Der neuste Unsinn des Gerhard Schwarz
«Schliesslich ist die Regulierung ein Nährboden für Schattenwirtschaft, Korruption und Umgehungen aller Art.» Wie recht er doch hat, Gerhard Schwarz, der ehemalige Leiter des Wirtschaftsressorts der NZZ und heutige Direktor von Avenir Suisse, dem «think tank for economic and social issues», wie es auf deren Website heisst. Regulierungen – das neue, gewollt negativ tönende Wort für Regeln – sind tatsächlich der «Nährboden» für «Umgehungen». Um ein einfaches Beispiel zu nennen: Gäbe es keine Eigentumsgarantie – auch die ist nämlich eine schon seit gut 2000 Jahren bestehende «Regulierung» – gäbe es auch keinen Diebstahl. Man dürfte ja behändigen, was immer man wollte. Oder ein zweites Beispiel: Gäbe es keine Steuergesetze, gäbe es auch keine Steuerbetrüger. Oder ein drittes, noch einfacheres Beispiel: Wäre es nicht – per gesetzliche Regulierung – verboten, zu töten, gäbe es auch keine Mörder.
Nur wo es Regeln gibt, gibt es auch Verstösse dagegen. Regeln sind deshalb, um im Wortlauf von Gerhard Schwarz zu bleiben, immer der «Nährboden» für Verstösse.
Alles klar?
Gerhard Schwarz’ These heisst: «Die Schweiz wird immer unfreier.» Und dies, so Schwarz, aufgrund der immer zahlreicheren Regulierungen. Die Zahl der Regulierungen in der Schweiz habe gegenüber früheren Jahren massiv zugenommen, sagt er. Heute sei zum Beispiel reguliert, «wann wir einkaufen, wo wir rauchen und was wir wie bauen dürfen». Und deshalb gebe es auch immer mehr Aufsichtsbehörden. Als Beispiel nennt er hier die Finma, die Finanzmarktaufsicht.
Ist die Finma ein gutes Beispiel?
Noch vor 50 Jahren war Geld sozusagen die papierene Form von Gold, das irgendwo als realer Wert dahinter gelagert wurde. Und wie viel Geld in Umlauf war, entschied die Nationalbank, die als einzige das Recht hatte, Geld – also die papierene Version eines Gegenwertes – zu drucken.
Und heute? Heute kann jede Bank Geld ausleihen, ohne dieses Geld – beziehungsweise dessen Gegenwert – selber zu haben. Sie gibt einem Kunden einfach einen Kredit in Form einer nur im Computer existierenden Kreditlimite, ohne dass sie selber dieses Geld hat, und sie lässt sich das «ausgeliehene» Geld trotzdem köstlich verzinsen. Die Bank macht also Geld mit Geld, das sie selber gar nicht hat! (Siehe dazu auf Infosperber: «Sie machen Geld mit Geld, das sie nicht haben».)
Dass dieses neue System, das das Abkommen von Bretton Woods mit den festen Wechselkursen ersetzt hat und dessen Beginn meist mit dem Entscheid Nixons im Jahr 1971, den Dollar gänzlich vom Gold-Preis zu lösen, gleichgesetzt wird, nun auch kontrolliert werden muss, ist nicht nur selbstverständlich, sondern eine absolute Notwendigkeit. Dass die Banken nämlich immer wieder versuchen, das System auszuhebeln, und nicht selten sogar mit kriminellen Methoden Wege finden, sich – ihre Manager und ihre Aktionäre – zu bereichern, haben wir mittlerweile mehr als nur einmal zur Kenntnis nehmen müssen. Nur kommen diese Gauner nicht in den Knast; ihre Institute, wenn sie einmal erwischt werden, zahlen einfach Bussen oder sie kaufen sich von einer möglichen Bestrafung frei. Der Verlass auf die Eigenverantwortung, die Gerhard Schwarz bei jeder sich bietenden Gelegenheit propagiert – auch in seiner neusten Kolumne –, ist Blauäugigkeit pur. Gerade im Bereich der Finanzwirtschaft funktioniert die Eigenverantwortung nicht, die Kontrolle ist bitter nötig, die Finma also eher zu schwach als zu stark.
