Kommentar
Grüne Politik geht über Bevölkerungsstopp hinaus
«Basel hinkt Zürich und Genf hinterher» haderte die Basler Zeitung, weil Basels Bevölkerung laut Prognosen weniger stark wachsen wird. «Wir fühlen uns vom Bundesamt für Statistik ungerecht behandelt», protestierte Uris Volkswirtschaftsdirektor Isidor Baumann. Mit nur zwei Prozent Bevölkerungszunahme sei Uri «zu schlecht positioniert».
Die Wirtschaft, und mit ihr der Bund und die Kantone, setzen auf die Zunahme der Bevölkerung, weil mehr Leute mehr konsumieren und damit das Wachstum der Wirtschaft fördern. Schon seit 1990 wächst die Bevölkerung stärker als das Bruttoinlandprodukt BIP pro Kopf. Deshalb wird der grösste Teil des wachsenden Wirtschaftskuchens einfach auf mehr Köpfe verteilt, ohne dass der Einzelne merklich profitiert.
Das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Ökonomen und Politikerinnen kümmert das wenig. Sie verbreiten es als Erfolg, wenn das gesamte BIP gewachsen ist. Es stört sie nicht, wenn dieses primär aus der Zunahme der Bevölkerung resultiert. Mehr Menschen bringen mehr Umsatz, ohne dass sich Detailhändler, Banken oder Versicherungen anzustrengen brauchen. «Volkswirtschaften mit Zugriff auf eine wachsende Bevölkerung erhalten die Chance auf zusätzliche Nachfrage», formulierte ein Leitartikler der NZZ. Die Zürcher SP-Politikerin Jacqueline Badran stimmt zu: «Solange wir eine auf Wachstums ausgerichtete Wirtschaftsordnung haben, brauchen wir die Zuwanderung.» Das ist neu. Denn bisher setzte man in der dicht besiedelten Schweiz mehr auf Produktivitätssteigerung als auf Bevölkerungswachstum. Unterstützung erhält Badran vom einstigen Gewerkschafter und heutigen Arbeitsmarkt-Experten im Seco, Serge Gaillard: «Ohne Einwanderung wäre namentlich das Wachstum der Bautätigkeit nicht möglich gewesen», freut sich Gaillard, also ob die Schweiz nicht schon genug verbaut wäre.
Da stellen sich immer mehr Leute die Frage: Wozu das alles? Wozu braucht die kleine Schweiz noch eine Millionen mehr Einwohnerinnen und Einwohner? Warum sollen wir noch mehr Erholungsräume zubetonieren, noch mehr ländliche Gebiete dem Agglomerations-Brei opfern? Wollen wir in Städten noch dichter aufeinander wohnen? Wollen wir sechsspurige Autobahnen? Einmal muss Schluss sein. Warum nicht jetzt?
Junge und Alte, die nicht glauben, eine zusätzliche Million Menschen bringe eine höhere Lebensqualität, landen schnell in der Nähe rechtsextremer Ausländerhasser und Asylanten-Scharfmacher. SVP-Exponenten haben jetzt einen Ausländerstopp sogar mit dem Zückerchen versüsst, dass sie dann keine neuen Atomkraftwerke in der Schweiz mehr fordern. Es ist nicht zu bestreiten: Wenn eine Million mehr Menschen in der Schweiz leben, werden wir ohne in- oder ausländischen Atomstrom nicht auskommen.
Nur weil die SVP diese Wahrheit zuerst aussprach, um einmal mehr auf die Ausländer zu dreschen, dürfen sich Grüne und grüne Linke nicht ducken. Im Gegenteil. Sie denken weiter: Die Belastung der Umwelt hängt nicht nur von der Zahl der Köpfe ab, sondern auch vom Verbrauch pro Kopf. Eine stabile Bevölkerung reicht nicht. Noch wichtiger ist es, den Stromverbrauch zu senken.
Kalifornien dient als Beispiel. Dort ist der Verbrauch pro Kopf seit über dreissig Jahren stabil geblieben, während er in der Schweiz um fast fünfzig Prozent stieg. Eine sinnvolle Regulierung sorgt in Kalifornien dafür, dass Energiekonzerne zuerst das Stromsparen mit Milliarden finanziell fördern und erst in zweiter Linie in neue Kraftwerke investieren. Mengenrabatte für Haushalte, Gewerbe und Industrie, wie sie in der Schweiz üblich sind, gibt es in Kalifornien nicht. Im Gegenteil: Progressive Tarife sorgen dafür, dass Vielverbraucher höhere Preise zahlen müssen. Wäre die Schweiz vor dreissig Jahren dem Beispiel Kaliforniens gefolgt, könnte man unsere AKWs ersatzlos abschalten.
Von einer solchen Energiepolitik will die SVP nichts wissen. Unser ökologischer Fussabdruck ist ihr egal. Sie will AKWs gegen Immigranten ausspielen. Deshalb dürfen Grüne und Linke die Bevölkerungspolitik erst recht nicht der SVP zu überlassen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Gut gesagt, Urs!
Ganz genau, Sie bringen es auf den Punkt. Danke.
Grüne gegen Ecopop: Unverständlich!
Wer gemeint hat, die Grüne Partei der Schweiz setze sich für eine nachhaltige Entwicklung unseres Landes ein, hat sich geirrt. Mit Vehemenz bekämpft diese Partei die Ecopop-Initiative „Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen“. Die Grünen wenden sich gegen eine reduzierte Zuwanderung und damit gegen eine bessere, auf unsere Ressourcen abgestimmte Entwicklung unseres Landes und gegen die Förderung der freiwilligen Familienplanung, die einen bescheidenen Beitrag gegen die Bevölkerungsexplosion in den Entwicklungsländern leisten will. Offenbar ist diese Partei heute schon so stark von internationalistischen Strömungen beeinflusst und auf die Bewahrung ihrer politischen Ämter fixiert, dass sie meint, als Speerspitze gegen diese Initiative auftreten zu müssen. Die bürgerlichen Parteien werden sich für diesen Einsatz wohl erkenntlich zeigen und den Grünen zu weiteren Posten in Politik und Verwaltung verhelfen. Eine traurige Entwicklung einer einst feurigen Verfechterin eines wachstumskritischen Kurses.