Auch die UNO muss endlich demokratisch werden
Die Welt neigt dazu, Ungerechtigkeit zu akzeptieren, wenn es keinen einfachen Weg gibt, sie zu vermeiden. Das ist bei «naturgegebenen» Ungerechtigkeiten, etwa aufgrund von unterschiedlicher Fruchtbarkeit des Bodens oder unterschiedlicher klimatischer Verhältnisse, nachvollziehbar. Aber die Welt akzeptiert auch «formale» Ungerechtigkeit erstaunlich locker, wo man doch wenigstens da erwarten könnte, dass es Widerstand gibt.
Es gibt sie noch, glücklicherweise, diese Menschen, die ein Sensorium für Ungerechtigkeit haben und sich für deren Beseitigung einsetzen, gelegentlich sogar mit aller Kraft und trotz Aussichtslosigkeit, den Erfolg ihres Engagements selber noch zu erleben.
So ein Mensch ist Joseph E. Schwartzberg. Schwartzberg ist 1928 in Brooklyn / New York geboren. Er holte sich seinen PhD in Wisconsin, lehrte als Professor für Geographie und Kartographie an verschiedenen US-amerikanischen Universitäten, aber auch in Neu-Delhi in Indien, und sein wissenschaftliches Spezialgebiet war Südasien. 32 Monate leistete er, aus Anlass der Koreanischen Krieges, Militärdienst. Etwa gleich lang reiste er als Zivilist durch Europa, nicht nur, um Kathedralen und andere touristische Sehenswürdigkeiten zu bestaunen, sondern um andere Kulturen verstehen zu lernen. So ist es kein Zufall, dass Joseph E. Schwartzberg auch deutsch spricht. Welcher US-Amerikaner kann das noch, heute?
Der mittlerweile 86-jährige Gelehrte kämpft seit vielen Jahren gegen eine krasse formale Ungerechtigkeit, die wir alle kennen und die man beheben könnte, so man denn wollte: die mit nichts zu rechtfertigende Zuteilung der Entscheidungskompetenzen in der UNO. Er kämpft für eine Reform der UNO, in der die fünf Nuklearmächte USA, UK, Frankreich, Russland und China im entscheidenden Gremium, im Sicherheitsrat, nicht nur einen ständigen Sitz, sondern auch ein Veto-Recht haben, also je einzeln jede mehrheitlich gefällte Entscheidung blockieren können. Jetzt hat Schwartzberg ein umfangreiches Buch geschrieben, wie diese ungerechte UNO reformiert werden könnte und sollte, und er hat dazu konkrete, detaillierte Vorschläge ausgearbeitet: Transforming The United Nations System; Designs for a Workable World.
Zementierte Machtverhältnisse von nach dem Zweiten Weltkrieg
Die ungerechten Entscheidungskompetenzen innerhalb der UNO basieren vor allem auf den Machtverhältnissen zum Zeitpunkt der UNO-Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die USA, das Vereinigte Königreich UK, Frankreich, Russland und China (damals noch Taiwan) waren auf der Seite der «Sieger», sie konnten, aus ihrer momentanen Machtposition heraus, Bedingungen wie «permanentes Mitglied im Sicherheitsrat mit Veto-Recht» einfach stellen. Aber ist das, 60 Jahre später, immer noch angemessen und legitim?
Schwartzberg kritisiert nicht nur scharf die Privilegien der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, er kritisiert auch die Zuteilung und das Wahlprozedere für die nicht ständigen Sitze. Vor allem ärgert ihn, den US-Amerikaner, auch hier die Dominanz der USA.
«Unter den vielen Komponenten des Systems der UN ist keine so folgenreich wie der Sicherheitsrat, dessen Entscheidungen – oder eben auch Nicht-Entscheidungen – sehr oft das Wohl von vielen, um nicht zu sagen, von allen Menschen ernsthaft beeinflussen», schreibt Schwartzberg in der Einleitung zum Kapitel über den Sicherheitsrat. «Die Ausgangslage für die Diskussion über eine Reform des Sicherheitsrates ist die Feststellung, dass die Repräsentativität und damit auch die Legitimität des Sicherheitsrates seit der Gründung der UNO dauernd abnimmt. Die speziellen und anachronistischen Privilegien der fünf Veto-Mächte müssten deshalb einer intensiven Überprüfung unterzogen werden.» Schwartzberg nennt auch gleich die Voraussetzungen für ein neues System: es muss von einer Mehrheit der UNO-Mitglieder als politisch realistisch, repräsentativ, flexibel und fair beurteilt werden.
Konkrete Beispiele zeigen absurde Verhältnisse
Um seine eigenen Vorschläge plausibel zu machen, führt er zuerst das jetzige Wahlverfahren der Nicht-ständigen-Mitglieder ad absurdum. Was etwa soll der Kleinststaat Malta mit seinen 400’000 Einwohnern im Sicherheitsrat, wenn auf der anderen Seite etwa Iran mit 75 Millionen Einwohnern seit 1956 nie mehr im Sicherheitsrat vertreten war? Nach Einschätzung Schwartzbergs eine klare Folge des zu grossen Einflusses der USA auch bei der Wahl der Nicht-ständigen-Mitglieder. Schwartzberg rechnet denn auch genau vor, wie wenig repräsentativ die Vertretungen im Sicherheitsrat, gemessen an der Weltbevölkerung, in Wirklichkeit sind. Im besten Fall waren etwa 20 Prozent der Bevölkerung aller Mitgliedstaaten im Sicherheitsrat vertreten.
Sein eigener, detailliert aufgezeichneter Vorschlag basiert auf einer Aufteilung der Welt in zwölf Regionen, die ständig vertreten sein müssen, ohne Veto-Recht selbstverständlich. Und er beschreibt, wie das Wahlverfahren zu sein hat, damit die jeweiligen Vertreter wirklich auch die Stimme ihrer Region einbringen müssen.
Schwartzberg schlägt nicht nur eine Reform des Sicherheitsrates vor, sondern auch eine Reform der Generalversammlung und ihrer Kompetenzen, die heute kleiner sind als jene des Sicherheitsrates. Und er plädiert klar für die Einführung eines Weltparlamentes, eines «World Parliamentary Assembly». Um diese Forderung zu unterstützen, reiste der 86-jährige Schwarzberg im letzten Oktober denn auch persönlich nach Brüssel, wo eine internationale Konferenz zum Thema United Nations Parliamentary Assembly UNPA stattfand.
Noch liegt sein knapp 400 Seiten starkes Buch erst in englischer Sprache vor. Ob sich ein Verlag findet, der das Werk auch deutsch herauszugeben bereit ist, überhaupt finden lässt, ist mehr als fraglich. Denkbar ist, dass die auch in Europa aktive Bewegung «Comitee for a Democratic UN» bzw. das «Komitee für eine demokratische UNO» das Buch in eigener Regie herauszugeben versucht, aber auch bei diesen Organisationen sind die finanziellen Mittel knapp.
Ein bemerkenswertes Engagement
Nichtsdestotrotz: Joseph E. Schwartzbergs Kampf für eine demokratische UNO und sein eben erschienenes Buch dürfen als Lichtblick zur Kenntnis genommen werden: Es gibt noch Menschen, die daran glauben, dass mehr Gerechtigkeit auch weltweit möglich ist, und die, mit konkreten Vorschlägen, für dieses Ziel kämpfen. Solche Engagements als utopisch oder gar illusorisch nur zu belächeln, kommt einer Selbstaufgabe gleich. Oder, auf französisch: Après nous le déluge, auf deutsch: nach uns die Sintflut.
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Zum Buch: Joseph E. Schwartzberg: Transforming the United Nations System; Designs for a Workable World. United Nations University Press Toronto, New York, Paris, 2013. 400 Seiten.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor ist Präsident der Weltföderalisten Schweiz, die im Rahmen des Word Federalist Movement die Reform der UNO fordern und unterstützen. Der Artikel erschien zuerst in der Vierteljahreszeitschrift DIE GAZETTE, deren Chefredaktor Christian Müller ist.
Dass Bücher die Welt nicht verändern, wenn schon, dann ganz anders als die Autoren es gewollt hätten, mussten schon Rousseau und Voltaire erfahren. Das spricht nicht gegen Bücher, also danke Christian Müller, der nicht nur deutschsprachige Neuerscheinungen liest. Nicht empfehlen würde ich für Autoren, welche nicht verzweifeln wollen, ein Buch gegen das Ständemehr, es sei denn vielleicht, man schreibe rätoromanisch. Auf Erfolg erpichte politische Autoren beschreiben, was ohnehin geschieht.