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Die Landi ist genossenschaftlich organisiert © fenaco

Die SP hat «Jahr der Genossenschaften» verschlafen

Niklaus Ramseyer /  Viele SP-Genossen wollen den Kapitalismus überwinden. Doch zum offiziellen «Uno-Jahr der Genossenschaften» fiel ihnen wenig ein.

Die Eid-Genossenschaft fühlte sich auch kaum angesprochen. Dafür meldeten sich etliche erfolgreich wirtschaftende Genossenschaften zu Wort. Ende Oktober zum Beispiel flatterten in viele Haushalte Briefe der Mobiliar ins Haus. Nein, keine «Anpassung» der Prämien, im Klartext Erhöhung der Prämien, sondern vielmehr eine freudige Überraschung. «Unser Erfolg ist Ihr Vorteil», teilte Markus Hongler, der CEO der «Mobiliar» seinen «sehr geehrten Kunden» mit. Nicht weniger als 120 Millionen Franken würden an die Mobiliar-Versicherten zurück verteilt. Das ergebe dann etwa bei der MobiCar-Autoversicherung einen Prämien-Nachlass von satten zehn Prozent.

Profit für alle statt für wenige

Der Grund für die erfreuliche Bescherung: «Die Mobiliar ist genossenschaftlich verankert», hält Hongler fest. «Sie beteiligt ihre Kunden regelmässig am Erfolg.» Insgesamt dürften so nur schon in den letzten fünf Jahren über eine halbe Milliarde Franken an die über eine Million Versicherten der Mobiliar zurück geflossen sein. Wäre der grösste Sachversicherer in unserem Lande eine Aktiengesellschaft (AG), hätten hingegen irgendwelche Aktionäre, oder neudeutsch «Shareholder», diese Summen leistungsfrei in ihre Taschen gesteckt.

Bei der Genossenschaft Mobiliar jedoch gilt: «Member-Value statt Shareholder-Value». Nicht Maximalgewinne für Investoren und Manager oder der Börsenkurs sind die Leitlinie des Unternehmens mit dieser Organisationsform, sondern «die nachhaltige Leistung den Genossenschaftern» gegenüber. Urs Berger, der Verwaltungsratspräsident der Mobiliar, hat zuvor jahrelang bei Aktiengesellschaften gearbeitet. Jetzt hält er gegenüber der Zeitung «Bund» fest: «Für die Versicherungsbranche ist eine gut kapitalisierte Genossenschaft die beste Organisationsform – ohne Wenn und Aber.»

Migros, Coop, Mobility und fast 10 000 andere
Und nicht nur für die Versicherungsbranche: Mehr als 9000 Genossenschaften gibt es in der Schweiz. Davon sind 28 Prozent Wohnbaugenossenschaften. Die grössten und bekanntesten Schweizer Genossenschaften jedoch sind die Grossverteiler Migros und Coop. Sie bilden im Detailhandel seit Jahrzehnten ein erfolgreiches «Duopol». Viele kleinere Läden sind ebenfalls genossenschaftlich organisiert. Und neuerdings macht den beiden Grossen die «Fenaco» als veritabler Grossverteiler Konkurrenz mit ihren Landi-Läden. Diese ehemaligen «Landwirtschaftlichen Genossenschaften» haben lange Tradition in den meisten Dörfern landauf landab.

Der Genossenschaftsgedanke kommt ohnehin ursprünglich vom Land: Als Alpgenossenschaften und noch früher als Allmenden oder als Weg- und Wassergenossenschaften gehören sie seit dem Mittelalter zum Kulturgut unseres Landes (siehe unten). Eine neuere erfolgreiche Gründung dieser Unternehmens-Form ist die Autoteil-Genossenschaft «Mobility». Oder die GLB in Langnau BE: GLB heisst «Genossenschaft für Leistungsorientiertes Bauen». Die erfolgreiche Baufirma, die inzwischen über 500 Leute beschäftigt und mehr als hundert Millionen Jahresumsatz macht, war von Bauern gegründet worden. Die Selbsthilfeorganisation, der 13’000 Genossenschafter angehören, nutzte und nutzt die Fähigkeiten der Bauherren zur Mitarbeit geschickt: Braucht ein Landwirt einen neuen Stall oder eine neue Jauchegrube, stellt ihm die GLB den Trax hinters Haus, zeigt ihm wie er funktioniert, und dann macht der Bauer den Aushub gleich selber.

Genossenschaft statt Kapitalismus
Neben diesen «SVP-Genossenschaften» haben in den Städten die «SP-Genossenschaften» eine ähnlich lange Tradition: Sei es als Konsumorganisationen, wie Coop, das ältere Leute bis heute «Ds Konsum» nennen. Sei es als Baugenossenschaften. «Es gibt in unserem Lande die bäurischen und die proletarischen Genossenschaften», stellt der Schaffhauser SP-Nationalrat und Wirtschaftsfachmann Hans-Jürg Fehr fest. So oder so ist diese Unternehmensform ein wichtiger Faktor: Nur schon die zehn grössten Genossenschaften der Schweiz erbringen zusammen elf Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung unseres Landes. Das sind über sechzig Umsatzmilliarden. Auch die drittgrösste Bank im Land ist eine Genossenschaft: die Raiffeisen-Gruppe mit ihren 1,7 Millionen Genossenschafterinnen und Genossenschaftern.

Alle diese Unternehmen, die teils zu den grössten Arbeitgebern der Schweiz zählen, haben schon verwirklicht, was die SP Schweiz Ende 2011 in ihr neues Programm schrieb: Die Überwindung des Kapitalismus. Die Migros ist dafür das beste Beispiel: 1925 als AG gegründet, wurde sie 1941 in eine erfolgreiche Genossenschaft umgewandelt.
Als abschreckendes umgekehrtes Beispiel nennen Fachleute heute die Swiss Life: Der grösste Lebensversicherer im Land war bis 1997 ebenfalls eine Genossenschaft gewesen. Dann wurde die damalige «Rentenanstalt» in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Mit fatalen Folgen: Vom Profitdenken getrieben bereicherten sich Swiss-Life-Manager schamlos. Es kam zu Skandalen und Gerichtshändeln.

SP-Genossen vergessen Genossenschaften
Das alles hätten die SP-Genossen jenen Kritikern entgegen halten können, die sie nach ihrem Beschluss zur Überwindung des Kapitalismus mit Häme übergossen. Doch die Genossen blieben in der Defensive und begannen parteiinterne Streitereien über diesen Punkt im Parteiprogramm.
Dabei ist in den Genossenschaften gleich noch ein weiteres öffentliches Ärgernis der letzten Jahre keines: Die Abzockerei durch freche Manager. So kassiert etwa der CEO des Migros Genossenschaftsbundes, Herbert Bolliger, als Chef eines Konzerns mit 86’000 Beschäftigten und 25 Milliarden Jahresumsatz gerade mal 860’000 Franken Jahresgehalt. Boni gibt’s beim «orangen Riesen» keine. Bei Mobility verdienen die Manager bloss rund 200’000 Franken im Jahr. Doch in der breiten Abzockerdebatte hat man diese positiven Beispiele kaum je gehört.

Diskrete Eid-Genossenschaft im Uno-Jahr
Die Linke hat auch das «Jahr der Genossenschaften» weitgehend verschlafen, das die Uno weltweit für 2012 ausgerufen hatte. Höchstens einen Vorstoss des Baselbieters SP-Nationalrat Eric Nussbaumer findet man dazu. Es ist ein schwaches Postulat, das vom Bundesrat einen «Bericht über die Entwicklung und Bedeutung» der Genossenschaften im Land verlangt. Die Regierung des einzigen Uno-Landes, das sich offiziell «Genossenschaft» nennt, winkt jedoch ab. Das würde «kaum einen echten Mehrwert erbringen».


OHNE GENOSSENSCHAFTEN KEINE EIGENSTÄNDIGE SCHWEIZ

Im Unterschied zur Politik haben die Genossenschaften in der Eidgenossenschaft das Uno-Jahr der Genossenschaften sehr wohl wahrgenommen.
Migros und Coop veröffentlichten Grundsatzartikel in ihren Zeitungen. Die grossen Genossenschaften schlossen sich zu einer Interessengemeinschaft zusammen, welche auch die Professur von Franco Taisch am «Kompetenzzentrum für Genossenschaftsunternehmen» in Luzern unterstützt. Ende September fand in Luzern ein «Genossenschafts-Kongress» statt.

Genossenschaft gegen Herrschaft
Die NZZ hat am 10. September unter dem Titel «Genossenschaft als Kulturgut» eindrücklich dargelegt, wie wichtig die Genossenschaften schon fast seit 1291 für die Entwicklung der Schweiz als eigenständiger und direktdemokratischer Staat waren. Die europäische Geschichte sei «stark vom Gegensatz zweier verschiedener Gesinnungen geprägt», kann man da lesen. «Von Herrschaft und Genossenschaft», wobei dieser Gegensatz wohl der wichtigste sei, den die Sozialgeschichte kenne.

Im Unterschied zu den «obrigkeitlich-bürokratischen» Staaten rund um sie, habe sich die Schweiz lange vor 1848 aus den Genossenschaften zu einem «gesellschaftlich-demokratischen» Staatswesen entwickelt. Nicht durch eine übergeordnete Macht von oben, sondern «durch freie Zusammenarbeit an gemeinschaftlichen Aufgaben». Das «genossenschaftliche Ordnungsprinzip» liege dem «von unten nach oben aufgebauten Gemeinwesen» der Eidgenossenschaft zugrunde.

