ClausOffe

Claus Offe analysiert die komplexe Situation Europas © Hertie School

Statt Schlagzeilen Analyse: Europa in der Falle

Christian Müller /  Claus Offe analysiert in den «Blättern für deutsche und internationale Politik» die Lage Europas. Ein Musterbeispiel an Scharfsinn.

Von der Finanzkrise zur Wirtschaftskrise. Von der Wirtschaftskrise zur Euro-Krise. Von der Euro-Krise zur EU-Krise. Und dann von Krisengipfel zu Krisengipfel. Mit Beschönigungen, Ankündigungen, Versprechungen, Verschiebungen, Vertröstungen, und anderem verbalen Aktivismus. Aber mit keiner handfesten Lösung des Problems. Nicht sehr überraschend, denn diese handfeste Lösung gibt es nicht.

«Die Krise ist so ernst, weil sie einen unlösbar erscheinenden Widerspruch aufwirft. Einfach gesagt: Was dringend getan werden müsste, ist extrem unpopulär und deshalb auf demokratischem Wege nicht durchzusetzen. Aber auch auf postdemokratisch-technokratische Weise ist ein Ausweg kaum zu finden. Alle Kenner sind sich ‚im Prinzip’ einig, was nottut – nämlich eine langfristige Schuldenvergemeinschaftung oder andere Formen grenzüberschreitender Lasten-Umverteilung großen Stils; aber das lässt sich dem wählenden Publikum der reichen Länder kaum vermitteln.»

Aus der Nähe beobachtet, mit Distanz beurteilt

Der das sagt, Claus Offe, ist Professor für Politische Soziologie an der Hertie School of Governance in Berlin, einer der bekanntesten politischen Hochschulen Europas. Darüber hinaus ist Claus Offe Dozent am «Institute for Advanced Study» in Princeton, am «Institute for Advanced Studies» in Wien, an der «Harvard University» in Cambridge / Massachusetts, an der «University of California» in Berkeley» und anderen renommierten Hochschulen. Keine kleine Nummer also.

Der höchst aufmerksame Beobachter der politischen und ökonomischen Situation Europas, der scharfsinnige Denker und glasklare Schreiber kommt in seiner Analyse nicht zu simplifizierenden Schlüssen, gibt keine trivialen Erklärungen ab und offeriert schon gar keine einfachen Lösungsrezepte: Er analysiert die gegenwärtige Situation und simuliert argumentativ die zu erwartenden Folgen denkbarer Eingriffe. Keine einfache Sache, keine einfache Lektüre. Denn was herauskommt, ist in den einzelnen Schritten nachvollziehbar, aber nicht ohne breites Umdenken realisierbar.

Claus Offes umfangreiche Europa-Analyse ist eben in der Januar-Ausgabe des deutschen Politik-Magazins «Blätter» erschienen. «Blätter für deutsche und internationale Poltik», so der vollständige Name der Publikation, ist ein Juwel unter den deutschsprachigen Zeitschriften. Am ehesten vergleichbar ist sie vielleicht mit «Foreign Affairs» aus den USA, wo wie in den «Blättern» die klügsten Köpfe aus der Welt der politischen Beobachter und Analysten zu Worte kommen. Die Zeitschrift «Blätter» verdient auch in der Schweiz höhere Beachtung.

Definierte Begriffe statt Schlagworte

Das hohe Niveau der Zeitschrift für ein anspruchsvolles politisch interessiertes Publikum erlaubt es Claus Offe denn auch, Begriffe zu brauchen, die in der oberflächlichen Polit-Diskussion meist völlig falsch zur Anwendung kommen. Denn Offe definiert sie, wenn Missverständnisse in Sicht sind. Bemerkenswert etwa ist die Stelle, wo er auf die Solidarität zu sprechen kommt:
«In so zentralen Ländern wie Deutschland will die Öffentlichkeit – bestärkt durch das desaströse Versagen der politischen Parteien vor ihrer Aufklärungsaufgabe – bislang einfach nicht wahrhaben, was hinter verschlossenen Türen als unstrittige Tatsache gilt: Dass es sich bei den geplanten Notmaßnahmen nicht so sehr um Transfers oder Akte von Altruismus handelt als vielmehr um Solidarität im genauen Sinn des Wortes. Solidarität orientiert sich daran, was «gut für uns alle” ist, und fragt nicht nur «Was ist gut für dich, den Empfänger”. Derzeit dominiert jedoch ein Missverständnis, das solidarisches Handeln (im dargelegten Sinn) mit Wohltätigkeit, selbstlosen (von den Empfängern schwerlich verdienten) «Geschenken” verwechselt. Dieses Missverständnis programmiert die Frage, «Warum sollen ‚wir’ eigentlich für ‚die da’ bezahlen, ihnen etwas schenken?”, «Warum sollte man nicht endlich an Griechenland ‚ein Exempel statuieren’, statt immer noch mehr Geld in dieses oder jenes ‚Fass ohne Boden’ zu schütten?” Diese Perspektive machen sich rechtspopulistische Parteien (aber auch starke Strömungen innerhalb der politischen Mitte, die mit jenen Parteien im Wettbewerb stehen) für Wahlkampfzwecke zunutze, was wiederum die nationalen und europäischen Eliten daran hindert, die demokratisch fundierte Strategie eines «wohlverstandenen Eigeninteresses” zu verfolgen, also eine Strategie der Solidarität.»

Die Analyse von Claus Offe ist nicht ganz einfach zu lesen und recht lang. Wer es sich trotzdem leistet, einzusteigen, wird belohnt mit Einsichten, die einem beim Überfliegen der Mainstream-Postillen zum gleichen Thema nicht gewährt werden. Zum Lesen oder Downloaden eines PDFs kann man unten «Europa in der Falle, von Claus Offe» anklicken.

Die Zeitschrift «Blätter für deutsche und internationale Politik» kann sowohl als Print-Magazin als auch in Form von Online-PDFs einzeln bezogen oder abonniert werden. Info auf www.blaetter.de.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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