EU kassiert ihre «Hilfspakete» gleich selber
Von der NZZ über den Tages-Anzeiger bis zur Basler Zeitung hatten im Februar alle von einem «Hilfspaket» geschrieben: Die EU habe weitere rund 130 Milliarden Euro «für Griechenland» beschlossen. Mit der Bezeichnung «Hilfspaket für Griechenland» haben viele Medien die von der EU vorgegebene Wortwahl ziemlich unbedacht übernommen.
Neuste Zahlen belegen, dass die «Hilfspakete» nicht den Griechen, sondern in erster Linie den Gläubigern Griechenlands zugute kamen. Und sie verschafften diesen Gläubigern – meistens Banken und Versicherungskonzernen – genügend Zeit, um die toxischen Staatsobligationen Griechenlands und Spaniens zu einem grossen Teil abzustossen und den Rest abzuschreiben.
Als Käuferin stellte sich vor allem die Europäische Zentralbank zur Verfügung, so dass das grosse Risiko für Verluste jetzt zu einem grossen Teil bei den Steuerzahlern der reicheren EU-Länder hängen bleibt.
New York Times bringt Licht ins Dunkel
Die Regierungen und die Europäische Zentralbank EZB spielen mit verdeckten Karten und veranstalten ein Versteckspiel darüber, wie stark Banken und Versicherungen unterdessen die Zeit ausgenützt haben, um die schlechten griechischen oder spanischen Staatsobligationen los zu werden.
Etwas Licht ins Dunkel brachten letzte Woche zwei Recherchen der New York Times:
• Drei Viertel aller griechischen Staatsanleihen im Nominalwert von 182 Milliarden Euro haben Banken und Versicherungen bis heute der EZB, dem Europäische Finanzstabilisierungsfazilitätfonds EFSF oder dem Internationalen Währungsfonds IWF abtreten können. Das schätzen Investmentbanker der UBS, schreibt die NYT.
• Allein die EZB hat bis heute griechische Staatsobligationen im Wert von rund 50 Milliarden Euro gekauft. Banken und Versicherungen verkauften der EZB diese Anleihen mit einem Abschlag auf dem Nominalpreis von durchschnittlich sieben Prozent, so dass die EZB von Griechenland eine hohe Verzinsung von rund zehn Prozent kassiert. Für diese Angaben zitiert die NYT Stephano Deo, UBS-Manager in London.
EU zahlt sich die Zinsen mit Krediten an Griechenland gleich selbst
Damit diese EU-Institutionen und der IWF für ihre erworbenen griechischen Staatsanleihen die hohen Zinsen erhalten, geben sie Griechenland das Geld in Form von «Hilfspaketen». Damit Griechenland ja nicht in Versuchung kommt, die EU-Gelder für etwas anderes auszugeben, werden die «Hilfs»-Milliarden auf ein Treuhand-Konto in Athen überwiesen, auf das die griechische Regierung keinen Zugriff hat. Auf diesem Konto bleibt das Geld nur wenige Tage, bevor es wieder an den IWF, die EZB und die andern Gläubigern zurück überwiesen wird.
«Das scheint absurd», meint die NYT und zitiert Stephano Deo von der UBS: «Man gibt Geld und nennt es ‚Kredit’ – man erhält das gleiche Geld zurück und nennt es ‚Zinszahlung’.»
Unterdessen hätten die EZB und andere europäische Institutionen so viele toxische Obligationen erworben, dass sie sich die Zinsen auf diese Weise lieber selber zahlen, als die Folgen eines generellen Schuldenschnitts Griechenlands zu tragen, allenfalls in Verbindung mit einem Austritt aus der Eurozone. Das jedenfalls meint die New York Times.
Allerdings könnte Griechenland versucht sein, einen Schuldenschnitt zu verkünden, sobald die Regierung wie geplant viel mehr Steuern auftreiben und – ohne Zins- und Schuldenrückzahlungen – ein ausgeglichenes oder sogar positives Budget erzielen könnte. Doch Thomas Mayer, Finanzspezialist bei der Deutschen Bank in Frankfurt, beruhigt: Griechenland werde keinen Schuldenschnitt auf diesen Obligationen vornehmen, so lange die «Troika» (EZB, EFSF und IWF) die geschuldeten Zinsen sich immer selber zahle.
Fragt sich nur, wie lange die Troika in der Lage ist, die Zinsen Jahr für Jahr selber zu zahlen – und diesen Deal der Öffentlichkeit als «Hilfspakete» darzustellen.
Spanische Staatsanleihen: Zurück nach Spanien
Viel mehr noch als Griechenland erschüttert das wirtschaftlich viel gewichtigere Spanien die Stabilität des Finanz- und Währungsgefüges. Eine zweite Recherche der New York Times zeigt, in welchem Ausmass es privaten Banken und Versicherungen in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und andern europäischen Ländern gelungen ist, einen grossen Teil ihrer spanischen Staatsanleihen bereits los zu werden und an spanische Banken zu verkaufen:
Vor einem Jahr besassen Institute dieser Länder noch 40 Prozent aller spanischen Staatsanleihen, im März 2012 waren es nur noch 26 Prozent.
Die privaten Gläubiger – ob Banken, Versicherungen, Unternehmen oder Privatpersonen – konnten die Zeit nutzen, um ihre toxischen Papiere noch zu einem guten Preis los zu werden. Nach Angaben von Reuters haben sie innert eines Jahres die Hälfte ihrer toxischen Papiere verkauft. «Die Banken haben sich aus der Affäre gezogen», kommentiert Finanzspezialist Arthur Rutishauser im Tages-Anzeiger. Bis 2015 werden die Privaten fast alle toxischen Staatsanleihen Griechenlands, Spaniens oder Portugals abgestossen haben – meistens an staatliche Institutionen, so dass die Risiken auf die Steuerzahler abgewälzt sind.
Ein unseliger Kreislauf
Diese Anleihen kaufen spanische Banken «freiwillig» und nehmen wissentlich ein hohes Risiko in Kauf, ja sogar ein Klumpenrisiko. Das kann man nur mit einer Verbandelung der grossen spanischen Banken mit der Regierung erklären.
Die Grossbank Santander – immer nach Angaben der NYT – sitzt unterdessen auf spanischen Staatsobligationen im Nominalwert von 60 Milliarden Euro, und die Grossbank BBVA auf solchen im Nominalwert von 49 Milliarden.
Das Geld für diese Käufe gefährdeter Obligationen haben diese Banken – wen wundert’s – von der Europäischen Zentralbank EZB erhalten. Diese hatte allen Banken langfristige Kredite zu maximal einem Prozent Zins geliehen. Allein die spanischen Banken haben sich 300 Milliarden geholt und damit – mit wohlwollender Unterstützung der Regierung – vor allem Staatsobligationen des Landes gekauft.
Unglaublich: Diese Banken dürfen diese gefährdeten griechischen Staatsanleihen bei der EZB als Sicherheiten hinterlegen, wenn sie sich von der EZB weiteres Geld fast gratis ausleihen. Normalbürger können nur staunen: Die Banken erhalten die Kredite zu höchstens ein Prozent Zins gegen Hinterlegung von abgesessenen Polstermöbeln zum Neuwert.
Die EZB als Europäische Nationalbank finanziert damit den Schuldenberg Spaniens und einiger anderen Länder.
Private suchen für ihr Vermögen sichere Platzierungen
In dieser Situation reagieren Privatpersonen und Firmen vernünftig und legen ihr Geld im weniger gefährdeten Ausland an, besonders in Deutschland und auch in der Schweiz. Das ist mit ein Grund, weshalb man deutsche und Schweizer Staatsobligationen nur noch zu keinem oder sogar einem Negativzins kaufen kann. Die Anleger sind zufrieden, wenn sie ihr Vermögen einigermassen bewahren können und verzichten auf eine Rendite – ein klares Indiz, wie düster «die Märkte» die Lage einschätzen.
Auszahlung der Banken und Versicherungskonzerne
Schon früh hatte Infosperber solche Ökonomen zu Wort kommen lassen und darauf hingewiesen, dass bereits die ersten «Hilfspakete» nicht für Ausgaben in Griechenland bestimmt waren, sondern zum Zahlen der Zinsen der ausstehenden Staatsobligationen. Griechenland war zahlungsunfähig und hätte deshalb auf seinen Obligationen einen Schuldenschnitt vornehmen müssen. Zur Kasse gekommen wären viele Banken und Versicherungskonzerne, welche unvorsichtigerweise in griechische Staatsanleihen investiert hatten und einen grösseren Abschreiber hätten hinnehmen müssen. Mit den «Hilfspaketen» und dem ständigen Hinauszögern hat man nicht Griechenland geholfen, sondern in erster Linie den Grossbanken und Versicherungen in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und andern Ländern («Euro-Rettung: Die Spekulanten werden belohnt).
Weil aber Grossbanken und Versicherungen angeblich «too big to fail» sind, also zu gross, um bankrott zu gehen, und weil diese Finanzkonzerne politische Parteien finanzieren und auf Parlamente und Regierungen einen grossen Einfluss haben, konnten sie die Regierungen und die EU-Kommission dazu verleiten, sie von grösseren Verlusten und Abschreibern zu verschonen, indem diese die Zinszahlungen praktisch übernahmen.
Es ging also in erster Linie darum, diese Banken und Versicherungskonzerne der andern EU-Länder zu retten, und nicht den griechischen oder spanischen Staat. Dumm stehen griechische und spanische Banken da, die von ihren Regierungen praktisch gezwungen wurden und noch immer werden, massenweise Staatsobligationen des eigenen Landes zu kaufen. Und dumm steht die Europäische Zentralbank EZB da, die nach eigenen Angaben gegenwärtig Staatsobligationen gefährdeter Staaten im Nominalwert von 212 Milliarden Euro in ihren Büchern hat.
Denn es kann durchaus sein, dass diese Grossbanken und Versicherungskonzerne auch «too big to save» sind, also zu gross, um gerettet zu werden.
Der Zeitgewinn hat Privaten genützt, den Staaten geschadet
Die Verlagerung der Risiken von unvorsichtigen, gefährdeten Banken und Versicherungen zu den Steuerzahlern hat Griechenland und Spanien nicht etwa geholfen – im Gegenteil. Beide Staaten werden trotz des Zeitgewinns kaum darum herum kommen, auf ihren Staatsanleihen einen grösseren Schuldenschnitt vorzunehmen. Obligationen, die bisher 1000 Euro wert waren, sind nach einem Schuldenschnitt zum Beispiel nur noch 300 Euro wert. Pech für alle, die diese Obligationen für fast 1000 Euro gekauft haben, heute also für die EZB, den IWF und den EFSF sowie spanische und griechische Banken.
Für das Hinauszögern von fast unvermeidlichen Schuldenschnitten zahlen diese Länder einen hohen Preis: Sie stehen unterdessen am Rand eines noch viel grösseren sozialen, wirtschaftlichen und politischen Absturzes. Die meisten unabhängigen Ökonomen sind sich einig, dass Irland, Griechenland oder Portugal heute besser dastünden, wenn sie zu Beginn der Krise sofort einen Schuldenschnitt vorgenommen hätten.
Banken haben noch grösseres Interesse am Sozialabbau
Gewinner der aufgeschobenen Schuldenschnitte sind die ehemaligen Hauptgläubiger in Deutschland, Frankreich, England und der Schweiz. Schon heute würde sie ein Staatsbankrott der überschuldeten Länder viel weniger hart treffen als noch vor ein oder zwei Jahren. Anders sieht die Lage für Griechenland, Spanien, Portugal oder Italien aus: Ein Schuldenschnitt würde die meisten inländischen Banken noch viel stärker in den Abgrund stürzen als noch vor zwei Jahren.
Deshalb werden die Banken dieser gefährdeten Länder einen Schuldenschnitt noch stärker bekämpfen als schon bisher. Sie bevorzugen weitere Lohnsenkungen und Rentenkürzungen, sonstigen Sozialabbau, ein Rausschmiss von Haus- und Wohnungseigentümern, eine Lockerung von Umwelt- und Raumplanungs-Vorschriften und weitere Deregulierungen zugunsten der Wirtschaft.
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FOLGENDE FORDERUNGEN STEHEN ZUR DISKUSSION:
1. Schuldenschnitte: Staaten, welche die Zinsen auf den ausgegebenen Staatsanleihen nicht mehr zahlen können, sollen rechtzeitig einen Schuldenschnitt vornehmen (ohne aus dem Euro auszutreten). Drohende Schuldenschnitte würden Staaten, die ihr Haushaltsdefizit nicht in den Griff bekommen, zu internen Spar- und Rationalisierungsmassnahmen zwingen, weil sie neue Staatsanleihen nur zu hohen Zinsen ausgeben könnten. Keine «Troika» müssten einem solchen Land irgendwelche Massnahmen befehlen.
2. Kapitaltransaktionssteuer: Zum Beschaffen des nötigen Geldes für Sozial- und Beschäftigungsprogramme sowie für zukunftsgerichtete Investitionen eine Steuer auf sämtlichen Kapitaltransaktionen in allen europäischen Ländern einführen.
3. Bankenpleiten möglich machen: Auch eine Grossbank muss für ihr Geschäftsrisiko gerade stehen und bankrott gehen können. Die Staaten müssen gesetzlich dafür sorgen, dass Konkurse auch von grossen Banken und Versicherungen ohne gravierende Folgen für die ganze Wirtschaft abgewickelt werden können.
4. Garantie der Bankeinlagen: Eine stark verbesserte Garantie aller Bankeinlagen wird einen Run auf Banken am ehesten verhindern. IWF-Chefin Christine Lagarde schlägt ein europaweites Einlageversicherungs-Programm vor. Dazu bräuchte es allerdings Zustimmung sämtlicher Parlamente. In der Schweiz sind pro Bank 100’000 Franken Privateinlagen vom Staat garantiert, jedoch nur bis zu einer Gesamtsumme von 6 Milliarden Franken. Bei Banken-Pleiten ist dieser Betrag schnell aufgebraucht.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Wiederum ein sehr guter Backgroundbericht, den man in andern Medien (ausser der NYT) vergeblich sucht. Chapeau!
Vielen Dank, nun stehe ich mit meiner Meinung nicht mehr ganz so alleine da. Einzig eine 5te Forderung würde ich noch in den Raum stellen: Eine Luxussteuer (erhöhter Mwst Satz) auf allen Gütern welche den Durchschnittspreis übertreffen.