Erhitzte Diskussionen um eine Delikatesse in China
Vor einem Jahr erreichte der Schweinepreis mit 3.50 Franken pro Kilo in der Volksrepublik ein Rekordniveau. Tierseuchen hatten den Schweinebestand reduziert, die Nachfrage – so auch das «bourgeoise» Marktgesetz in der «sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung» – überstieg das Angebot bei weitem, die Preise explodierten. Schweinezüchter in Amerika und Europa jubelten, sie konnten in grossem Stil nach China exportieren. In Peking allerdings läuteten Alarmglocken.
Inflationärer Druck machte sich bemerkbar. Nichts fürchten die kommunistischen Mandarine mehr als Inflation und den Zorn der Massen. Lebensmittel machen rund 30 Prozent des Konsumentenpreisindexes aus. Darin spielt Schweinefleisch eine wichtige Rolle.
Schweinefleisch in allen Varianten
Das ist der makro-ökonomische Aspekt. Dazu kommen die kulinarischen Vorlieben der Chinesinnen und Chinesen. Neben Reis und Gemüse ist das Schweinefleisch in allen Varianten. Ein Frühlingsfest, ein Nationalfeiertag oder ein Essen mit Freunden ohne Schweinefleisch – undenkbar. Fettes Schweinefleisch, scharf gewürzt nach Art der Provinz Hunan, war das Lieblingsgericht der «Grossen Vorsitzenden» Mao Dsedong. Auch Reformübervater Deng Xiaoping war kein Kostverächter und liebte Schweinefleisch nach Art seiner Heimatprovinz Sichuan.
Das alles weiss Qu Liang, er ist Koch einer Garküche in der Goldfisch-Gasse im Zentrum von Peking. Er bereitet Schweinefleisch nach Art seiner Heimatprovinz Hunan zu, saftig und göttlich scharf. Wie für die Regierung ist der Schweinepreis für Qu Liang immer ein Thema. Vor einem Jahr klagte er über die Preisspitzen und die Tatsache, dass er die erhöhten Preise niemals ganz auf seine Gäste überwälzen könne.
Fundamental veränderte Situation
Dieses Jahr freilich ist die Lage fundamental anders. Die Schweinepreise gaben immer mehr nach. Das Angebot hat sich stabilisiert, gleichzeitig ist die Nachfrage wegen der moderat schwächeren Konjunktur leicht gesunken. Das Kilo auf dem Markt in Peking kostet nur noch 14 Yuan, das sind umgerechnet rund zwei Franken. Koch Qu Liang kann aufatmen. Die Preise bei ihm aber sind immer noch gleich hoch wie vor einem Jahr……
Weniger rosig ist die Lage für Wang Ke, der rund 80 Kilometer östlich von Peking eine grosse Schweinezucht betreibt. Sicher, sagt er, die Preise hätten sich mehr oder weniger eingependelt auf tiefem Niveau, nicht zuletzt dank Interventionen der Regierung. Jetzt mache er noch knapp einen kleinen Gewinn.
Steiler Preisanstieg seit Mai
Seit einigen Wochen jedoch sind wegen Dürren in den USA und anderswo die Futtermittelpreise stark angestiegen. Schweinefutter wird vor allem aus Soya und wenig Mais hergestellt. Der Preisanstieg seit Mai war derart steil, dass heute Reis billiger ist als Schweinefutter. So kostete ein Tonne Schweinefutter anfangs September 4’290 Yuan, während Reis pro Tonne 2’826 und Weizen pro Tonne nur 2’530 Yuan galt.
Auf dem chinesischen Online-Dienst soozhu.com zur Beobachtung des Schweinemarktes äussert sich Analyst Feng Yonghui folgendermassen: «Die Futterpreise sind auf historisch hohem Niveau, so dass sich die Verluste für die Schweinebauern verschlimmern könnten.» Für viele Schweinzüchter wird die Luft dünn, einige haben bereits Notschlachtungen durchgeführt. Selbst bei steigenden Preisen, so Schweinebauer Wang, sind derart hohe Futterpreise à la longue nicht zu verkraften. Die Regierung steckt in einem Dilemma.
China soll Selbstversorger werden
Als weltweit grösster Produzent und Verbraucher von Schweinefleisch will China bis in drei Jahren mit 85 Millionen Tonnen (derzeit 52 Millionen) zum hundertprozentigen Selbstversorger werden. Während die Regierung noch Anfang August mit Käufen den fallenden Preis stützte, kauft die Regierung jetzt nochmals Schweinehälften, um ihre strategischen Tiefkühl-Lager zu füllen, um so einer Preissteigerung zuvorzukommen und das inflationäre Gespenst zu zähmen.
Andrerseits soll die Fleischproduktion bis zur Selbstversorgung angekurbelt werden. Schweinezüchter Wang: «Wenn die Rechnung der Regierung aufgeht und wir einigermassen gute Preise erzielen, haben wir auch wieder Anreize, zu investieren.» Analyst Feng sieht derzeit nur einen «moderaten Preisanstieg», weil im Augenblick wieder eine grosse Schweinepopulation vorhanden ist.
Wenn die Lösung dieses vertrackten volkswirtschaftlichen Rätsels tatsächlich gelingen sollte, wären Koch Qu und zig-Millionen Schweinefleisch liebende Chinesinnen und Chinesen der Partei und Regierung mehr als dankbar. Und natürlich auch Schweinezüchter Wang.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine