die Armen vor dem Verhungern bewahren.
Ich halte es für gefährlich, wenn die Staaten zusätzliche Schulden anhäufen. Sie sollen sich die Mittel für ihre Sozial- und Investitionspolitik mit Steuern auf Kapitaltransaktionen und mit dem Schleifen der Steuerparadiese beschaffen.
Gläubiger müssen Junk-Papiere als Sicherheit nehmen
Du dagegen bagatellisierst die gigantische Verschuldung mit der Feststellung «Wo Schuldner sind, gibt es auch immer Gläubiger». Wer sind denn diese Gläubiger? Nationalbanken namentlich in den USA, Japan und der EU, die ihre Bücher massenweise mit Schuldscheinen in Form von risikoreichen Staatsanleihen füllen. Banken in Griechenland, Portugal oder Spanien, welche fast alle Staatsanleihen ihrer eigenen Länder, die niemand sonst zu den tiefen Zinssätzen kaufen würde, als «Sicherheiten» in ihren Portefeuilles auftürmen. (Mit den Einnahmen aus den Staatsanleihen retten diese Staaten die gleichen Banken vor dem Konkurs. Viel Produktives wird mit dem Geld nicht gemacht.) Und nochmals sind Banken Gläubiger, die Billionen als Hypotheken an teilweise marode Unternehmen und an wenig solvente Private ausgeliehen haben.
Freiwillig würde niemand solche Risiken eingehen
Freiwillig und in einem freien Markt würden Banken niemals solche Risiken als Gläubiger eingehen. Nationalbanken werden zur Todsünde gedrängt, Defizite von Staaten zu finanzieren. Grossbanken wiederum gehen solche Risiken nur ein, weil sie die lockenden Gewinne einstecken können, ohne das Unternehmerrisiko zu tragen. Denn im Fall von Totalverlusten können sie als «too big to fail» weiterhin auf die Rettung mit Steuergeldern zählen.
In Europa ist entscheidend, ob die besonders gefährdeten Länder in Südeuropa einen wirtschaftlichen Zusammenbruch vermeiden können. Falls nicht, würden auch die von Dir zitierten Überschussländer Deutschland, Holland und die Schweiz in die Misere mitgerissen.
«Zombie-Ökonomie»
In jenen Ländern überleben viele Unternehmen ausserhalb des Finanzsektors weiterhin nur dank Bankkrediten. Wirtschaftsredaktor Martin Lanz nennt es in der heutigen NZZ eine «Zombie-Ökonomie». Denn in Portugal würden Banken «kaum neue produktive Betriebe, sondern wohl eher marode Firmen über Wasser halten, bevor diese unter der Schuldenlast zusammenbrechen». Die Privatverschuldung ausserhalb des Finanzsektors habe in den Euro-Ländern Ende September 2013 168 Prozent der vereinten Bruttoinlandprodukte BIP erreicht. Die Privatverschuldung sei «bisher kaum zurückgegangen». Offensichtlich haben die Privaten ihre Schulden nicht aus der Portokasse zurück bezahlt.
Umverteilung auch wegen Verschuldungspolitik
Die heutigen Zinsen, die gegen Null tendieren, seien «volkswirtschaftlich noch zu hoch», schreibst Du. Das Gegenteil ist der Fall: Würden National- und andere Banken und vielerorts auch Pensionskassen nicht mehr praktisch zwangsweise riskante Schuldpapiere von Staaten aufkaufen, würden deren Zinssätze markant steigen. Private Anleger würden solche Staatsobligationen an der Börse nur gegen eine viel höhere Verzinsung erwerben. Die künstlich tief gehaltenen Zinsen leiten Unsummen in Aktien- und Immobilienmärkte, so dass die Reichen sogar laut rechtsstehenden US-Ökonomen nochmals um «Billionen» («trillions») reicher wurden. Das bedauerst Du. Diese gewaltige Umverteilung ist eine Folge der Verschuldungs- und Geldschwemmen-Politik – und nicht umgekehrt.
Sparen bleibt eine Tugend
Wie für Nobelpreisträger Paul Krugmann, der sich seine Finger wund schreibt und fordert, den Geldhahn noch mehr aufzudrehen, ist Sparen auch für Dich kontraproduktiv. Du möchtest Sparer sogar «bestrafen» und bedauerst, dass das Sparen für die 2. Säule steuerlich gefördert wird. Du glaubst offensichtlich immer noch, dass mehr Konsum, also mehr Wachstum die Probleme löst.
Dabei sollten wir in den Industriestaaten eher weniger Rohstoffe und Ressourcen konsumieren, sparen, und mit unsern Mitteln haushälterischer umgehen in einer Zeit, wo der Energieverbrauch das Klima erwärmt, Wasser und Rohstoffe rar werden, Tier- und Pflanzenwelt bedroht sind, und Milliarden von Armen auf dieser Erde einen riesigen Nachholbedarf haben.
Der Materialaufwand in der Schweiz stieg von 2000 bis 2011 nach Angaben des Bundesamts für Statistik um weitere 10 Prozent. Ein Rückgang lässt auf sich warten (siehe «Schweizer Wirtschaft zwischen Geld und Gut» vom 11.1.2014).