Das weiss auch Gerhard Schwarz.
Die EU lichtet den Regulierungsdschungel
Andere Länder würden, im Gegensatz zur Schweiz, ihren «Regulierungsdschungel ausholzen», sagt Gerhard Schwarz weiter. Ja, auch da hat er recht. Die EU hat mit Kanada und mit den USA hinter verschlossenen Türen Freihandelsabkommen ausgehandelt (CETA und TTIP), in denen vorgesehen ist, dass bei Streitigkeiten nicht mehr die geltenden Rechtssysteme in den beteiligten Ländern zur Anwendung kommen, also die rechtmässigen, rechtsstaatlich legitimierten Gerichte entscheiden müssen, sondern separate Schiedsgerichte in den USA zuständig sind, gegen deren Entscheide es keine Appellationsmöglichkeit mehr gibt. Und diese Anwälte sind Wirtschaftsanwälte aus der Privatwirtschaft, und zu allem Übel noch im einen Fall Vertreter einer Partei, im anderen Fall «Richter». Da wird in der Tat, um in Gerhard Schwarz› Bild zu bleiben, nicht nur «Regulierungsdschungel ausgeholzt», da wird sogar der Lawinenschutzwald rücksichtslos kahlgeschlagen. Die damit gewonnene «Freiheit» ist die Freiheit von ein paar hundert multinationalen Konzernen, zu tun und zu lassen, was immer ihnen gefällt, um noch mehr Geld in die eigenen Taschen zu wirtschaften. Mit der Freiheit von dir und mir, dem sogenannten «Mann von der Strasse», hat das alles gar nichts zu tun. Im Gegenteil, wir müssen dann wieder hormonverseuchte Hühnchen und genmanipuliertes Gemüse essen, weil die heutigen Regeln dagegen ausser Kraft gesetzt werden.
Das weiss auch Gerhard Schwarz.
Sand in die Augen statt Salz in die Suppe
Wird die Schweiz also tatsächlich immer unfreier? Der Sinn fast aller Regeln – heute von Wirtschaftsseite bewusst «Regulierungen» genannt – ist der Schutz des kleinen «Mannes von der Strasse» vor der Übermacht, der Willkür und der Gier der Grossen und Grössten, der Reichen und Reichsten. Was Gerhard Schwarz in seiner Kolumne, erschienen in der AZ vom 27. Novemer 2014 und auf der Website von Avenir Suisse einsehbar, zum Besten gibt, ist deshalb wider besseres Wissen und Gewissen – aber natürlich im Interesse seiner Brötchengeber, der Grossen und Grössten der Schweizer Wirtschaft, die hinter dem Think Tank Avenir Suisse stehen. Gerhard Schwarz streut den Leserinnen und Lesern einmal mehr Sand in die Augen und tut so, als wäre es das Salz in der Suppe.
Aber Hut ab: seine Kolumne ist wie immer brillant geschrieben – mit einer lustigen Geschichte von einem Frosch im warmen Wasser als «captatio benevolentiae»: um das Wohlwollen der Leserinnen und Leser zu erhalten. Der ehemalige Profi-Journalist weiss, dass auch Sottisen verkäuflich sind, wenn die NZZ-geprüfte Marke «Gerhard Schwarz» darauf steht.
—
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Danke.
Hervorragend gekontert!
Der Wildwestromantik des Geldadels gehört eine klare Absage erteilt. Natürlich möchten diese Kreise gerne tun und lassen was sie wollen. Das Gemeinwohl interessiert sie nicht wirklich oder wird dem Volk mit dem Versprechen nach «Brot und Spielen» schmackhaft gemacht. Alles auch schon dagewesen…
Reto Diener, Winterthur
Regulierungen schützen oft die Freiheit der Mehrheit!
Bei Regulierungen geht es oft um den Schutz der Freiheit der Mehrheiten vor den egoistischen Freiheiten der Minderheiten (Raucher, Raser, Freizeitpiloten, Spekulanten, Monopolisten, etc.). Dabei gibt es natürlich Grenzen; sie sind vom gesunden Menschenverstand zu ziehen.
Regulierungen – das neue, gewollt negativ tönende Wort für Regeln …mit dem einzigen, kleinen, aber erheblichen Unterschied, dass ein Markt zwar Regeln schaffen kann, Regulierungen aber immer von vom Staat gemacht werden. Oder zumindest, das Recht dazu, mit staatlicher Genehmigung, irgendwelchen Organisationen übertragen werden. Beispiel SEV.
Aber mit Wildwestromantik des Geldadels hat es genau so Wenig zu tun wie mit dem Schutz von Freiheit von Mehrheiten, genau das Gegenteil ist sollte doch der Fall sein, nämlich auch Minderheiten vor dem Diktat der Mehrheiten gebührend in Schutz zu nehmen, ganz besonders, wenn diese Minderheiten überproportional daran beteiligt sind, durch ihre Tätigkeit den Staatssäckel aufzufüllen.
Ich nehme für mich in Anspruch, einen gesunden Menschenverstand zu haben. Genau dasselbe tun wahrscheinlich Alle hier. Und trotzdem vertreten wir völlig gegensätzliche Ansichten.
Und wennauch vielleicht nur deshalb, weil Andere mich, als Raucher, quasi im Kollektiv, mit Rasern, Spekulanten und Monopolisten vergleichen. Da fehlte doch eigentlich nur noch eine politische Bezeichnung, wie Faschist oder Nazi, und wir alle schlechten Egoisten wären kollektiv qualifiziert.
Man macht es sich sehr einfach, über die zu schimpfen, die Geld haben. Etwas komplizierter aber wäre es wohl, Denen, die Geld haben, nicht noch jeden Tag Geld zu bringen, man müsste sich ja umstellen und käme wohl bald schon ausser Mode. Soviel aber ist es halt den Meisten dann auch nicht wert.
@E. Jacob: Die Freiheit des einen endet an der Freiheit des andern. Deshalb ist sie eng mit der Frage der Rechtmäßigkeit und Anerkennung (Legitimität) des eigenen Handelns und des Beschränkens fremden Handelns verbunden.
Richtig, Herr Schmid, deshalb versucht man ja auch seit geraumer Zeit, unser Land mit Leuten zu verdichten. Und jede zusätzliche Verdichtung legitimiert natürlich automatisch dazu, auch die individuelle Freiheit noch etwas mehr einzuschränken, da die Rechtmäßigkeit und Anerkennung (Legitimität) des eigenen Handelns mit dem Beschränken fremden Handelns verbunden ist.
Oder so ungefähr. Aber zumindest sind wir uns sicher dahingehend einig, dass meine Behauptung, im Prinzip, so richtig ist. Mit Fremdenfeindlichkeit hat das aber in keinster Weise etwas zu tun, eher doch mit Menschenfreundlichkeit. Und die behalten wir in Gottes Namen nur, solange wir noch genug Raum haben, um uns frei fühlen zu können.
Die aber, die sowas nicht brauchen, können ruhig in irgend eine grössere Stadt ziehen. Und Abends, ab 17 Uhr, alle Türen und Fenster schliessen. Um die Freiheit wenigstens noch in den eigenen Wänden geniessen zu dürfen.
Was Freiheit bedeutet, wissen nur Leute, die den Geschmack davon kennen. Die Anderen sind schon froh, wenn sie wenigstens einen Job haben…
Unsinn wider besseres Wissen! Ich wünsche dem Verfasser des Artikels viel Glück beim Versuch, Gerhard Schwarz zu überzeugen. Schon zu NZZ-Zeiten habe ich das mehrmals versucht. Wirtschaftsfundamentalisten sind wie alle Fundamentalisten, sie lassen sich kaum je belehren.