SVPWunschzettel_SonntagsZeitung13Dez2015Tamedia

...als glaubten sie an Christkind & Weihnachtsmann © Tamedia (SonntagsZeitung 13.12.2015)

Die SVP, der Wunschzettel & der Mut zur Opposition

Jürgmeier /  «Die Asylrambos der Wahlen mutieren zu konkordanten Schäfchen in Bundesbern.» Hoffen auf die Zähmung einer Widerspenstigen.

Es wird ihnen gehen, wie es so manchem Kind an Weihnachten ergangen ist. Nicht einmal das Christkind erfüllt allen alle Wünsche. Offensichtlich glauben sie ans Christkind. Und an den Weihnachtsmann. Oder womöglich sogar an den Osterhasen. Guy Parmelin hat kaum die Schwurhand gesenkt, und Parteikollege Ueli Maurer hat ihm noch nicht einmal den Passepartout zum VBS übergeben, da präsentieren sie als Rechnung für die Wahl eines zweiten SVP-Bundesrates schon ihren Wunschzettel: Bekenntnis zu den bilateralen Verträgen, Unterstützung einer «eurokompatiblen Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative», Verzicht auf die parteiinterne Ausschlussklausel für inoffizielle SVP-BundesratskandidatInnen im Falle der Annahme einer Wahl durch die Vereinigte Bundesversammlung, Rückkehr zu einer «konstruktiven Initiativpolitik», das heisst Verzicht auf Asylinitiative beziehungsweise Initiativen, «die sich gegen die Institutionen wenden».

SVP-Präsident Toni Brunner hat für den von der SonntagsZeitung am 13. Dezember 2015 veröffentlichten «Forderungskatalog an die SVP», hat für die Wünsche der VertreterInnen anderer Parteien nur ein müdes Grinsen übrig: «Äxgüsi, nur wegen der Wahl eines zweiten Bundesrats hängen wir unsere politischen Grundsätze doch nicht an den Nagel.» Lässt er sich zitieren. Und ausnahmsweise muss ich dem Mann – mit dem ich mich, vermutlich, nicht einmal auf die ersten drei Sätze der Bundesverfassung einigen könnte – recht geben.

Wieso soll eine Partei – die mit ihrer Politik der einfachen Lösungen erfolgreicher ist als mit ihren Köpfen – den politischen Rezepten & Parolen abschwören, mit denen sie bei Abstimmungen immer wieder über fünfzig Prozent der StimmbürgerInnen auf ihre Seite zu ziehen vermag und bei den letzten Wahlen regelmässig den höchsten Stimmenanteil erzielt hat? Soll sie die erfolgreiche Gebärde der Opposition aufgeben, nur weil der Tages-Anzeiger-Journalist Daniel Foppa sie am 10. Dezember 2015 ermahnt, mit knapp 30 Prozent der WählerInnenstimmen könne sie nicht «weiterhin vorgeben, dem Politbetrieb irgendwie von aussen zuzusehen – und ihn mit radikalen Initiativen aufmischen»?

«Die einzige Minderheit in unserem Land ist die SVP»

Wider jede Realität & besseres Wissen erklärt der Präsident der SVP des Kantons Zürich Alfred Heer in der SRF-DOK «Die Macht des Volks» am 18. Dezember 2015 auf die Frage, ob Minderheiten nicht vermehrt Probleme bekommen könnten, je mächtiger das Volk werde: «Die einzige Minderheit in unserem Land ist die SVP.» So wie nationale Mythen – in der Schweiz Morgarten, Winkelried und Tell – ihre Wirkung unabhängig von Fakten entfalten, so glauben sowohl die Partei selbst als auch deren AnhängerInnen an die SVP-Inszenierung von Opposition & Minderheit. Dies, obwohl die «numerische Unterlegenheit im Vergleich zur Gesamtbevölkerung» (Informationsplattform humanrights.ch) in einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft kein besonderes Merkmal ist, sondern auf sämtliche politischen Gruppierungen zutrifft. In einer Demokratie ist das Volk viele. Da gibt es keine stabile, sondern nur thematisch wechselnde Volksmehrheiten. Keine Einheitspartei, sondern nur zahlreiche grössere, kleinere und Splitter-Parteien.

