Der Ständerat bremst die Energiewende
Die Eckpfeiler seiner neuen Energiepolitik rammte der Bundesrat – unter dem Schock der Atomkatastrophe von Fukushima – schon 2011 in den Boden: Demnach muss die Schweiz ihren Energieverbrauch und CO2-Ausstoss aus klimapolitischen Gründen senken. Neue Atomkraftwerke werden verboten. Der langfristig wegfallende Atomstrom soll vorwiegend im Inland ersetzt werden, einerseits durch die Steigerung der Energieeffizienz, andererseits mit neuer Stromproduktion aus Solar-, Wind- und Bioenergie.
Nationalrat stärkte neue Strategie
Basierend auf dieser Strategie schuf der Bundesrat eine umfangreiche Revisionsvorlage. Darin passte er das Energie-, das CO2- und das Atomgesetz den Forderungen seiner neuen Energiepolitik an. So beantragte er unter anderem strengere Energie-Verbrauchsvorschriften für neue Autos, Elektrogeräte und Elektromotoren sowie höhere Subventionen für Gebäudesanierungen, und er verankerte das Bauverbot von neuen Atomkraftwerken im Kernenergie-Gesetz.
Der Nationalrat unterstützte letzten Dezember diese Strategie; dies gegen den Willen von Economiesuisse, Freisinn und SVP. Mehr noch: Die grosse Parlamentskammer ergänzte die Vorlage des Bundesrates mit weiteren griffigen Massnahmen. Der Ständerat, der die Vorlage in den letzten Tagen beriet, stimmte der neuen Energiestrategie im Grundsatz ebenfalls zu. Er stützte das Verbot von neuen Atomkraftwerken – weil aus wirtschaftlichen Gründen niemand ein solches neues Werk mehr plant. Eine Abschwächung der Energie-Verbrauchsvorschriften, wie sie bürgerliche Minderheiten für neue Autos verlangten, lehnte die Kleine Kammer ebenso ab wie die Limitierung der CO2-Brennstoffabgabe auf dem aktuellen Stand (60 Franken pro Tonne CO2).
Ständerat behindert Stromsparen
Im Unterschied zum Nationalrat fällte der Ständerat aber mehrere Beschlüsse, welche die Energiestrategie schwächen. Konkret: Bundesrat und Nationalrat wollten die Stromversorger verpflichten, die Stromeffizienz bei sich und ihren Kunden zu steigern. Der Bundesrat wählte dazu ein relativ aufwendiges Zertifikats-Modell. Der Nationalrat beschloss ein marktnäheres Bonus-Malus-Modell nach dem Prinzip: Wer mehr Strom spart als verlangt, wird finanziell belohnt, wer die Effizienzziele nicht erfüllt, muss drauf zahlen. Ein ähnliches Modell haben Kalifornien und Dänemark erfolgreich umgesetzt.
Eine Minderheit im Ständerat, angeführt und von der grünliberalen Verena Diener Lenz, wählte den dritten Weg mit einem abgeschwächten Modell des Bundesrates respektive des Bundesamtes für Energie (BFE). Doch die Mehrheit beschloss gestern, diese Stromsparpflicht ersatzlos zu streichen. Der Ständerat folgte hier den Wünschen der Elektrizitätswirtschaft. Erstaunlich war: Bundesrätin Doris Leuthard erklärte in ihrer Stellungnahme, alle Modelle seien unbefriedigend. Damit distanzierte sie sich vom eigenen Bundesrats-Antrag respektive vom BFE-Modell und verhalf den Gegnern jeglicher Stromspar-Pflicht zur Mehrheit.
Weiter verzichtete der Ständerat darauf, Mindestvorschriften für den Betrieb von Heizungen zu erlassen. Dies ist deshalb von negativem Belang, weil Heizungen besonders viel Energie beanspruchen, und weil der langfristige Wegfall der Atomkraft das Stromangebot primär im Winter schmälert. Gleichzeitig schwächte der Ständerat auch die Förderung von erneuerbarer Stromproduktion im Inland. So beschloss er, die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) zeitlich zu limitieren. Und er zweigt einen Teil der Mittel aus dem KEV-Topf ab, um bereits bestehende Wasserkraftwerke zu stützen, womit weniger Fördergeld für Wind- oder Solarenergie übrig bleibt, aber keine kWh zusätzlichen Strom aus Wasserkraft produziert wird.
Keine Grenze für alte AKW
Während die Energiestrategie neue Atomkraftwerke verbietet, dürfen die alten AKW so lange weiter laufen, wie sie die Aufsichtsbehörde Ensi als sicher beurteilt. Schon der Bundesrat hatte jede weitere Begrenzung der Laufzeit abgelehnt. Der Nationalrat hingegen beschloss ein «Langzeitbetriebskonzept», das die Laufzeit der AKW in Beznau auf maximal 60 Jahre begrenzt und dem Betrieb der jüngeren AKW in Gösgen und Leibstadt zusätzliche Sicherheitshürden bescherte. Auch diese Bestimmung lehnte der Ständerat gestern nach engagierter Diskussion ab. Immerhin gibt es noch die grüne Volksinitiative, die eine Begrenzung der Laufzeit von allen bestehenden AKW auf 45 Jahre verlangt.
Schliesslich zog der Ständerat der Energiestrategie einen Zahn, den die eigene Energiekommission eingefügt hatte. So beantragte diese Kommission, den fossil erzeugten Strom, den die Schweiz aus Kohle-, Öl- oder Gaskraftwerken importiert, mit einer Ausweitung der CO2-Abgabe zu belasten. Gegen diese «Dreckstrom»-Abgabe wehrten sich vor allem Vertreter von stromintensiven Branchen. Auch Bundesrätin Doris Leuthard lehnte diese neue Abgabe ab mit den Argumenten, sie sei kaum umsetzbar, mit der Bundesverfassung nicht vereinbar, und sie gefährde das angestrebte Stromabkommen mit der EU.
Fortsetzung im Nationalrat
Die erwähnten Beschlüsse des Ständerates sind allerdings nicht definitiv. Um die Differenzen zu bereinigen, geht die Vorlage jetzt wieder zurück an den Nationalrat. Die Energiestrategie wird damit das Parlament nach den Wahlen weiter beschäftigen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine