Tagesschau und 10vor10: Werbespot für Stromlobby
Als am letzten Montag der Stromkongress des Verbandes Schweizerischer Elektrizitäts-unternehmen (VSE) in Bern tagte, verkündeten die SRF-Informationssendungen Tagesschau und 10vor10 am Abend: «Wasserkraft zu teuer» und «Umstrittene Förderung der Solar- und Windkraft». Ein perfekter Werbespot für die darbende Strombranche. VSE-Präsident Kurt Rohrbach konnte sich prächtig in Szene setzen und seine PR-Leute konnten sich die Hände reiben. Die selektive Botschaft der Stromlobby kam voll zur Geltung: Die Wasserkraft ist nicht mehr konkurrenzfähig, weil subventionierter Solar- und Windstrom den Markt überschwemmt und die Preise drückt.
Unrentable Pumpspeicherkraftwerke
Elegant lenkte damit die Stromwirtschaft mit Unterstützung des Schweizer Fernsehens von den wirklichen Ursachen ihrer Krise ab. Denn die bestehenden Wasserkraftwerke produzieren nach wie vor zu konkurrenzfähigen Preisen. Grosse Probleme hingegen haben die Pumpspeicherkraftwerke. Ihr Geschäftsmodell beruht auf billigem Strom aus thermischen Kraftwerken (AKW, Gas und Kohle), mit dem das Wasser in der Nacht hochgepumpt und zu Spitzenzeiten am Mittag wieder turbiniert wird. Dieses Modell ist im letzten Sommer brutal zusammengebrochen.
Schon seit Jahrtausenden ist bekannt, dass die Sonne im Sommer über Mittag am intensivsten scheint. Doch davon wollte die Strombranche bis vor kurzem nichts wissen. Als die Förderung von Solarstrom in Deutschland dazu führte, dass um die Mittagszeit im Sommer die Strompreise in den Keller sanken, brach für die Schweizer Stromwirtschaft eine Welt zusammen. Plötzlich schrumpften ihre horrenden Gewinne. Der Goldesel bockte.
Und was noch schlimmer ist: Die Gesamtleistung der Pumpspeicherwerke soll von heute 1700 MW auf 6300 MW fast vervierfacht werden. Zur Zeit sind Pumpspeicherkraftwerke für 4,5 Milliarden Franken im Bau (z.B. Nant de Drance, Linthal-Limmern) und weitere sind geplant (z.B. Grimsel 3, Lago Bianco). Die Rentabilität dieses gigantischen Kraftwerkparks liegt «in den Sternen», wie der Stromkonzern Alpiq in einem inzwischen zurückgezogenen und anschliessend zensurierten Video erklärte und gleichzeitig für Subventionen bettelte.
Unrentable Gas- und Kohlekraftwerke im Ausland
In den letzten zehn Jahren hat die Schweizer Stromwirtschaft Milliardenbeträge in Gas- und Kohlekraftwerke im Ausland investiert, in der Hoffnung mit dem überschüssigen Bandstrom, die Pumpspeicherwerke zu füttern. Auch hier ging die Rechnung nicht auf. Zum Beispiel die Alpiq verzeichnete in den beiden letzten Jahren Verluste in Milliardenhöhe. Allein mit der Beteiligung am italienischen Stromkonzern Edipower fuhr die Alpiq einen Verlust von rund einer halben Milliarde Franken ein.
Der Kraftwerkpark der Schweizer Strombranche im Ausland produzierte bis zu 45 000 GWh, was drei Viertel der Stromproduktion in der Schweiz entspricht. Mit dieser riskanten Expansionsstrategie fuhren die Schweizer Stromkonzerne Alpiq, Axpo und BKW nicht nur Milliardenverluste ein, sondern trugen aktiv zur gegenwärtigen Krise bei. Denn der gigantische Ausbau der Stromproduktion in Europa führte zu einer Stromschwemme und zum Zerfall der Preise. Zeitweise ist der Strom an der Strombörse in Leipzig sogar gratis zu haben, wie beispielsweise in der Nacht von Silvester zum Neujahrstag.
Eigengoal der Schweizer Stromwirtschaft
Die Milliarden-Investitionen der Schweizer Strombranche in ausländische Gaskraftwerke hatten noch einen weiteren fatalen Effekt auf die Rentabilität der Pumpspeicherwerke. Die Gaskraftwerke übernehmen nämlich genau jene Funktion, welche die Strombranche für die Pumpspeicherwerke vorgesehen hatte: Die Regulierung des Solarstromes. Wenn die Sonne zur Mittagszeit im Sommer die Solaranlagen auf Hochtouren laufen lässt, werden einfach die Gaskraftwerke zurückgefahren. Zudem werden die Kohlekraftwerke abgeschaltet. Ein klassisches Eigengoal der Schweizer Stromwirtschaft.
Die Milliarden-Investitionen in die Pumpspeicherung und den ausländischen Kraftwerkpark wurden von den Kantonen und Städten im Mittelland unterstützt, denen die Stromkonzerne mehrheitlich gehören und deren Politiker in den Verwaltungsräten vertreten sind. Denn sie profitierten von den Stromgewinnen, welche in der Zeit von 2004 und 2009 in die Höhe schossen. Insbesondere die Besteuerung der Wasserkraftgewinne floss nicht etwa in die Standortkantone im Gebirge, sondern ins Mittelland, wo die Stromkonzerne ihren Sitz haben. Deshalb gab es auch keinen politischen Widerstand gegen diese fatale Expansion.
