Demokratisierung der EU – gestrichen
Es gibt noch Leute, die an die direkte Demokratie in der Europäischen Union glauben: «Ich kann nur appellieren, dass die schweigende Mehrheit aufsteht. Wir haben in der EU mit dem Instrument der Europäischen Bürgerinitiative eine Möglichkeit dazu. Ich habe unseren Bischöfen mehrfach gesagt: Welche Organisation in Europa ist dazu in der Lage, innerhalb eines Wochenendes eine Million Unterschriften zu sammeln? Das ist die katholische Kirche.» Dies sagte Manfred Weber, Fraktionschef der christlich-demokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament in einem Interview vom Dezember 2016 mit der konservativ-katholischen deutschen Zeitung Die Tagespost. Die berühmte «schweigende Mehrheit», welcher Couleur auch immer, hat aber offensichtlich wenig Lust, aufzustehen – zumindest nicht mit Hilfe der Europäischen Bürgerinitiative (EBI). Das direktdemokratische Instrument der EU führt ein Mauerblümchendasein.
Restriktive EU-Kommission
Dabei dürften sich die Initianten nicht nur ein Wochenende, sondern ein ganzes Jahr Zeit lassen, um eine Million Unterschriften zu sammeln. Nur tun das immer weniger. Vor vier Jahren, als die EBI eingeführt wurde, war das noch anders, es herrschte durchaus ein wenig Aufbruchstimmung. 2012 und 2013 wurde das neue Instrument rege genutzt: 46 Initiativen wurden bei der EU-Kommission in dieser Zeit eingereicht, aber nur 26 registriert. Denn die Kommission kann «aufgrund fragwürdiger rechtlicher Gründe» Bürgerinitiativen ausschliessen, wie Carsten Berg, Direktor der European Citizens’ Initiative Campaign (ECI Campaign), der Informations-Plattform Euractiv sagte. «Die EBI-Organisatoren müssen beschwerliche Verfahren durchlaufen. Das schreckt auch die Bürger ab.»
Die EU-Kommission erklärt nicht selten, ein bestimmtes EBI-Begehren liege ausserhalb ihrer Kompetenzen und ihrer Zuständigkeit, könne deshalb also auch nicht thematisiert werden. Mit dieser restriktiven Handhabung hat die EU-Kommission einen Teil der Begehren schon bei der Registrierung auf Grund laufen lassen. Die deutsche Vereinigung Mehr Demokratie schreibt auf ihrer Homepage, viele Bürgerinitiativen seien «an der Ignoranz und fehlenden Unterstützung der Europäischen Instanzen gescheitert». Jedenfalls ist die Zahl neu lancierter Bürgerinitiativen ab 2014 eingebrochen.
Bescheidene Wirkung
Derzeit werden gerade noch für zwei Initiativen Unterschriften gesammelt. Für den Januar 2017 ist wieder einmal der Start für eine neue Unterschriftensammlung angekündigt worden: Gegner von Glyphosat wollen mit einer Bürgerinitiative Druck auf die EU-Kommission machen, den Herbizidwirkstoff ganz zu verbieten. Doch die Hürden sind hoch: Insgesamt 14 Initiativen wurden zurückgezogen, 18 erreichten die nötige Unterschriftenzahl nicht. Lediglich drei Begehren brachten bisher mehr als eine Million Unterstützer zusammen und mussten somit von der EU-Kommission behandelt werden. Doch es ist der Kommission freigestellt, ob sie auf das Anliegen eingehen will oder nicht, sie muss ihr Tun oder Lassen lediglich begründen. Zu nennenswerten politischen Handlungen oder gar zu einem Gesetzesvorschlag ist es jedoch noch nie gekommen. Doch nun tut sich erstmals etwas: Die EU-Kommission hat in ihrem Jahresarbeitsprogramm für 2017 als Folgemassnahmen zur Bürgerinitiative «Right2Water» einen Gesetzgebungsvorschlag zu qualitativen Mindestanforderungen für wiederverwendetes Wasser und eine Überarbeitung der Trinkwasser-Richtlinie angekündigt. «Right2Water» war die erste der drei Initiativen, die es auf die erforderliche Unterschriftenzahl gebracht haben.
Insgesamt ist die Schlagkraft des direktdemokratischen Instruments aber kaum der Rede wert. Die EBI hat sich als weitgehend zahnloser Tiger entpuppt. Die Vereinigung «Mehr Demokratie» bezeichnet sie trotzdem «als bahnbrechend für die Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene. Mit ihr könnte zudem eine europäische politische Öffentlichkeit entstehen und wachsen.» Doch gleichzeitig zählt sie die Mängel auf: Die EBI biete lediglich ein «unverbindliches Vorschlagsrecht». Mehr Demokratie fordert die Möglichkeit, «mit einer EBI direkt den Entwurf eines Rechtsakts in den Rat und das Parlament einzubringen». Falsch sei auch, dass Vorschläge für eine Änderung der Vertragsgrundlagen der EU mit einer EBI nicht unterbreitet werden dürfen. «Damit ist den Bürgerinnen und Bürgern verwehrt, eine Weiterentwicklung der EU zu befördern. Dies ist ein zentraler Mangel der EBI.» In der Tat ist die EBI in ihrer heutigen Form nicht mehr als eine unverbindliche Petition.
EU-Kommission kennt Mängel der Bürgerinitiative
Dass die Bürgerinitiative grosse Mängel hat und viel zu bürokratisch gehandhabt wird, stört nicht nur Demokratie-Aktivistinnen und -Aktivisten. Auch Frans Timmermans, Erster Vizepräsident der EU-Kommission und damit direkter Stellvertreter von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, sagte 2015, die EBI funktioniere nicht gut genug. Timmermans versprach damals, das Instrument zu verbessern. Er beschrieb die EBI als einen von vielen Bausteinen, die mehr Vertrauen zwischen den Bürgern und den EU-Institutionen schaffen sollen. Timmermans will die EBI als eine Plattform für politischen Dialog und nicht nur als gesetzliches Instrument nutzen.
«Die Europäische Bürgerinitiative ist ein Grundpfeiler der partizipativen Demokratie, aber die Mängel bei ihrer Umsetzung und bei der Weiterverfolgung könnten ihr Potenzial verschwenden», sagte auch die Vorsitzende des Ausschusses für Konstitutionelle Fragen im Europäischen Parlament, Danuta Hübner, gemäss Euractiv. «Ich fürchte, dass wir die neue Realität noch nicht ganz angenommen haben, in der die Bürger dem Parlament und dem Rat ebenbürtig sind, wenn es darum geht, die Europäische Kommission aufzufordern, einen Gesetzesvorschlag einzubringen, was eigentlich die Kopernikanische Wende in der europäischen institutionellen Landschaft ist.»
EU-Parlament bewegt sich
Es kam dann auch etwas Bewegung in die Sache: Ende Oktober 2015 verabschiedete das Europäische Parlament einen Bericht, wie die EBI künftig geregelt werden soll. Es ging vorerst lediglich um technische Anpassungen und um einen Abbau bürokratischer Hürden und schwerfälliger Abläufe. Der Parlamentsbeschluss war erst ein Zwischenschritt. Damit die Reformen greifen, muss die EBI-Verordnung geändert werden, wozu wiederum ein Antrag der EU-Kommission nötig ist, der dann erneut vom EU-Parlament und vom EU-Ministerrat zu verabschieden wäre.
EU-Kommission stoppt
Doch nun wird vorerst nichts daraus. Die EU-Kommission hat die Reform der Bürgerinitiative sang- und klanglos aus ihrem Jahresprogramm 2017 herausgestrichen, wie die die Organisation «ECI Campaign» berichtet. ECI Campaign setzt sich für eine Europäische Bürgerinitiative als weltweit erstes Instrument einer transnationalen und digitalen Demokratie ein. ECI Campaign protestiert nun mit einer Unterschriftensammlung und fordert die EU-Kommission auf, ihre «obstruktive Opposition» gegen die Reform der Bürgerinitiative aufzugeben.
Vor rund einem Jahr sagte die Europäische Bürgerbeauftragte (European Ombudsman), Emily O’Reilly, die EBI befinde sich in einer «existenziellen Krise». Und EU-Kommissionspräsident Juncker hat vergangenes Jahr erstmals von einer «existenziellen Krise der Union» gesprochen. ECI-Campaign-Direktor Carsten Berg macht nun die EU-Verantwortlichen darauf aufmerksam, dass die beiden Krisen einen inneren Zusammenhang haben und fordert sie auf, das «Versprechen einer Demokratisierung der EU zu erfüllen».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
(Zitat) …. Und EU-Kommissionspräsident Juncker hat vergangenes Jahr erstmals von einer «existenziellen Krise der Union» gesprochen. ECI-Campaign-Direktor Carsten Berg macht nun die EU-Verantwortlichen darauf aufmerksam, dass die beiden Krisen einen inneren Zusammenhang haben und fordert sie auf, das «Versprechen einer Demokratisierung der EU zu erfüllen».( Ende d. Zitates)
Ein Versprechen einer Demokratisierung der EU hat Herr Jean-Claude Juncker vor ca. 18 Jahren formuliert und bisher getreu der von ihm geschilderten Version erfüllt :
(Zitat)
Demokratische Offenbarung
„Wir beschließen etwas,
stellen das dann in den
Raum und warten einige
Zeit ab, was passiert.
Wenn es dann
kein großes Geschrei
gibt und keine
Aufstände,
weil die meisten garnicht
begreifen, was da
beschlossen wurde,
dann machen wir weiter –
Schritt für Schritt,
bis es kein Zurück
mehr gibt.“
Premierminister von Luxemburg Jean-Claude Juncker erklärt seinen EU-Kollegen die Demokratie
(SPIEGEL 52/1999)
(Ende d.Zitates)
(Zitat) «Die EU-Kommission erklärt nicht selten, ein bestimmtes EBI-Begehren liege ausserhalb ihrer Kompetenzen und ihrer Zuständigkeit, könne deshalb also auch nicht thematisiert werden.» (Ende des Zitates)
Wer soll den sonst innerhalb der EU diese Kompetenzen haben? Gibt es da noch eine höhere Instanz? Liegt es vielleicht daran, dass die EU-Duckmäuser rundum Frau Merkel und Herrn Juncker immer noch nach der Pfeife des US-Imperiums tanzen (müssen)?
Ein kleines Beispiel: NSA-Abhörskandal. Merkel und die deutsche Regierung wurden von der USA illegal bespitzelt. Hat die deutsche Regierung irgendetwas dagegen unternommen? Man könnte da bspw. die gleichen «Waffen» anwenden wie gegen Russland und Wirtschaftssanktionen gegen die USA verhängen (guter Witz, ich weiss.)
Oder was noch viel besser gewesen wäre: Deutschland hätte Edward Snowden Asyl gewähren können, so zu sagen als Kronzeugen im NSA-Skandal. Aber dafür müsste Deutschland wohl erst wieder mal souverän und Frau Merkel bspw. mit Frau Wagenknecht oder wenigstens Herrn Gysi ausgewechselt werden.
https://www.youtube.com/watch?v=tJfi2XZ5IJg