Wie Krisen die Klimabilanz verbessern
Die Schweiz fordert an der UNO-Konferenz in Südafrika ein neues «umfassendes» globales Klimaabkommen. Doch im Inland braucht sie Krisen und warmes Klima, um nur schon den bestehenden Klimavertrag von Kioto zu erfüllen.
Wäre das ganze ein Fussballspiel, läge die Schweiz im Match Treibhausgase gegen Kioto-Vertrag nach drei Fünfteln der Spielzeit mit sechs Millionen Tonnen im Rückstand. Das zeigt die «Kioto-Buchhaltung» (siehe auch Tabelle).
Konkret: Das Klimaabkommen von Kioto verpflichtet die Schweiz, ihre Treibhausgase in den Jahren 2008 bis 2012 um je acht Prozent oder total 21 Millionen Tonnen CO2-Einheiten unter das Niveau des Jahres 1990 zu senken. Mindestens die Hälfte dieser Verminderung muss die Schweiz im Inland erreichen. Nach Abzug von ausländischen Emissionszertifikaten und zusätzlicher «CO2-Senke» (durch Waldzuwachs) bleibt im Inland allein ein Reduktions-Soll von knapp vier Prozent pro Jahr; in den fünf Jahren 2008 bis 2012 sind das rund 10 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent.
Resultate weit vom Ziel entfernt
In den ersten drei Verpflichtungsjahren zusammen (2008 bis 2010) puffte die Schweiz im Inland allein jedoch sechs Millionen Tonnen (oder durchschnittlich vier Prozent) mehr Treibhausgase in die Atmosphäre, als der Kioto-Vertrag erlaubt. Die Emissionen verharrten damit auf dem Niveau des Ausgangsjahres 1990.
Um das Kioto-Ziel doch noch zu erreichen, müsste die Schweiz in den verbleibenden zwei Jahren also tüchtig aufholen. Genau gerechnet: Wir müssten in den Jahren 2011 und 2012 unsere inländischen Treibhausgase gegenüber dem Stand von 1990 um je fünf Millionen Tonnen oder zehn Prozent vermindern (siehe Tabelle).
2011 bringt eine Trendwende
Mit den bis heute beschlossenen klimapolitischen Massnahmen allein ist dieses Ziel nicht zu erreichen; das bestätigen die jüngsten Prognosen des Bundesamtes für Umwelt (Bafu). Denn die nationale Klimapolitik – von der bescheidenen CO2-Abgabe auf Brennstoffen bis zum Gebäude-Sanierungsprogramm – ist erstens zu schwach und kommt zweitens zu spät. Trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass die Schweiz dem Kioto-Ziel zumindest im ablaufenden Jahr 2011 näher kommt. Denn weit stärker als die zaghafte Politik beeinflussen heute Wirtschaftsentwicklung, Währung und Witterung die Entwicklung der Treibhausgase.
Der Wachstumsschwäche sei Dank
Diese äusseren Einflüsse wirken sich 2011 aus folgenden Gründen positiv auf die Schweizer Klimabilanz aus:
• Die Schwächung von Euro und Dollar gegenüber dem Franken verteuerte die Exporte. Darum vermindert sich 2011 das Wachstum der Schweizer Wirtschaft. Weniger Wachstum – insbesondere in der energieintensiven Industrie – senkt auch den Energieverbrauch und mithin den Ausstoss des wichtigsten Treibhausgases CO2.
• Der tiefe Eurokurs verkleinerte auch den Export von Benzin in Form von Tanktourismus, der von 1990 bis 2009 die Schweizer Treibhausgas-Bilanz mit ein bis zwei Millionen Tonnen/Jahr belastete.
• Das Klima war 2011 – mit Ausnahme des heizungsfreien Monats Juli – viel wärmer als der langjährige Mittelwert. Das verminderte den Verbrauch von Heizöl und Heizgas und mithin den CO2-Austoss zusätzlich.
Krisen ersetzen Klimapolitik
Alle drei Faktoren zusammen könnten den Energieverbrauch und CO2-Ausstoss im laufenden Jahr 2011 gegenüber dem Rekordjahr 2010 um bis zu zehn Prozent vermindern (die offiziellen Daten für 2011 werden erst in anderthalb Jahren veröffentlicht). Wenn im folgenden Jahr 2012 das Klima erneut zu warm sein sollte, der Euro schwach bleibt und die Wirtschaftskrise auch die Schweiz erfasst, könnte die Schweiz ihre Treibhausgas-Bilanz tüchtig verbessern.
Allerdings: Eine Verbesserung der Klimabilanz, die nur auf Krise und Klimaerwärmung basiert, zeugt nicht von einer erfolgreichen Klimapolitik.
Zur Grafik: Kioto-Ziel für Treibhausgase im Inland 2008 bis 2012 sowie Resultate von 2008 bis 2010 und Erfordernisse 2011 und 2012. Alles in Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Ausgangsjahr 1990: 52,8 Millionen Tonnen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine