Sind die Juden wirklich ein auserwähltes Volk?
Im Frühling 2011 wurde in der Schweiz eine neue Internet-Plattform online geschaltet: audiatur-online.ch. «Audiatur» kommt von «audiatur et altera pars»: Es soll auch die andere Seite gehört werden. Thema der Plattform: Israel.
Wirklich die andere Stimme?
Doch gibt audiatur-online tatsächlich der anderen Seite eine Stimme? Mitnichten. Im Gegenteil: Nicht die «andere Stimme» kommt da zum Vorschein, sondern die bekannte. Jeder, der sich zur Politik Israels kritisch äussert – und dazu besteht der mit nichts zu rechtfertigenden Siedlungspolitik Israels wegen durchaus Grund – , wird da zum Antisemiten abgestempelt und verteufelt. Nicht zuletzt Journalistinnen und Journalisten. So etwa wurden da Breitseiten gegen Astrid Frefel (BaZ), Christian Nünlist (AZ) und jetzt auch Martin Woker (NZZ) abgefeuert.
Wer sich tatsächlich für die «andere Seite» in Sachen Israel interessiert, tut deshalb besser daran, sich direkt in Israel zu informieren, zumindest wer Englisch versteht. Die Website Haaretz.com der gleichnamigen israelischen Tageszeitung informiert nicht nur über die Aktualitäten in Israel, sondern gibt ganz unterschiedlichen Kommentatoren und Kolumnisten auch Platz zur freien Meinungsäusserung.
Alles überragend: Gideon Levy
Einer dieser Kolumnisten ist Gideon Levy, der auch heikle Themen anzugehen wagt. Aus Anlass des Jom Kippur-Festes in Israel und der Verleihung des Nobelpreises für Chemie an den jüdischen Wissenschafter Daniel Shechtman, der in den USA forscht, widmet sich Gideon Levy jetzt der Frage, ob die Juden tatsächlich ein auserwähltes Volk sind, wie viele von ihnen, aber auch Nicht-Juden, es fest glauben und behaupten.
»We are simply the best» »Wir sind einfach die besten»
Ein Auszug aus dem Artikel: «If you scratch beneath the skin of almost any Israeli, you’ll discover that he really is convinced of that: We’re the best; the «Jewish genius» is the most successful; the Israel Defense Forces is the most moral. Nobody will tell them different, we’re simply the best in the world.
This is not only unnecessary and groundless arrogance, it’s also an extremely dangerous idea that enables Israel to behave as it does, with blatant disregard of the world’s feelings. Nor does it lack benighted ultra-nationalist and racist foundations. It’s good and well that a nation considers itself successful. The Jewish people have many reasons for that, of course, and many accomplishments of which to boast, as does the State of Israel, which is a kind of wonder, almost a miracle. But among all these, prominent in its absence is an equally important national trait: modesty. It is hard to accuse the Israelis of having it.
At the basis of Israeli arrogance lies the idea that this really is a special nation with special traits that are shared by no other nation. You can see that among Israeli travelers abroad; you can hear it from anyone who comes into contact with foreigners; you can sense it in the deeper currents of Israeli policy. The Americans are «foolish,» the Indians are «primitive,» the Germans are «square,» the Chinese are «strange,» the Scandinavians are «naive,» the Italians are «clowns» and the Arabs are … Arabs. Only we know what’s good for us, and not only for us but for the entire world. There is nothing like Israeli ingenuity, there is nothing similar to Jewish intelligence, the Jewish brain invents new ideas for us like no other brain, because we’re the best, bro.»
Kein Nicht-Jude dürfte dies sagen: «Das jüdische Volk ist ganz einfach ein Volk. Da ist nichts von ‹auserwählt› dran.» Gideon Levy aber, 1953 in Tel Aviv geboren, ein aus einer 1939 aus Böhmen geflüchteten Familie abstammender Jude: er darf es.
Das wäre – audiatur! – die «andere Stimme» zu Israel. Das IST die andere Stimme, die wir, zum Glück, direkt aus Israel vernehmen können.
NB:
Zur selben Thematik gibt es auch ein äusserst interessantes, 500 Seiten starkes Buch von Shlomo Sand, einem Geschichtsprofessor an der Universität Tel Aviv: Die Erfindung des jüdischen Volkes. Deutsche Ausgabe Berlin 2010.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Diese Arroganz wird denen noch Kopf und Kragen kosten, denn den aufstrebenden Mächten in Asien sind die Probleme die der «US-Flugzeugträger» im Arabischen Meer verursacht schlicht Schnuppe… aber denen gehört die Zukunft, nicht der Amis oder den Europäern…
Laut dem unter «NB» erwähnten Buch lässt sich die Frage nicht mit ja oder nein beantworten, weil es sie in Tat und Wahrheit als Volk gar nicht gibt.