Ähnlich wie die Alternative für Deutschland AfD beansprucht die SVP – die sich offensichtlich erst als Teil der (politischen) Macht sähe, wenn sie die absolute Mehrheit hätte – mit dem rechtskonservativen Lamento «Wir allein gegen alle anderen» in Talkshows & TV-Diskussionen immer mal wieder die halbe Sendezeit für sich. Mit derselben Argumentation könnte die Sozialdemokratische Partei der Schweiz bei Wirtschaftsdebatten die Hälfte der Redezeit für sich reklamieren. Weil die Überwindung des Kapitalismus nur in ihrem Parteiprogramm steht.

«Wir sind das Volk»

Das «Solidaritäts- beziehungsweise Identitätsgefühl durch … Selbstwahrnehmung als Minderheit» (Wikipedia) – das SVP-Mitglieder und -SympathisantInnen im oppositionellen Gestus zusammenschweisst – passt allerdings nicht so recht zu jenem anderen Lieblingsslogan rechtskonservativer Parteien & Bewegungen im In- und Ausland, «Wir sind das Volk», der die überwiegende Mehrheit der BürgerInnen vom Volk ausschliesst.

Dieser Widerspruch mag auch Alfred Heers ParteikollegInnen Natalie Rickli und Gregor Rutz unangenehm aufgefallen sein. R & R wollen beim Ombudsmann der SRG eine «Beanstandung» einreichen – gegen den von ihnen als «absolut tendenziös» eingestuften DOK-Film, der u.a. «die Weltanschauung von Alfred Heer» hinterfragt (Infosperber, 20.12.2015). Die beiden VertreterInnen der schweizerischen Volksminderheit hoffen offensichtlich, Parteikollege Heer habe den Satz «Die einzige Minderheit in unserem Land ist die SVP» so nie gesagt, sondern diese Aussage sei das Resultat eines hinterhältigen Schnittes von bekanntlich linken SRG-MitarbeiterInnen. Immerhin gelang es TechnikerkollegInnen in meinen noch nicht digitalen Radiozeiten schon in den Achtzigerjahren, ein Gespräch von Bergführern mit gezielten Scheren-Schnitten in eine politische Debatte zu verwandeln.

«Die SVP schleicht ab»

«Dem Publikum bietet sich das Bild einer Partei, die im Wahlkampf Krawall macht, um sich jetzt schnurrend ins Berner Macht- und Wohlfühlkartell eingliedern lassen.» Das ist kein hämischer Kommentar aus einer der Parteien links der SVP, sondern ein Zitat aus Roger Köppels Weltwoche-Editorial vom 17. Dezember. Verfasst, nachdem die beiden SVP-Bundesräte der Sozialdemokratin Simonetta Sommaruga das Justiz- und Polizeidepartement überlassen und sich mit Finanzen sowie Armee begnügt haben. «Die SVP schleicht ab … Die Asylrambos der Wahlen mutieren zu konkordanten Schäfchen in Bundesbern», tadelt der Neo-Nationalrat seine Parteikollegen.

Aber die Erziehung einer Widerspenstigen wird scheitern. (Auch weil Politik keine pädagogische Intervention ist.) Köppels Kanzelpredigt soll verhindern, was sie zu kritisieren vorgibt – die «Einbindung der SVP». Ob Zuckerbrot oder Peitsche – die grösste Partei der Schweiz wird sich nicht auf «Wohlverhalten» verpflichten lassen. «Blauäugig, wer meint, dass sie ihre teilweise radikalen Volksinitiativen nun plötzlich ad acta lege», schreibt Michael Schönenberger am 12. Dezember 2015 in der Neuen Zürcher Zeitung. «Die SVP wird sich kaum bewegen.» Und das ist ganz gut so. Die Partei – die sich in der «Hetze gegen die Europäische Union …, gegen die Fremden …, gegen die Classe politique» (Frank A. Meyer, Blick online, 1.11.2015) einig mit den europäischen RechtspopulistInnen weiss –, sie soll unverblümt sagen & schreiben, was sie denkt, will und wovon sie träumt. Damit ihre WählerInnen hinterher nicht sagen können, sie hätten nicht gewusst, was sie tun.

