Der Strommix – und die Irrtümer der NZZ
«Kann Atomstrom nur durch Dreckstrom ersetzt werden oder reicht Ökostrom», fragte Infosperber in einem Artikel vom 4. November. Darin versprachen und lieferten wir «Antworten zwischen Schönfärber- und Schwarzmalerei». Unser Fazit: «Wir haben weitgehend die Wahl, wie viel und welchen Strom wir nach dem Ausstieg aus der Atomkraft importieren, und ob wir damit einen Blackout riskieren.»
Die Schwarzmalerei in der NZZ …
Helmut Stalder, NZZ-Redaktor, der vor einigen Monaten in die grossen Fussstapfen des fachkundigen Atomkraft-Befürworters Davide Scruzzi getreten ist, hat den Artikel auf Infosperber offensichtlich gelesen. Denn in der NZZ vom 8. November widmet er sich ebenfalls den «derzeitigen Planspielen zwischen Schwarzmalerei und Schönfärberei».
Im Unterschied zu Infosperber kommt Stalder aber zum undifferenzierten Schluss (und Titel): «Der Strommix wird dreckiger», wenn die Abstimmenden am 27. November die Initiative zum Ausstieg aus der Atomenergie befürworten. Denn obwohl Stalder die «Komplexität der Stromversorgung» betont, geht er wie alle Schwarzmaler davon aus, dass die Schweiz die inländische Produktion von Atomstrom nur mit Strom aus Atom- und deutschen Kohlekraftwerken ersetzen kann; zugespitzt im Untertitel: «Bei einem raschen Atomausstieg wird der Import von Kohlestrom unausweichlich.»
Gleichzeitig malt die NZZ – ebenfalls analog zu den Ausstiegsgegnern – einen Versorgungsengpass in der Schweiz an die Wand; dies in einem am gleichen Tag veröffentlichten Artikel im Wirtschaftsteil unter dem Titel «Der überstürzte Atomausstieg». Ihre Begründung: Mit dem Atomausstieg in Deutschland werde Strom in Süddeutschland (und damit an der Nordgrenze zur Schweiz) ebenfalls knapp. Denn die Kapazität der deutschen Stromleitungen reiche nicht, um den wegfallenden Atomstrom in Süddeutschland durch überschüssigen Windstrom aus Norddeutschland zu ersetzen.
… beruht auf einem Denkfehler
Der von Scheuklappen gesteuerte NZZ-Blick nach Norden lässt zwei Dinge ausser Acht:
– Die Schweiz exportiert heute unter dem Strich mehr Strom nach Italien, als sie aus Deutschland und Frankreich importiert. Es ist darum naheliegend, dass die Schweiz den wegfallenden inländischen Atomstrom (neben dem Zubau von Biomasse-, Wind- und Solarkraftwerken im Inland) durch eine Reduktion dieses Exports nach Italien respektive durch vermehrten Import von Strom aus Süden ersetzt, dies vor allem im Winter. Das ist auch deshalb wahrscheinlich, weil die Schweizer Stromproduzenten (Axpo, Alpiq, etc.) über viel Überkapazität an – heute ungenügend ausgelasteten – Gaskraftwerken in Italien, aber auch in Frankreich und Spanien verfügen. Gaskraftwerke emittieren pro kWh nur halb so viel CO2 wie Kohlekraftwerke und verursachen weder Risiken noch Atommüll. Und Gaskraftwerke werden wieder rentabel, wenn, wie die NZZ androht, Strom in Süddeutschland knapp werden sollte.
– Die Reduktion oder Umkehr des heutigen Stromflusses von Norden durch die Schweiz nach Süden entschärft oder beseitigt allfällige Netzengpässe in der Schweiz – und möglicherweise auch in Süddeutschland. Das sogenannte «Norddach» wird also entlastet. Damit entfallen auch die von der NZZ angedrohten Versorgungsprobleme.
Neben Denk- auch Faktenfehler
Die NZZ-Analyse trägt nicht nur Scheuklappen. Auf Kriegsfuss steht NZZ-Redaktor Stalder auch mit den Fakten. Beispiele:
– Helmut Stalder schreibt: «Die Schweizer Betreiber haben zwar eigene Kapazitäten im Ausland im Umfang von 3400 Gigawattstunden aufgebaut.» Damit stützt er sich wohl auf die Recherche und Grafik von Infosperber. Demnach betrug im Jahr 2015 die Produktion (nicht «Kapazität») von Schweizer Stromproduzenten im Ausland 34 Milliarden Kilowattstunden respektive 34 000 Gigawattstunden. Stalder hat also Leistung und Menge durcheinander gebracht und sich obendrein noch um eine Null vertan.
– Stalder schreibt, die Schweiz habe im Jahr 2015 mit einem Anteil von 33 Prozent weniger Atomstrom produziert als im Schnitt (38 %); dies «wegen der Stillstände von Beznau und Leibstadt». Fakt ist: Weit unterdurchschnittlich produzierten 2015 die beiden Reaktoren in Beznau, während der Stillstand des KKW Leibstadt vor allem im laufenden Jahr ins Gewicht fallen wird. 2016 wird darum der Atomstromanteil wohl nochmals kleiner sein als 33 Prozent.
– Stalder geht davon aus, dass mit dem Wegfall der drei Reaktoren Beznau I, II und Mühleberg «rund 15 Prozent der gesamten Schweizer Produktionskapazität» respektive 9000 Gigawattstunden Strom wegfallen. Damit vermischt er erneut Produktion mit Kapazität und übertreibt etwas. Fakt ist: In den letzten fünf Jahren produzierten diese drei ältesten Schweizer Atomkraftwerke stets weniger als 9000 Gigawattstunden (im Schnitt 8000 GWh), und auch 2016 werden es viel weniger sein. Ihr Anteil an der gesamten Schweizer Stromproduktion betrug im Schnitt der letzten fünf Jahre nicht 15 sondern 12 Prozent, in den Jahren 2015 und 2016 noch weniger.
Fazit: In der Debatte zwischen Schönfärbern und Schwarzmalerinnen ergreift die NZZ Partei für die Schwarzmaler.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Dreckiger??? Wer Atomstrom als saubere Energie bezeichnet ist einfach nicht informiert oder ein Ignorant. Eine Energiegewinnung welche einen Erbgut schädigenden und Krebs auslösenden Abfall produziert? Der seine schädigende Wirkung zudem über Generationen hinweg beibehält! Wer diese Energie im Interesse des Profites unterstütz zerstört die Zukunft unsere Kinder.
Ach ja, und eine Dreckschleuder wie ein Kohlekraftwerk kann man heute abschalten und ab morgen produziert es keinen Dreck mehr.
Meine Zustimmung, René Werner!
Dazu kommt aber noch der ganze Dreck der Uranminen, Verseuchung, Umsiedlung, Flucht, Korruption bis zu Kriegen um das Zeug!
Dreckiger Strom ist mein Solarstrom welcher ich teilweise für 3.8 Rp/kW/h einspeisen muss.Ich hoffe nur das die KEV Zwangssteuern diesen Betrag nicht überschreiten.
Bedrohung für grosse Teile de Mittellandes
Wenn wir die Initiative zum Atomausstieg annehmen, kann das riesige Potential zum Ausbau der erneuerbaren Energien endlich besser ausgebaut und genutzt werden. Ihre JA-Stimme beschleunigt diesen Prozess und hilft den vielen schweizerischen KMU in diesem Bereich. Gegner der Initiative, die behaupten, die heutigen AKW könnten gut noch einige Jahre rentieren, machen nur eine Grenzkostenrechnung ohne Berücksichtigung der Risiken, die jeder weitere Betriebstag bringt und die frankenmässig gar nicht beziffert werden können, aber eine Bedrohung für grosse Teile de Mittellandes sind.
Martin A. Liechti, Maur