Und es prägt die Politik des Landes bis heute. 1881 wurden die Genossenschaften im Schweizerischen Obligationenrecht (OR) in den Artiklen 828 bis 925 verankert. Neuste Umfragen zeigen, dass 91 Prozent der Schweizerinnen und Schweizern eine positive Meinung von Genossenschaften haben. Auf einer Werteskale von 1 bis 10 erreichen sie 7,2 Punkte, Aktiengesellschaften hingegen nur 4,7.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Lediglich bei der Mobiliar versichert und Kunde von Landi, Coop und Migros.

Zum Infosperber-Dossier:

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6 Meinungen

  • am 22.12.2012 um 12:43 Uhr
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    Liebe Genossinen und Genossen,
    die Schweiz ladet zum geniessen.Einmal in der Landi Belp:Zuerst Wein aus Südafrika,dann aus Australien und als Krönung ein Berg Weinkartons aus Kalifornien.
    Vor über 100 Jahren gründete der Bauer und Gastwirt Jenny aus Worblaufen den Verband landwirtschaftlicher Genossenschaften. 1. Handelsgeschäft: Import von 75 000 Liter algerischem Rotwein, den die Bauern für ihre Knechte und Mägde benötigten. (Warum schreit eigentlich die Brugger Mafia:Die Bundespolitik wolle die produzierende Landwirtschaft abschaffen.Ihre Genosenschaften arbeiten ja schon über 100 Jahre darauf hin.)
    Prost Nicki,ich glaube wir haben mal zusammen eine «Demokratische Alternative» gegründet?

  • am 22.12.2012 um 13:33 Uhr
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    Was Willy schreibt, ist auch zu betrachten und andererseits, die SP zu kritisieren, hilft auch nicht viel. Zum einen sind die Gesnossenschaften (die Migros, der COOP) weiter zu entwickeln und hätten demokratischer zu sein bzw. müssten demokratischer ausgestaltet werden. Und zum anderen sind in der SP zweifeln – zögern- zaudern – zudecken und zucken eher angesagt, als aktives, beherztes Handeln, etwas zu unternehmen, etwas in die Hand zu nehmen und sich aktiv dafür einzusetzen. Das hinwiederum hätte schon zu ändern, wage ich zu behaupten. Aber dem Autor sei Dank, dass er uns darauf aufmerksam gemacht hat, denn Genossenschafen als Trägerschaft von Unternehmen, nicht nur sozialer Art, bieten sich als Lösung an. Wahrlich eine Aufgabe der SP, für wen denn sonst? Also, engagieren wir uns, sammeln wir uns!

  • am 22.12.2012 um 14:38 Uhr
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    Die Genossenschaft zu verschlafen oder aus Bequemlichkeit zu verdrängen gehört zum Alltag der Eidgenossen in der Eid-"genossenschaft". Besonders deutlich wird dies im Umgang mit der Bundesverfassung (unserem Genossenschaftsvertrag), auf die man heute als schutzbedürftiges Individuum leider nicht mehr sicher zählen kann. Dort drin stehen Artikel, wie zum Beispiel der Schutz von Minderheiten wie Behinderte- die stehen heute da wie geschrieben und nicht umgesetzt.

  • am 24.12.2012 um 22:18 Uhr
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    Was bitte, hat die SP in den letzten Jahren nicht verschlafen?

  • am 25.12.2012 um 15:23 Uhr
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    Wie gesagt, lieber Rolf Räss, da gäbe es einiges zu sagen, und eine Aufbruchstimmung erlebe ich als Genosse nicht. Im Gegenteil, wer es wagt, zu kritisieren, wird rasch einmal einen Kopf kleiner gemacht, oder/und es wird ihm empfohlen, die SP zu verlassen. Dennoch, die SP ist eine Institution und wir sollten uns dort sammeln und die Kräfte entwickeln und motivieren, die das zu ändern vermögen. Wir haben jeden Tag dazu eine neue Chance, zu beginnen. Lassen wir uns also nicht entmutigen und machen wir da mit, wo uns die eher Bremsenden Lücken in ihrem pelzigen Dasein lassen, einzudringen mit neuen Ideen und Taten. Aber wir haben uns zu sammeln, zu vereinen, denn alleine sind wir leicht auslöschbar und versenkbar in unsere Bedeutungslosigkeit. Also, motivieren wir uns selber und machen das, was getan werden muss, ohne auf Dank und Anerkennung zu hoffen, selbstlos und tapfer, und mit einer guten Portion Humor, Selbstvertrauen und Selbstsicherheit, unentwegt und mit einem gewissen Beharrungsvermögen, ohne uns zu versteigen, einfach dem Wasser folgend, das fliesst und das seinen Weg noch immer gefunden hat. sonne7@gmx.ch

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