Sperberauge
Medieneinfalt: 16 x gleicher Fehler
«Trotz mehr Heiztagen, mehr Einwohnern und einem höheren Bruttoinlandprodukt ist der Stromverbrauch in der Schweiz im letzten Jahr stabil geblieben – dank mehr Effizienz. Weil die Produktion aber zurückging, musste die Schweiz erstmals mehr Strom importieren, als sie verkaufen konnte.»
Obige Meldung zur am Freitag veröffentlichten Stromstatistik stand gemäss Medienarchiv smd am Samstag, 22. April, in folgenden Schweizer Medien: Im Zürcher Tages-Anzeiger, Berner Bund, Bieler Tagblatt, Walliser Boten, Schweizer Bauer, Zürcher Unterländer, Zürcher Oberländer, Landbote, in der Berner Zeitung, Zürichsee-Zeitung, Basler Zeitung, der Schweiz am Wochenende (als Kopfblatt von AZ-Medien, Südostschweiz, etc.), in leicht abgewandelter Fassung im St. Galler Tagblatt sowie in den online-Ausgaben von NZZ, Blick und Cash.
Erstens unsinnig, zweitens falsch
Der Satz, … «musste die Schweiz erstmals mehr Strom importieren, als sie verkaufen konnte», ist erstens unsinnig und zweitens falsch:
– Unsinnig ist der Vergleich zwischen Import und Verkauf. Denn kein Land, das im Inland selber Strom produziert, kann «mehr Strom importieren als verkaufen.» Doch der Autor oder die Autorin der Meldung verglich wohl die Mengen von Import und Export, bemerkte dabei den von der Stromstatistik übers Jahr 2016 registrierten Importüberschuss von 3,9 Milliarden Kilowattstunden (Mrd. kWh), und meinte damit: Weil die Produktion im Inland zurückging, «musste die Schweiz erstmals mehr Strom importieren» als sie exportieren konnte.
– Doch dieser – jetzt mit Sinn gefüllte – Satz ist ebenfalls falsch. Denn ein Blick in die langjährige Stromstatistik zeigt: Schon in den Jahren 2005, 2006, 2010 und 2011 verbuchte die Schweiz einen Importüberschuss; 2005 war dieser sogar grösser als 2016. Die Schweiz hat also 2016 nicht erstmals, sondern schon zum fünften Mal mehr Strom importieren müssen, als sie exportieren konnte.
Wie der Fehler entstanden ist
Bleiben zwei Fragen: Wie ist der Fehler entstanden, und warum fand er den Weg in gleich 16 verschiedene Schweizer Zeitungen?
Ein Vergleich mit der Quelle, der Medienmitteilung des Bundesamtes für Energie (BFE) über die am Freitag veröffentlichte Stromstatistik 2016, beantwortet Frage 1: Die Autorin oder der Autor der Falschmeldung verwechselte den Importüberschuss gemessen in Kilowattstunden mit dem Aussenhandels-Saldo gemessen in Franken. Denn die Schweiz erzielte in den Jahren 2005, 2006, 2010 und 2011 trotz Importüberschüssen immer noch einen positiven monetären Aussenhandelssaldo, weil der exportierte Strom (mehrheitlich Spitzenstrom) einen deutlich höheren Wert hatte als der importierte. Mit andern Worten: Die positive Preisdifferenz überwog die negative Menge. Im Jahr 2016 war das dann nicht mehr der Fall. Das zeigt nachfolgend die – korrekte – Medienmitteilung des BFE:
«Im Jahr 2016 lag der Stromverbrauch in der Schweiz mit 58,24 Milliarden Kilowattstunden (Mrd. kWh) praktisch auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr (- 0,01%). Die Landeserzeugung (nach Abzug des Verbrauchs der Speicherpumpen) betrug 58,7 Mrd. kWh. Der Stromimportüberschuss lag bei 3,9 Mrd. kWh. 2016 verzeichnet die Schweiz erstmals über das ganze Kalenderjahr einen negativen Aussenhandelssaldo von 145 Millionen Schweizer Franken.»
SDA-Meldung 16 mal ungeprüft publiziert
Simpel ist die Antwort auf Frage 2: Urheberin der Falschmeldung ist die Nachrichtenagentur sda. Solche Fehler können einem unterlaufen. Bedenklich aber ist, dass die Redaktionen von 16 Medien diese Meldung ungeprüft übernahmen (wobei die Redaktionen von Tages-Anzeiger und Berner Zeitung den gleichen Inlandteil auch für den Bund respektive die Zürcher Landzeitungen liefern). Dem Meinungseintopf folgt damit die Fakteneinfalt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Böse gesagt: Eigentlich ist das nichts Neues. Geschieht doch bei der Meinungs- und Stimmungsmache genau so. Selber wird da nicht viel gedacht. Dafür gibt’s die Agenturen, copy/paste.
Leider normal. «Ich bin auf Zeitungen angewiesen, ich weiss nicht, was geschieht.» Albert Einstein. Trotzdem brauchen wir Medien. Ohne Hintergrundinformationen und Metainformationen wird man aber durch die Medienberieselung dümmer als man vorher war.
Das Beispiel zeigt schön, dass nicht die Quantität der Medien, sondern die Qualität der Medien wichtig ist für die Meinungsvielfalt.
@jacquelin Zwahlen leider gibt es inder schweiz nur (noch) eine agentur, die demnach das monopol hat….
Der Beitrag des schätzenswerten Guggenbühl bleibt ein schulbuchreifes Lehrstück für den Medienunterricht, schade, mache ich es wegen Pensionierung nicht mehr.
Tragisch und komisch zugleich. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die gleiche Einfalt wahrscheinlich auch bei den «grossen» und wichtigen Themen herrscht.