Ein weiteres exponentielles Wachstum des Bruttoinlandprodukts wird auch Deine Forderung, die Einkommen gerechter zu verteilen, nicht erfüllen. In den letzten zwanzig Jahren hat das schuldengetriebene Wachstum das Gegenteil bewirkt.
Auch die Ärmsten, die zu verhungern drohen, haben nichts davon, wenn Leute mit genügendem Einkommen nicht mehr sparen, sondern noch mehr Geld ausgeben.
Ohne Skrupel weniger konsumieren
Wenn in den Industriestaaten mehr Menschen nur noch Benzin sparende, kleinere Autos und weniger schnell ein neues kaufen, ist es unvermeidlich, dass Hersteller grosser Benzinfresser pleite gehen. Wenn die Leute von ihrem Einkommen mehr auf die hohe Kante legen anstatt sofort zu konsumieren, muss die Wirtschaft ihre Produktion eben vermindern. Das gleiche gilt, wenn Menschen mehr Freizeit statt mehr Einkommen wählen.
Niemand sollte sich ein schlechtes Gewissen einreden lassen, wenn er oder sie ihren Konsum nicht erhöht. Denn das Wachstum des Konsums ist nicht die Lösung, sondern das Problem. Ein mit immer mehr Schulden finanziertes Wachstum führt nicht ins Glück, sondern zum Crash.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Urs P. Gasche ist mit Hanspeter Guggenbühl Autor des Buches «Schluss mit dem Wachstumswahn – Plädoyer für eine Umkehr», Rüegger Verlag 2010, 15.60 Fr. ----- 1996 hatten Urs P. Gasche, Werner Vontobel und Hanspeter Guggenbühl gemeinsam das Buch veröffentlicht «Das Geschwätz von der Marktwirtschaft – Wie Unternehmen den Wettbewerb verfälschen, die Natur ausbeuten und die Steuerzahler zur Kasse bitten», K-Sachbuch. Vergriffen.
Lieber Urs,
Ich bin jetzt ein bisschen verwirrt. Eben noch waren die Banken deshalb ein Riesenproblem, weil ihr Eigenkapital oft noch nicht einmal 3 Prozent der Bilanzsumme ausmacht, und weil viele von ihnen praktisch pleite sind. Was gilt nun? Entweder oder. Nein, die grossen Gläubiger sind nicht die überschuldeten Banken, sondern grosso modo die 10 Prozent reichsten Haushalte bzw. die Grossunternehmen, die sie besitzen. Sie erzielen jedes Jahr Hunderte Milliarden Überschüsse, die als Guthaben – gegenüber dem Staat und den ärmsten 50 Prozent (wiederum grosso modo) – stehen bleiben und sich akkumulieren. Ich sage nicht, dass diese Reichen noch mehr konsumieren sollten. Das wäre obszön. Die ganze Schweiz wäre noch mehr zugepflastert mit Zweit-, Dritt- und Viertresidenzen und jeder Vierte würde als Butler oder Privatchauffeur sein Geld verdienen. Ein Horrorvorstellung. Aber die Ungleichgewichte der Primärverteilung sind so gross, dass man das mit Steuern unmöglich ausbügeln kann. Historisch gesehen war die Rückverteilung über Steuern immer relativ unbedeutend im Vergleich zu den Veränderungen in der Primärverteilung.
Und: Was sollen denn die Pensionskasse kaufen, wenn nicht Staatschulden? Lieber Urs, du übersiehst leider, dass man auf dem Kapitalmarkt zwischen Bestand (an Schuldpapieren) und Neugeschäft unterscheiden muss. Der einzelne Anleger kann zwar immer anderen Anlegern Titel aus dem Bestand abkaufen – das ist ein Nullsummenspiel unter Anlegern. In der volkswirtschaftlichen Betrachtung geht es immer um das Neugeschäft. Wenn sich per Saldo nur noch der Staat verschuldet, kann man per Saldo auch nur noch Staatspapiere kaufen. Seit einigen Jahren ist allerdings auch dies den Anlegern zu riskant. Deshalb akzeptieren sie nur noch die Zentralbanken als Schuldner. Doch wenn sich diese verweigern, bleiben wieder die Staaten als alleinige Schuldner – bzw. Käufer von Anleihen übrig. Sie haben faktisch ein Nachfragemonopol. Es ist deshalb nicht einzusehen, warum die Zinsen steigen sollten. Die Risikoprämie wirkt erst dann, wenn es Alternativen gibt, d.h. wenn die Unternehmen wieder echt investieren und ihren Angestellten genügend Lohn zahlen, damit sie das Zeug auch kaufen können.
Dass „wir“ insgesamt zu viel konsumieren – geschenkt. Aber einige haben zu wenig – womit wir wieder beim Verteilungsproblem sind. Wollen wir weniger konsumieren, muss man über kürzere Arbeitszeiten reden. Den Konsumverzicht über einen Kreditstopp erzwingen zu wollen, wäre verantwortungslos.
Lieber Werner
Danke für Deine weiteren Erläuterungen. Ich hatte ja auch Vorschläge gemacht, was sofort zu tun wäre. Es würde mich interessieren, welche paar konkreten Massnahmen Deiner Ansicht nach sofort ergriffen werden sollten, um die Gefahr einer künftigen grösseren Krise zu vermeiden.
Mit herzlichem Gruss
Urs