«Honig ist wie ein Diamant, den man essen kann»
Herr Imhoof, Sie haben mit «Mehr als Honig» einen kritischen Film über das Geschäft mit Bienen realisiert. Essen Sie noch Honig?
Markus Imhoof: Ja, fast täglich. Die Bienen können ja nichts dafür.
Was ist Honig für Sie?
Eine Verdichtung der Natur. Wie ein Diamant, den man essen kann.
Sie haben einen speziellen Bezug zu Bienen. Ihr Grossvater züchtete Völker für das Obst seiner Konservenfabrik, Sie halten selber ein Volk, Ihre Tochter und Ihr Schwiegersohn erforschen das Immunsystem der Bienen. Sind Sie nicht befangen?
Ich bin trotzdem ein Aussenseiter. Natürlich habe ich einen emotionalen Bezug zu Bienen. Das ist für mich wichtig und ich versuche, dies dem Zuschauer zu vermitteln. Aber dadurch, dass ich durch die ganze Welt reise und die verschiedenen Standpunkte der anderen zu verstehen versuche, bleibt es ein Diskurs und Dialog.
Was waren die wichtigsten Erkenntnisse Ihrer fünfjährigen Recherchen und Dreharbeiten?
Es zeigt unser Verhältnis zur Natur. Im Kern steht die Frage: Wer ist der Protagonist dieses Films? Die Bienen oder die Menschen? Übersetzt heisst das: Wer ist der Protagonist auf der Welt. Sind es die Menschen, oder gehören diese auch zur Natur? Ist der Mensch nur ein Parasit in der Natur und nur auf seinen eigenen Vorteil ausgerichtet? Der dümmste Parasit ist der, der seinen Wirt umbringt. Wenn die Menschen auch zur Natur gehören würden, wäre das Leben interessanter. Dass nicht der Mensch von oben alles nur diktiert, sondern dass er auch Ohren und Augen offen hat, um die Bedürfnisse der anderen zu erkennen, und nicht alles nur auf den eigenen Vorteil ausrichtet.
Sie zeigen auch Erstaunliches über die Intelligenz der Bienen…
Wir haben mit einem Bienen-Hirnforscher geredet. Es macht die Leute stutzig, dass es überhaupt so etwas gibt. Es ist faszinierend, was für Lern- und, Entscheidungsfähigkeiten die Bienen haben. Sie können sich zwischen zwei Angeboten entscheiden, und wenn sie gemerkt haben, dass eines falsch war, können sie sich sogar umentscheiden. Das ist absolut faszinierend. Und 50’000 Bienen zusammen geben ein grosses Gehirn, das nochmals andere Fähigkeiten hat.
Warum sind die Bienen derart wichtig? Gibt es nicht auch andere Bestäuber, um die Nahrungskette aufrecht zu erhalten?
Die gibt es. Aber die sind nicht blütentreu. Die gehen von der Kirsche auf den Löwenzahn, da wird nichts bestäubt. Der Wind bestäubt auch, aber er macht nur die Sättigungsbeilagen wie Korn und Reis. Alles, was beim Essen besonders Spass macht, wird von den Bienen bestäubt. In einem Hamburger wäre kein Salat, kein Senf, kein Ketchup, keine Zwiebel – nur ein trockenes Brötchen mit Fleisch von Kühen, die keinen Klee gefressen haben. Unser Leben wäre ziemlich langweilig, wenn es keine Bienen mehr gäbe. Ich hoffe, dieses Aha-Erlebnis fährt den Menschen etwas ein, wenn sie den Film sehen. Jeden dritten Bissen, den wir essen, gäbe es ohne Bienen nicht.
Albert Einstein soll gesagt haben, «Wenn die Bienen aussterben, sterben vier Jahre später auch die Menschen aus.» Hatte er recht?
Ich weiss nicht, ob man ausstirbt, wenn man nur noch Brot isst, ohne Früchte und Gemüse. Früher hatte man in Bergwerken Kanarienvögel in einem Käfig. Und wenn diese herunterfielen, wusste man, jetzt kommt Gas, jetzt muss man raus. Die Bienen sind eine Art Warnsignal für uns.
Warum hat sich das Bienensterben derart stark ausgebreitet?
Dieses Jahr gab es in der Schweiz Ausfälle bis zu 70 Prozent. Es ist eine ganze Palette von Gründen, die sich zu kumulieren beginnen. Einerseits sind es Pestizide, Krankheiten, allen voran die Varroa-Milbe, aber auch – was viel zu wenig beachtet wird – die Inzucht der Bienen. Sie wurden über Jahrhunderte als Kuschelbienen gezüchtet, so dass sie nicht stechen, aber auch ihre Widerstandsfähigkeit eingebüsst haben. Es gibt keine wildlebenden Honigbienen mehr. Ohne menschlichen Eingriff mit chemischen Mitteln ist es in Europa, Nordamerika und China nicht mehr möglich, Bienen zu halten.
«Die Bienen sterben nicht an Milben, sondern am Menschen», ist eine Hauptaussage Ihres Films. Was meinen Sie damit?
Das zentrale Thema ist dieser Konflikt zwischen Evolution und Zivilisation. Jeder zivilisatorische Eingriff ist ein Eingriff in die Natur. Dass die Bienen domestiziert werden, dass sie aus dem Baum geholt und in eine Puppenstube eingesperrt werden, ist ein enormer Eingriff. Trotzdem sind die Bienen Wildtiere geblieben. Man versuchte das zu mildern, indem man sie sanftmütig und fleissig gezüchtet hat. Das ist für mich einer der grössten Konflikte. Es braucht einen möglichst breiten Genpool, um sie wieder fitter zu machen. Aber nicht, damit sie die Pestizide besser aushalten, sondern sich gegen die Krankheiten besser wehren können. Die Frage ist auch: Müssen wir jedes Jahr dasselbe auf dem gleichen Feld anpflanzen? Wenn man eine Fruchtfolge machen würde, könnte der Maiszünsler, ein Schädling, der mit Nervengiften bekämpft wird, gar nicht überleben. Die totalitäre Landwirtschaft ist verheerend. Der UNO-Nahrungsbericht sagt, nur kleinrastrigere Landwirtschaft kann überhaupt die Welternährung garantieren. Aber das Gegenteil wird gemacht.
Wie gehen Sie bei Ihrem Volk vor?
Meinem Nachbarn, mit dem ich gemeinsam ein Volk halte, sind alle Bienen an Sauerbrut gestorben. Jetzt machen wir einen Neuanfang. Wir haben ein Experiment zur Varroa-Bekämpfung durchgeführt. Wir sind auf Chemie angewiesen, aber in kleineren Mengen. Wir isolieren aber vorher die Königin 25 Tage lang, damit sie nicht legt. So befinden sich keine Varroa-Milben in der Brut, sondern alle auf den Bienen selber, wo wir sie mit Säure bekämpfen können.
Ein Lichtblick in ihrem Film ist die Forschung mit australischen Bienen. Sie zeigen, dass diese nicht verseuchten Bienen, mit denen auch ihre Tochter Barbara Baer-Imhoof und ihr Schwiegersohn Boris Baer forschen, weniger krank werden als die europäischen Bienen. Könnten diese einen Ausweg aus dem Dilemma bieten?
Meine Tochter und mein Schwiegersohn versuchen, mit wilden Honigbienen, die es in Australien noch gibt, den Genpool der Zuchtbienen zu verbreitern und sie so widerstandsfähiger zu machen. Das Konzept ist, durch Züchtung den Bienen die Chancen der Evolution wieder zu bieten. Dass man sie also aus dieser Reinzucht-Ideologie herausholt und ihnen mehr Natur zubilligt. Das ist die Basis der Rettung der Bienen.
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Markus Imhoof (71), Filmemacher, Theaterregisseur und Drehbuchautor, zeichnete ab den späten 70er-Jahren für einige der bedeutendsten Produktionen der Schweizer Filmgeschichte verantwortlich. Sein Spielfilm «Das Boot ist voll» über die Schweizer Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg wurde 1982 für den besten fremdsprachigen Oscar nominiert. Der Film «More Than Honey» läuft ab dem 25. Oktober in den Kinos.
Das Interview erschien zuerst auf www.swissinfo.ch
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine. Christian Raaflaub ist Journalist bei swissinfo.ch