Strom- und Umweltlobby sind sich nur im Kern einig
Die Energieeffizienz steigern, den Umstieg auf erneuerbare Energie fördern, und den Bau von neuen inländischen Atomkraftwerken verbieten: Das sind die Kernpunkte zur Vorlage «Energiestrategie 2050», die der Bundesrat im Herbst in die Vernehmlassung schickte. Das kommt gut an. «Umweltverbände unterstützen Energiestrategie», lautet der Titel der gemeinsamen Stellungnahme, welche die in der «Umweltallianz» vereinigten Organisationen Greenpeace, Energiestiftung, WWF, und Pro Natura in Bern präsentierten. «Der VSE unterstützt die Absicht des Bundesrates, die schweizerische Energiepolitik noch verstärkt auf Effizienz und Nachhaltigkeit hin auszurichten», schreibt der «Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen» (VSE) in seiner Vernehmlassung, die er den Medien am gleichen Tag und gleichen Ort vorstellte.
Marschieren Umwelt- und Stromlobby also plötzlich harmonisch vereint in die Schweizer Energiezukunft? Nein. Denn die Zustimmung beschränkt sich auf die Grundsätze und das Verbot von neuen Atomkraftwerken (mit dem sich auch der Dachverband der Stromwirtschaft abgefunden hat). Im Detail aber gibt es grosse Abweichungen zwischen den beiden alten Kontrahenten.
Erneuerbar hier, fossil dort
Der Dissens beginnt bei den Zielen: Der Bundesrat strebt an, den Energiekonsum pro Person bis zum Jahr 2050 zu halbieren und den Stromverbrauch ab 2020 zu stabilisieren. Der VSE beantragt, dieses gesetzliche Ziel zu streichen. Begründung: Wenn der Stromkonsum trotz Ersatz von Erdöl und Wachstum der Bevölkerung stabilisiert werden muss, erfordere das eine «rigide Energiepolitik».
Die Umweltallianz hingegen will den Stromverbrauch in der Schweiz schon ab heute «stabilisieren oder senken». Und ab 2035 soll dieser Bedarf «zu hundert Prozent aus einheimischen und erneuerbaren Stromquellen» gedeckt werden. Das Szenario des VSE hingegen geht davon aus, dass die Schweiz 2035 über 40 Prozent ihres Strombedarfs mit fossilen Kraftwerken im Inland (vorab Gaskombi-Kraftwerken) sowie einem hohen Überschuss an Importstrom decken wird; der Anteil von Solar- und Windstrom hingegen bleibt im VSE-Szenario bis 2035 marginal.
Atomausstieg – aber wann genau?
Beim Fahrplan zum Atomausstieg gehen die Meinungen ebenfalls auseinander: Bundesrat und VSE wollen die Laufzeit der alten Atomkraftwerke nicht begrenzen. Die Umweltallianz hingegen fordert die Stilllegung aller AKW nach 40 Jahren Lebensdauer. Das letzte, das KKW Leibstadt, müsste damit schon 2024 abgeschaltet werden. Die Förderung von fossiler Stromerzeugung in dezentralen WKK-Anlagen lehnen die Umweltverbände strikt ab. Auf die Frage, wie denn die Zeit zwischen dem Atomausstieg im Jahr 2024 und der ausschliesslich erneuerbaren einheimischen Stromversorgung im Jahr 2035 überbrückt werden soll, antwortet Greenpeace-Mann Kaspar Schuler: «Diese Zeit lässt sich mit Import von Windstrom überbrücken.»
Weitere Differenzen betreffen die Mittel. Beispiel: Der VSE begrüsst, dass der Bundesrat die Förderung von erneuerbarer Energie zum nationalen Interesse erklärt und den Bau von Wind- und Wasserkraftwerken gleich oder sogar höher gewichtet wie den Naturschutz. Die Umweltallianz hingegen lehnt das ab; statt mehr Wasserkraft zu nutzen, verlangt sie eine starke Förderung der Solarstrom-Produktion. Umgekehrt begrüsst die Umweltallianz das Gebot zur Steigerung der Energieeffizienz, das der Bundesrat den Stromverkäufern im revidierten Energiegesetz auferlegt; sie wünscht allerdings eine andere Umsetzung. Der Stromverband hingegen lehnt diese «einseitige Zwangsmassnahme» dezidiert ab. Als Alternative schlägt der VSE vor, die Zielvereinbarungen zur Senkung des Energieverbrauchs von grossen auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) auszuweiten.
Einwände von vielen Seiten
Die Position «Ja, aber » prägt weitere Stellungnahmen. Die kantonalen Energiedirektoren etwa lehnen die Abtretung von kantonalen Kompetenzen ab. Der Städteverband wünscht mehr kommunale Mitwirkung. Linke Parteien und Grüne fordern mit den Umweltverbänden, dass eine Lenkungsabgabe auf Energie, die der Bundesrat auf die Zeit nach 2020 hinausgeschoben hat, schneller eingeführt wird, während Rechtsparteien dieses Instrument ablehnen.
Solange die einen mit ihrem «Aber» die Energiestrategie verstärken, andere sie abschwächen wollen, steht der Bundesrat mit seinem Vorschlag komfortabel in der Mitte. Prinzipiell gegen seine Strategie haben sich erst die Industrieverbände Swissmem und Scienceindustries sowie einige SVP- und FDP-Politiker ausgesprochen. Doch das wird sich ändern. Heute und morgen werden die Economiesuisse und der Gewerbeverband ihre Vernehmlassung veröffentlichen und damit wohl die harten Nein-Sager unterstützen.
Das Seilziehen zur Energiestrategie wird die Schweizer Politik in den nächsten Jahren prägen. Das letzte Wort hat das Parlament oder bei einem Referendum das Volk.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Die stärksten Gegensätze herrschen zwischen der Stromlobby, die ihre früheren und bisherigen Gewinne weiter einstreichen will, und einer überlegten, nachhaltigen Energieversorgung.
Im Sinne der letzteren ist wichtig, dass Strom möglichst regional und dezentral produziert wird. Denn ein massiver Ausbau der Leitungsnetze ist unnötig teuer und verursacht Umweltschäden und Elektrosmog. Es macht wenig Sinn, Windstrom aus der Nordsee bis in die Schweiz zu leiten, mit grossen Verlusten.
Regional und bedarfsgerecht kann Strom in WKK-Anlagen (Blockheizkraftwerken) produziert werden, nicht nur fossil, sondern auch z.B. mit Biogas oder Holz. Dies vermag Schwankungen der Solar- oder Windenergie auszugleichen.
Weitere Möglichkeiten regionaler Produktion und auch Speicherung können noch entwickelt werden, wenn wir die Elektrogrosskonzerne endlich zurückstutzen.