Die Doppelmoral der Strombarone
In der SRF-Tageschau vom letzten Montag erklärte VSE-Präsident Rohrbach: «Wir haben Zweifel daran, dass man mit einfachen Rezepten einzelne Energieträger subventioniert.» Pikanterweise gehört die Strombranche zu den eifrigsten Profiteuren dieser Subventionen. Denn auch die zahlreichen Kleinwasserkraftwerke kommen in den Genuss der Millionen-Subventionen aus dem Topf der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV). Kleine Wasserkraftwerke werfen phantastische Renditen von 8 bis 13 Prozent ab, wie der WWF berechnet hat. Deshalb gibt es auch dermassen viele Projekte, welche die letzten freifliessenden Bäche in dunkle Stollen verbannen wollen.
Doch die Doppelmoral der Strombarone macht vor der Schweizer Grenze nicht halt. Die Strombranche, welche im Schweizer Fernsehen so bitter über die Subventionen der erneuerbaren Energien klagte, fährt im Ausland selber pro Jahr 182 Millionen Franken an Subventionen für die Windenergie ein, wie Infosperber berichtete. Am meisten profitiert ausgerechnet die BKW Energie AG, deren VR-Vizepräsident niemand anders ist als der VSE-Präsident Kurt Rohrbach. Pro Jahr kassiert die BKW im Ausland 59 Millionen Franken Subventionen für die Windkraft.
Niemand will mit dem Rolls-Royce fahren
Die Klage der Strombranche über die Subventionen der anderen hat einen triftigen Grund: Die Pumpspeicherwerke drohen zu Investitionsruinen zu werden und deshalb bettelt die Strombranche nun ihrerseits für Subventionen für ihren einstmals hoch gelobten Goldesel. Dazu VSE-Präsident Rohrbach: «Die Erneuerbaren, die unregelmässig produzieren und nicht immer dann produzieren, wenn der Strom tatsächlich auch benötigt wird, sollten einen Anteil an die Speicherung bezahlen.»
Tragischerweise hat die Strombranche einen Rolls-Royce gekauft, wo es ein Fiat Punto auch täte. Jetzt will niemand mehr mit dem Rolls-Royce fahren und folglich auch nicht dafür bezahlen. Ausgerechnet die europäischen Produzenten von Solarstrom, für dessen Regulierung die Strombarone ihre milliardenteuren Pumpspeicherwerke andienen möchten, rümpfen nun die Nase und machen vom Angebot keinen Gebrauch. Mehr noch, sie produzieren den Mittags-Strom gleich selbst, den die Betreiber der Schweizer Pumpspeicherwerke zu lukrativen Preisen liefern wollten.
Zudem braucht es zur Regulation der mickrigen Solar- und Windstromproduktion in der Schweiz kurz- und mittelfristig keine Pumpspeicherwerke. Da reichen die bestehenden Wasserkraftwerke noch lange aus. Dieser Meinung waren offenbar auch die Franzosen, die am Alpiq-Konzern mit 25 Prozent beteiligt sind. Laut Handelszeitung haben sie nämlich letztes Jahr einen sofortigen Baustopp des Pumpspeicherwerkes Nant de Drance verlangt.
Gianni Biasiutti, der Direktor der Kraftwerke Oberhasli KWO, könnte einem fast leidtun, wenn er in der Jungfrau Zeitung offen gesteht: «Denn leider existiert für diese Einsatzmöglichkeit der Wasserkraft noch kein rentables Marktmodell. Gleichzeitig hat das Modell des Verkaufs von Spitzenenergie am Mittag und des Hochpumpens in der Nacht keine Zukunft mehr, weil es auf der Partnerschaft mit den thermischen Kraftwerken basiert, von denen man ja wegkommen möchte. Deshalb sind Investitionen in neue Pumpspeicherwerke derzeit nicht wirtschaftlich.» Und fast zum Trotz hält er am Pumpspeicherwerk Grimsel 3 fest, das weitere 660 Millionen verschlingen soll. Nicht ohne gleichzeitig die Politik um Hilfe anzurufen.
Stromlobbyisten verlassen das sinkende Schiff
Nichts zeigt die desolate Lage der Strombranche besser, als jene Führungsmitglieder, welche das sinkende Schiff in letzter Zeit verlassen haben. Zum Beispiel der ehemalige Alpiq-Chef Giovanni Leonardi, der den Alpiq-Konzern ins Ausland- und Pumpspeicher-Debakel hineingeführt hat und der letztes Jahr das Handtuch warf. Flugs wurde aus dem Saulus ein Paulus: Leonardi ist nämlich seit letztem Jahr stolzes Vorstandsmitglied von Pro Natura Aargau. Und da ist auch der Abgang von Samuel Leupold, dem ehemaligen Leiter des Geschäftsbereichs Energie International und Handel der BKW. Er ist überraschend zur Windkraft übergelaufen. Seit letztem November ist er Leiter der Off-shore Winddivision beim dänischen Energiekonzern Dong Energy.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)
Es zeichnet sich ein neues Geschäftsmodell für die Pumpspeicherwerke ab: Billigen Solarstrom am Mittag fürs Pumpen verwenden, am Abend Strom erzeugen und Geld verdienen. Sind unsere Elektrizitätswerke bereit dazu?
jammernde Manager, die wegen ihren überhöhten Salären auch viel Verantwortung tragen… müssten.
Hunterstrategie bekannt von der Swissair, Grössenwahn und Fehleinschätzung ging dem Niedergang voraus.
Preiszerfall wegen planwirtschaftlichem Überangebot, Lösung: alle AKW abstellen und zwar vor dem GAU, so kann sehr viel Volksvermögen gespart werden.
Dieser Wirtschaftsadel liefert selbst die besten Argumente für die Minder-Initiative.