Sperberauge
Fremdenfeindlichkeit in Ungarn
Ältere Semester mögen sich erinnern: Im Jahr 1956 flüchteten um die 200’000 Ungarn in den Westen, Tausende davon auch in die Schweiz. Sie wurden mit offenen Armen willkommen geheissen. Man hatte Verständnis für diese Menschen, die nicht mehr unter dem kommunistischen Regime der Sowjetunion leben wollten. Und – Achtung! – man hatte Verständnis, obwohl diese Menschen nicht an Leib und Leben gefährdet waren, nach heutiger Sprachregelung also «nur» Migranten und keine Flüchtlinge waren.
Doch kritisieren ist einfach, vor allem von aussen. Umso erfreulicher ist es, dass es auch Ungarn gibt, die das Verhalten ihrer Landsleute nicht goutieren. Einer davon ist Andras Schiff, der weltbekannte Pianist und Dirigent. Schon im Jahr 2011 gab er bekannt, dass er in Ungarn aufgrund des dort wieder aufflammenden Antisemitismus nicht mehr auftreten werde (Schiff selber ist Jude). Jetzt hat ihn das Echo der Zeit interviewt. Seine Beurteilung der Situation in Ungarn ist bedenkenswert. So machte er auch darauf aufmerksam, dass eine selbstkritische Aufarbeitung der ungarischen Geschichte vor und während des Zweiten Weltkrieges in Ungarn praktisch nicht stattfinde. Insbesondere die Mitschuld an der Vertreibung und Deportation nach Auschwitz von geschätzt 430’000 Juden noch im Jahr 1944 werde in Ungarn gerne verschwiegen. Ungarns Isolationismus und seine Träumerei von Grossungarn profitiere von der ungarischen Sprache, die niemand ausserhalb Ungarns verstehe. Auch die jungen Ungarn lernten kaum Fremdsprachen.
Das Interview mit Andreas Schiff im Echo der Zeit ist hörenswert.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Die Politik Ungarns ist in der Tat sehr besorgniserregend. Demgegenüber sind viele Menschen (Ungarinnen und Ungaren) äusserst hilfsbereit und unterstützen die Flüchtlinge nach Kräften, ohne selber im Überfluss zu leben.