Mut zur Opposition, auch gegen «das Volk»

Die SVP ist nicht das Problem, sondern das Symptom. Das eigentliche Ärgernis ist nicht, dass es diese SVP gibt, sondern dass sie so viel Applaus & Stimmen bekommt. Weil knapp 30 Prozent der SchweizerInnen so denken. Nicht, weil sie dazu verführt oder gezwungen worden sind, wir leben nicht in einer Diktatur, sondern weil sie es wollen oder psychisch nicht anders können.

Der Politikvermesser Michael Hermann hält am 22. Dezember 2015 im Tages-Anzeiger unter dem Titel «Tektonischer Rechtsrutsch», aufgrund der Tamedia-Wahlstudie, fest: «51 Prozent der Wählenden nehmen sich selber als rechts der Mitte wahr, nur gerade 28 Prozent bezeichnen sich als links der Mitte. In der Mitte selbst positionieren sich 21 Prozent.» Wenn diese Zahlen stimmen, ist klar – die Opposition steht links, links der Bevölkerungsmehrheit. Das empfindet offensichtlich auch der von Philipp Loser am 24. Dezember 2015 im Tages-Anzeiger als «führender Sozialdemokrat» bezeichnete eidgenössische Parlamentarier so, der mit Blick auf den Nationalratssaal gesagt haben soll: «Mehrheiten erreichen wir weder hier noch in der Bevölkerung.»

Selbstbewusste Opposition klingt anders. Und wer sieht, wie gequält SP-VertreterInnen auf «inhaltliche Gretchenfragen» (Christoph Blocher, NZZ, 19.11.2015) nach ihrem Verhältnis zu Europa, Armee und Kapitalismus reagieren, wird Michael Hermann recht geben müssen, der schreibt: «In unserer zugleich so wattierten wie bedroht wirkenden Gegenwart ist die rechte Basis in ihren Überzeugungen ungebrochen. Der Drang zur Weltverbesserung im linken Spektrum scheint dagegen ermattet» (Tages-Anzeiger, 22.12.2015).

Ist es die Hoffnung auf einen letzten Rest an (vermeintlicher) Macht im Rahmen der bröckelnden «Koalition der Vernunft» oder die Angst vor WählerInnenverlusten, die sie verstummen lässt, statt leidenschaftlich & radikal ihre eigenen Utopien gegen den sich europaweit ausbreitenden Rechtskonservativismus zu vertreten? Immerhin sehen Beat Jans, Vizepräsident der SP, und Fraktionschef Roger Nordmann in der sich abzeichnenden konservativen Wende in der Schweizer Parteienlandschaft – falls sich in FDP und CVP die Präsidentschaftskandidaten des rechten Parteiflügels durchsetzen sollten – «eine Chance für uns» (Tages-Anzeiger, 18.12.2015).

Dann könnte die Linke sich (endlich) die Opposition von der SVP – die es sich so gern in der schein-oppositionellen Hängematte gemütlich macht – zurückerobern. Allerdings nur, wenn sie auch den Mut zum Widerspruch gegen (bürgerliche) Volksmehrheiten aufbringt, und das nicht erst, wenn diese die Erde zum Mittelpunkt des Sonnensystems erklären.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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Parteien und Politiker drängen in die Öffentlichkeit. Aber sie tun nicht immer, was sie sagen und versprechen.

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Eine Meinung zu

  • am 9.01.2016 um 19:15 Uhr
    Permalink

    jürgmeier, ich freue mich über Ihren Beitrag, der nichts beschönigt.
    Meist ist es so, dass eine Opposition der Linken in der Schweizer Regierung diskussionslos als die schlechtere Lösung im Vergleich mit den Regierungsformen der Nachbarländer dargestellt wird. Ich habe aber immer noch nicht verstanden, weshalb die Schweizer Konkordanz die bessere Lösung sein soll. Deshalb danke für Ihren Beitrag, der die Naivität des «Gesundbetens» überzeugend aufdeckt

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