Blackout: So hält uns die Strombranche zum Narren
Mitte September 2015 waren die Schweizer Stauseen so voll wie schon lange nicht mehr: 87,3 Prozent betrug der Füllungsgrad. Anfang Oktober titelten die Medien euphorisch: «Stauseen trotz Rekordsommer überdurchschnittlich gefüllt». Mitte Dezember, nur zwei Monate später, waren die Speicherkraftwerke mit einem Füllungsgrad von 50,7 Prozent halbleer. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren die Stauseen zu diesem Zeitpunkt zu 67 Prozent gefüllt, wie die folgende Grafik zeigt:
Am 21. September (siehe Pfeil oben) waren die Stauseen mit einem Füllungsgrad von 87,3% voller als die fünf Jahre zuvor. Am 14. Dezember (siehe Pfeil unten) lag der Füllungsgrad mit 50,7% bereits weit unter jenem der Vorjahre. Die vertikale, schwarze Linie zeigt die Differenz der Jahre 2014 und 2015 (Grafik vergrössern)
Leerung der Alpenbatterien geschah ohne Not
Ein Blick in die Entwicklung der Strompreise an der Börse liefert den Grund für diese Entwicklung: Im Sommer lagen die Strompreise laut dem Schweizer Strompreis-Index Swissix im Keller und die Strombranche hielt das Wasser in den Speicherkraftwerken zurück. Ab September stiegen die Strompreise an und die Stromwirtschaft begann auf Teufel komm raus mit der Produktion von Speicherstrom. Die Kassen der Strombarone klingelten und die Speicherseen leerten sich.
Doch die Leerung der Alpenbatterien geschah ohne Not, denn der November war aussergewöhnlich mild und die Schweiz hätte billigen Strom importieren können, denn die Strompreise beispielsweise in Deutschland lagen rund ein bis zwei Rappen unter den Schweizer Preisen. Die Strombranche wurde ganz offensichtlich von einer Torschluss-Panik erfasst. Statt die Spitzenzeiten im Winter abzuwarten, verpulverten sie den wertvollen Speicherstrom bereits im Herbst und Frühwinter. Frei nach dem Motto: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Die Sicherheit der Landesversorgung verloren sie dabei ganz aus den Augen.
Krisenstab des Bundes ohne Kritik an Strombranche
Anfang Dezember schreckte die Schweizer Netzgesellschaft Swissgrid die Bevölkerung mit der Drohung eines Strom-Kollapses auf, nota bene in Zeiten der europäischen Stromschwemme. Kaum hatte die Swissgrid die unglaubliche Hiobsbotschaft verkündet, folgte die politische Propaganda des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), der die Gunst der Stunde nutzte und den sofortigen Ausbau des Stromnetzes, die Unterstützung der Wasserkraft und die Fortführung der beiden AKW Beznau verlangte. Mit Hilfe der Schweizer Medien funktionierte der Schachzug bestens. Die Stromlobby konnte damit von den eigenen Fehlleistungen (fehlende Transformatoren, Leerung der Speicherseen) ablenken und die Bevölkerung zum Narren halten.
BFE-Direktor Walter Steinmann: «Worst Case kalte Nächte»
Am letzten Dienstag rief das Bundesamt für Energie (BFE) sogar den Krisenstab des Bundes zusammen. Zahlreiche Bundesamts-Direktoren und die Vertreter der Stromwirtschaft brüteten über dem angeblich drohenden Strom-Kollaps. BFE-Direktor Walter Steinmann sprach mit besorgter Miene in die Kamera der SRF-Tagesschau: «Der Worst Case wäre dann, wenn wir ganz kalte Nächte und Tage hätten – also viel Nachfrage – und auf der anderen Seite die Stauseen bereits leer wären, und wir diese Strommenge nicht mehr produzieren können.»
Auf eine Erklärung beziehungsweise eine Kritik, wieso die Schweizer Stauseen bereits Mitte Dezember halbleer waren, wartete man vergeblich. Zu sehr stecken Stromwirtschaft und BFE traditionell unter einer Decke. Dabei wäre es die Aufgabe des BFE, der Stromwirtschaft auf die Finger zu schauen, um solche krassen Fehlentwicklungen zu verhindern.
Der Alpiq-Filz zieht seine Fäden
Und nun macht der Bundesrat den Bock auch noch zum Gärtner. Denn am BFE-Krisengipfel nahm nicht ganz zufällig Werner Meier teil, der Leiter Group Security und Business Continuity Management der Alpiq AG. Nota bene der Vertreter jenes Strom-Konzerns, der für den angeblich drohenden Blackout mitverantwortlich ist. Doch damit nicht genug: Meier trägt seit Jahren auch einen zweiten Hut: Er ist gleichzeitig Leiter des Bereichs Energie der Milizorganisation der wirtschaftlichen Landesversorgung und ab Januar 2016 sogar Delegierter für wirtschaftliche Landesversorgung.
Alpiq-Vertreter Werner Meier anlässlich der Krisensitzung in Bern: Ein Mann mit zwei Hüten
Damit hat der Alpiq-Konzern, dem in der Vergangenheit der profitable Stromhandel bedeutend näher stand als die sichere Landesversorgung, seinen Interessenvertreter direkt in der Alarmzentrale der Landesversorgung.
