Griechenland: Das grosse Tabu Grossbanken
In beinahe sämtlichen Informationssendungen über Griechenland werden wichtige Fragen ausgeklammert:
- Warum kommen Grossbanken und Hedge Funds für ihre grobfahrlässigen Geldanlagen in Griechenland nicht zur Kasse?
- Wie konnten sie ihre Risiken vor allem in Deutschland und Frankreich an die Steuerzahlenden überwälzen?
- Warum wollen die EU-Institutionen Griechenland (und Portugal, Irland, Spanien oder Italien) keinen Schuldenerlass gewähren, während sie gleichzeitig die europäischen Grossbanken mit jährlich über 300 Milliarden Dollar subventionieren?
- Wer trägt dafür die Verantwortung?
Noch im Jahr 2008 hatten vor allem europäische, aber auch amerikanische Grossbanken und Hedge Funds (unregulierte Anlagen von Privaten, Versicherungen oder Pensionskassen) rund 270 Milliarden Dollar in griechischen Papieren angelegt. Heute sind es höchstens noch 40 Milliarden. Den Rest ihrer riskanten Anlagen haben ihnen die Europäische Zentralbank, der EU-«Rettungsfonds» und der IWF freiwillig abgenommen. Für diesen grossen Rest haften deshalb heute die Steuerzahlenden, die für einen kommenden Abschreiber auf den griechischen Schulden geradestehen müssen. Deshalb wollen Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble einen (Teil-)Konkurs Griechenlands so lange verzögern, bis sie selber nicht mehr im Amt sind.
Lukrative Geschäfte mit Griechenland
Am schnellsten haben Schweizer Grossbanken reagiert: Ende 2008 hatten sie noch offenstehende Griechenland-Kredite in Höhe von 69 Milliarden Dollar. Bereits Ende 2010 waren es weniger als 3 Milliarden. Diese in Dollar ausgewiesenen Zahlen hatte die «Bank für internationalen Zahlungsausgleich» BIZ veröffentlicht.
Ende 2010 waren französische und deutsche Grossbanken mit zwei Dritteln aller Bankforderungen am meisten exponiert: An erster Stelle die «Crédit Agricole» (30 Mrd. Dollar), die «Société Générale» (8,5 Mrd. Dollar) und die «BNP Paribas» (7 Mrd. Dollar). Deutsche Grossbanken, namentlich die «Commerzbank», die «Deutsche Bank» und die «Landesbank Baden-Württemberg» hatten Ende 2010 zusammen 34 Milliarden Dollar in staatlichen Schuldpapieren Griechenlands angelegt.
Das lukrative Geschäft dieser Grossbanken bestand darin, sich von den Notenbanken billiges Geld auszuleihen und in hochverzinsliche Griechenland-Anleihen zu investieren. Neben Nationalbankgeldern verwendeten sie auch Gelder von Versicherungen und grossen Pensionskassen. Die Banken mussten ihre hohen Bestände an griechischen Staatsobligationen nach den Vorschriften der BIZ nicht einmal mit einem einzigen Euro Eigenkapital unterlegen.
Die Griechen verwendeten die Milliarden nicht nur für Beamtenlöhne, sondern zu einem schönen Teil für Importe. So konnten deutsche und französische Panzer- beziehungsweise Waffenhersteller sowie viele andere Exporteure mit Griechenland gute Geschäfte machen.
Schon lange eine untragbare Schuldenlast
Grossbanken und Hedge Funds hatten fast 300 Milliarden Dollar in ein Land mit elf Millionen Einwohnern investiert, dessen generelle Misswirtschaft, Vetternwirtschaft und Korruption bekannt waren. Doch die involvierten Grossbanken konnten – leider mit Recht – darauf zählen, dass ihnen im Fall einer Pleite Griechenlands von willfährigen Regierungen und EU-Institutionen geholfen wird. So bewahrheitete sich wieder einmal «Gewinne privatisiert – Verluste verstaatlicht».
Spätestens im 2010, als die Zinssätze international etwas stiegen, war Griechenland so stark überschuldet, dass sich ein mindestens teilweiser Erlass der Schulden aufdrängte. Experten des Internationalen Währungsfonds IWF kamen damals zum Schluss, dass Griechenland seine Schuldenlast nicht mehr tragen könne. Die Schulden müssten «umstrukturiert» werden und die Grossbanken müssten auf einen Teil ihrer Guthaben verzichten.
Schulden zum Abzahlen von Schulden
«Doch die Politik entschied für ‹ihre› Banken», stellte der Wiener Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister fest.
Griechenland habe sich zusätzlich verschulden müssen, um bestehende Schulden zu begleichen: «EZB-Präsident Trichet kaufte den Banken griechische Staatsanleihen ab, und so gelang – unter Aufsicht von Finanzministerin Lagarde und Kanzlerin Merkel – das Kunststück: Die deutschen und französischen Banken müssen für ihre fahrlässige Kreditvergabe keinen Beitrag leisten, den Schwarzen Peter hat Griechenland allein.»
Charles Wyplosz, Professor für internationale Ökonomie am Graduate Institute in Genf und Direktor des Genfer Zentrums für Geld- und Bankstudien, nannte es in der «NZZ am Sonntag» einen Fehler, dass 2010 von einem Schuldenschnitt abgesehen wurde: «In drei Jahren wäre Griechenland wieder auf den Beinen gewesen». Doch die «deutschen und französischen Regierungen wollten ihre Banken schützen.»
Infosperber hatte im Jahr 2011 mehrmals darüber berichtet.*
In der Folge übernahmen auch die EU-Länder im Rahmen ihrer «Hilfspakete» toxische Griechenland-Papiere von Banken und andern privaten Anlegern, so dass diese privaten Anleger weitgehend aus dem Schneider sind.
«Das Durchwursteln wurde alternativlos»
Im Jahr 2012 befand Themistoklis Fiotakis, Direktor der Investmentbank «Goldman Sachs», dass man Griechenland mindestens 80 Milliarden Euro an Schulden erlassen müsse (hier). Doch weil die betriebene «Rettungspolitik» inzwischen dazu geführt hatte, dass der grösste Teil der griechischen Staatsschulden auf den Büchern der öffentlichen Institutionen Europas lastet, hätte ein Abschreiber auf griechischen Staatsobligationen die Steuerzahler der Gläubigerländer belastet. Das wiederum wollten die Regierungen aus eigenem Interesse nicht zulassen. «Das Durchwursteln wurde sozusagen alternativlos», stellte Fiotakis fest. Es kam 2012 nur zu einem bescheidenen Schuldenerlass, der die «Lasten von nicht-griechischen Banken auf griechische verlagerte», wie Professor Charles Wyplosz analysierte.
Die Konsequenzen weiterer «Umschuldungen» (also neue Schulden, welche die alten ersetzen) sah NZZ-Wirtschaftsredaktor Christof Leisinger in einem Kommentar damals klar: «Das Ganze ist eine Umverteilung von Privat zu Staat». Die laufende Umschuldung werde nämlich «dazu führen, dass bis in drei Jahren rund 85 Prozent aller griechischen Staatsanleihen in den Depots von Institutionen wie der Europäischen Zentralbank, der europäischen Finanzstabilitätsfazilität EFSF, also den Euro-Staaten und dem Internationalen Währungsfonds liegen werden». Und er zog folgerichtig den Schluss: «Damit hängen die Steuerzahler nach einer Umverteilung von Privat zu Staat für alles Weitere einmal mehr am Haken.»
Grossbanken vor Griechenlandverlusten verschont und gleichzeitig hoch subventioniert
Regierungen und EU-Institutionen nahmen den Grossbanken die drohenden Milliardenverluste ab – zu Lasten der Steuerzahler. Gleichzeitig haben sie seit 2008 kaum etwas unternommen, um das Privileg deren Grösse (To Big to Fail) zu eliminieren.
Der Zwang, Grossbanken bei Schwierigkeiten zu retten, hat den Wert einer massiven Subvention.
Tages-Anzeiger vom 18. Februar 2015
Andrew Haldane, Exekutivdirektor bei der «Bank of England», hat diese impliziten Subventionen für die 29 weltgrössten Banken vor anderthalb Jahren auf fast 500 Milliarden Dollar jährlich berechnet. Das sind durchschnittlich 17 Milliarden pro Grossbank.
Unter dem Titel «Kostspielige Verzerrungen» berichtete die NZZ letztes Jahr aufgrund von Angaben des Internationalen Währungsfonds IWF von – je nach Schätzmethode – bis zu 50 Mrd. Dollar Subventionen an Grossbanken in der Schweiz, bis zu 300 Mrd. Dollar an solche in den Euroländern und bis zu 70 Mrd. Dollar an Grossbanken in den USA.
Diese Subventionen kämen zustande, weil Gläubiger systemrelevanter Banken nicht das volle Risiko tragen und bereit seien, solchen Instituten Gelder zu niedrigeren Zinsen zu überlassen als aufgrund des Risikoprofils der Bank geboten wäre. Diese Gläubiger hätten auch weniger Anreize, der Bank auf die Finger zu schauen und eine übermässige Risikonahme zu sanktionieren. Grossbanken ihrerseits würden die Kostenvorteile ausnützen, die Verschuldung erhöhen und grössere Risiken eingehen. Um den Subventionsfluss zu maximieren, würden gewisse Banken stärker wachsen, als aufgrund der Skalen- und Verbundvorteile einer Grossbank betriebswirtschaftlich gerechtfertigt wäre.
Finanzwirtschaft mit Steuer zur Kasse bitten
Ausser einem Schuldenerlass brauchen Länder wie Griechenland reale Einnahmen, um die verbleibenden Schulden weiter abzubauen, zu investieren und die soziale Not zu lindern.
Eine bedeutende Einnahmequelle wäre die vom Zürcher Professor Marc Chesney geforderte Mikrosteuer auf sämtlichen elektronischen Zahlungsvorgängen: Beim Kauf oder Verkauf von Finanzpapieren und Derivaten jeglicher Art sowie auch bei allen elektronisch verbuchten Käufen von Waren und Dienstleistungen und bei jeder Banküberweisung sind zum Beispiel 0,1 Prozent als Quellensteuer abzuschöpfen.
Eine solche Abgabe ist technisch einfach und unbürokratisch, weil die Transaktionen ohnehin elektronisch erfasst werden.
Diese, möglichst gesamteuropäische Steuer würde den Ländern Südeuropas sowie Irland die nötigen Milliarden verschaffen, um die grosse soziale Not zu lindern, nötige Investitionen in die Infrastruktur der Länder zu finanzieren, und um die politischen Verhältnisse zu stabilisieren.
Den Grossbanken und Hedge Funds zuzumuten
Zur Kasse kämen in erster Linie Grossbanken und Hedge Funds. Das ist ihnen zuzumuten. Denn in den Jahren vor der Finanzkrise hatten sie Griechenland, Irland und andern europäischen Ländern waghalsige Kredite gewährt oder mit Ausfallrisiken spekuliert. Zudem profitieren sie massiv von der staatlichen (Rettungs-)Garantie.
Für Professor Chesney besteht kein Zweifel: «Grossbanken waren in der Lage, die Situation in Griechenland einzuschätzen. Es war niemand verpflichtet, Griechenland Milliarden-Kredite zu gewähren. Diese Grossbanken hätten die Risiken tragen müssen. Sie haben die riesige Finanzkrise mit verursacht.» Doch trotz eines Schuldenschnitts im Jahr 2012 konnten sich Grossbanken und Hedge Funds dank direkter und indirekter öffentlicher Finanzhilfe weitgehend schadlos halten.
Selbst die EU-Kommission rechtfertigte eine Besteuerung des Finanzsektors, denn dieser soll «wenigstens einen Teil der Beträge zurückzahlen, die der europäische Steuerzahler im Zusammenhang mit Rettungsaktionen vorfinanziert hat.»
Doch das bleibt ein frommer Wunsch.
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Zum Infosperber-DOSSIER: «Griechenland fordert die EU heraus»
*Am 4. Juni 2011: «Statt Spekulanten zur Kasse zu bitten, riskieren Europäische Zentralbank und IWF mit weiteren Milliardenkrediten das Schlimmste.»
Am 20. Juli 2011: «Die Banken sollen ihre profitablen, hoch verzinsten Anlagen in Griechenland zurück erhalten, auch wenn dort soziale Wirren drohen.»
Am 24. Juli 2011: «Banken und Versicherungen haben sich in Griechenland verspekuliert. Dank Staatshilfe kommen sie jetzt mit einem blauen Auge davon.»
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Sehr guter Artikel.
Merkel soll zurücktreten! Die Merkelsche Sparpolitik ist “eine Fehlleistung von historischem Ausmass”. Diese Misswirtschaft hat dazu geführt, “dass die EU heute nicht mehr das Friedensprojekt ist, das sie zu Beginn war, sondern eine Organisation zur Verteidigung von europäischen Konzerninteressen.”
Ganzer Artikel hier: http://wp.me/p3KWV3-38
Blinde Flecke in der GR Berichterstattung gibt es zuhauf. Schlimm, dass man es nicht einmal merkt. Beispel: GR lässt in D eine Serie Unterseboote bauen (wie früher Kampfjets in den USA). Nicht gerade das Nötigste zur Zeit. Abbstellen würde natürlich in D Werften Arbeit wegnehmen. Also, Stillschweigen.
Natürlich ist GR eine Seefahrernation, aber deren Reeder sind verfassungsmässig steuerfrei und beschäftigen eher asiatische Billig-Seeleute.
Jean-Pierre Meylan 9.7.2015
Die alleinige Deckung der Steuerlast durch eine automatisierte Tobintax würde so manchen, unproduktiven Arbeitsplatz kosten. Das Geheul um diese «Arbeitsplätze» ist sofort laut vernehmlich. Doch im internationalen Wettberb könnte die hiesige Realwirtschaft leicht um 20% günstiger anbieten, bei gleicher Qualität.
Die entlassenen Sesself* können sich dann gerne dem Markt stellen. Der Niedriglohnsektor kann diese Arbeitskräfte gut aufnehmen. Betroffene, die nicht Bildungsfern, sondern wissensbegierig sind können sich leicht umorientieren. Die ewige Neugier ist da sehr hilfreich.
Eine Mikrosteuer auf Finanztransaktionen wäre eine ausgezeichnete Sache. Warum soll eine Steuer, die nur ein kleiner Bruchteil dessen ist, was die Banken ihren Kunden für Transaktionen verrechnen, unzumutbar sein?
Solange unsere Politik aber dermassen stark von Banken abhängig ist, wird das ein Wunschdenken bleiben. Auch in der Schweiz werden die Bürger wohl wieder mehrheitlich Parteien ins nationale Parlament wählen, welche sich von den Banken kaufen lassen.
P.S.: Der Ertrag wäre wohl kleiner, als man dies aufgrund der heutigen Anzahl Transaktionen berechnen würde. Aber eine Verminderung der Transaktionen (z.B. ein Ende des «high frequency trading» wäre schon per se ein Gewinn.
Auch sehr passend, Pop’s Vortrag.
Griechenlands „Geldgeber“: die verdeckten Geldnehmer.
https://www.youtube.com/watch?v=zu131UnCBWw&feature=youtu.be