Aber auch in der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom) ziehen die ehemaligen Alpiq-Leute die Fäden: Der ElCom-Ausschuss «Netze und Versorgungssicherheit» wird von Christian Brunner, dem ehemaligen Leiter der Alpiq-Geschäftseinheit Netze, geleitet und ElCom-Vizepräsident ist Antonio Taormina, ehemaliges Mitglied der Alpiq-Geschäftsleitung. Kein Wunder hat sich die ElCom bisher noch nicht öffentlich zur vorzeitigen Leerung der Stauseen geäussert, obwohl die Überwachung der Versorgungssicherheit und der Stromhandel zu ihren Aufgaben gehört.
Pegelstand der Speicherseen sinkt weiter ab
Die Warnsignale der Swissgrid von Anfang Dezember lassen die Produzenten von Speicherstrom offenbar kalt. Statt die Speicherseen endlich zu schonen, senkten sie den Inhalt der Stauseen in den beiden ersten Dezember-Wochen weiter ab, nämlich von rund 60 auf 50 Prozent. Dabei profitierten sie von den hohen Inlandpreisen, die auch wegen dem Ausfall der beiden Beznau-Reaktoren zur Zeit rund 3,5 Rp./kWh höher sind als beispielsweise in Deutschland oder Österreich, wie die beiden folgenden Grafiken zeigen:
Der Schweizer Strompreisinex Swissix lag am 17. Dezember 2015 bei rund 7,3 Rp./kWh (Peakload), also rund 3,5 Rp./kWh höher als der Phelix (siehe folgende Grafik) (Grafik vergrössern)
Der Strompreisindex Phelix für Deutschland und Österreich lag am 17. Dezember 2015 bei rund 3,8 Rp./kWh (Grafik vergrössern)
Für die Strombarone ist die sichere Landesversorgung offensichtlich zweitrangig. Viel lieber schüren sie die Angst vor dem Blackout und füllen ihre Kassen. Die Kritik an der vorzeitigen Leerung der Stauseen ist deshalb nur ein Störfaktor. Aus diesem Grund ist es nicht erstaunlich, dass nun Führungskräfte von Stromkonzernen «Unverständnis über das Vorgehen von Swissgrid» äussern, wie die Handelszeitung gestern berichtete.
Nicht ganz auszuschliessen ist zudem, dass es den Gebirgskantonen langsam dämmert, zumal die Stromwirtschaft aktuell ein interessantes Modell zur Stützung der Wasserkraft per Atomausstieg vorführt. Allerdings bedarf es noch einiger kosmetischer Korrekturen, insbesondere bezüglich der Tugend der Geduld, das heisst konkret: Die Turbinen der Speicherkraftwerke sollten nicht schon bei Tauwetter im Dezember auf Hochtouren laufen, sondern erst, wenn es wirklich kalt ist. Denn dann winken die höheren Preise.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war früher Geschäftsleiter, Redaktor und Beirat der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)
Es spricht nicht für die Schweizer Medienlandschaft, wenn man solche kritischen Analysen nur auf infosperber lesen kann. Aber es spricht für infosperber.
Wasser predigen und Wein trinken, das kann man auch bei der Schweizer Strombranche!
Was ist mit dem Versorgungs-Auftrag an die öffentlichen Werke?
N. B. Die Axpo macht das noch besser: Sie bekämpft die KEV im Inland und nutzt das Deutsche EEG erfolgreich für die eigenen teuren off shore Wind-Parks anstatt PV Projekte in der Schweiz zu unterstützen 🙁
Die Androhung eines möglichen Stromblackouts in der Schweiz verlangt eher nach einer unabhängigen Untersuchungskommission als nach dem Krisenstab. Aus diesen Gründen:
– Schreckung der Bevölkerung.
– Falscher Einsatz der Speicherkapazitäten und Untätigkeit von Swissgrid und Elcom. Gemäss Stromversorgungsgesetz kann und muss Swissgrid den korrekten Betrieb der Speicherkraftwerke regeln, wenn ein Versorgungsengpass droht. Und die Elcom ist für deren Kontrolle und Überwachung zuständig.
– Behauptung, dass die zwei Höchstspannungsebenen 380 und 220 kV nicht genügend miteinander verbunden sind, sodass es sein könnte, dass zwar Strom in grossen Mengen durch/über die Schweiz geleitet wird, wir darunter gleichzeitig aber ohne Strom sein könnten.
– Falsche Netzstrategien 2015, 2020 und 2025, die seit 10 Jahren eine sichere schweizerische Stromversorgung garantieren sollen.
– Eine Strommarktliberalisierung, die kurzfristige betrieblichge Gewinnoptimierungen zulässt und die Versorgungsvorsorge vernachlässigt.
Es wäre sehr wichtig zu untersuchen und herauszufinden, wer welche Verantwortungen trägt und wer hinter dem Informationschaos steht.
Es kann doch schlicht nicht sein, dass sich die schweizerische Stromwirtschaft verhält, wie jemand der seinen Monatslohn auf die 3 ersten Wochen des Monats verteilt und nicht berücksichtigt, dass die hohen Ausgaben erst in der zweiten Monatshälfte folgen.
Danke infosperber für die interessanten Infos. Mich erstaunt aber das Verhalten der Strombranche überhaupt. Wir leben schon lange in einer Welt, wo nur kurzfristig gedacht und eigennützig gehandelt wird. Das ist doch ganz normal – bedauerlicherweise.
Danke infosperber für die interessanten Infos. Mich erstaunt aber das Verhalten der Strombranche überhaupt NICHT. Wir leben schon lange in einer Welt, wo nur kurzfristig gedacht und eigennützig gehandelt wird. Das ist doch ganz normal – bedauerlicherweise.
(sorry – habe vorhin das NICHT vergessen)