Bundespräsident Ueli Maurer im Niemandsland
Die Neujahrsansprache hielt Ueli Maurer im Bundesbriefarchiv in Schwyz. Er sprach über die Einheit des Landes: «Einer für alle, alle für Einen.» Am Neujahrsempfang am 9. Januar für das diplomatische Corps verteidigte er die Interessen des Kleinstaates gegen Machtgelüste der Grossen: «Für eine Welt, in der die Völker und Staaten einander mit Respekt begegnen und als souveräne Partner auf Augenhöhe miteinander verkehren.» Am Davoser WEF legte er am 23. Januar vor der Wirtschafts- und Politelite nach: «Der Druck von Mächtigen auf kleine aber erfolgreiche Konkurrenten gibt mir zu denken.»
Die Äusserungen Maurers erregten Aufsehen. Sie gefielen nicht allen. Aber sie waren pointiert. Sie könnten der rote Faden eines Präsidialjahres sein. Aufsehen erregte der Bundespräsident dann später auch noch mit der Botschaft zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar. Dank dem Einsatz einer «ganzen Generation mutiger Frauen und Männer», so Maurer, sei die Schweiz im Zweiten Weltkrieg ein Land der «Freiheit und des Rechts» geblieben. Dabei «vergass» er zu erwähnen, dass die Flüchtlingspolitik der Schweiz Juden an der Grenze abwies, was ihren sicheren Tod in Nazi-Deutschland bedeutete.
Letzte Botschaft zum Tag der Kranken
Am 2. März veröffentlichte sein Departement noch die Botschaft zum Tag der Kranken («Mit Herz für die Kranken!»). Aber wer hörte sie? Seitdem ist es ruhig geworden um den Bundespräsidenten 2013 – sieht man von Höflichkeitsbesuchen ausländischer Gäste in Bern ab, die Maurer begrüsst. Ansonsten ist er wieder der Militärminister, der mit dem Parlament im Clinch um den Kauf von 22 Gripen-Kampfflugzeugen steht und sich als Sportminister vergeblich für Olympische Spiele in Graubünden engagierte.
Dafür nimmt Aussenminister Didier Burkhalter den Part gerne wahr, die Interessen der Schweiz vor allem im und gegenüber dem Ausland zu vertreten. Während Maurer als Bundespräsident bisher vier Reden gehalten und zwei Botschaften veröffentlicht hat, bringt es Burkhalter im gleichen Zeitraum auf zehn Reden, die mit der Schweizer Position in der Welt zu tun haben. Im Februar reiste Burkhalter nach Belgrad und Sarajevo, wo er unter anderem ein Entminungsprojekt besichtigte. In Serbien besprach er die OSZE-Präsidentschaft, die die Schweiz 2014 übernimmt. Serbien ist ein Jahr später dran. Und soeben ist der Aussenminister von einer siebentägigen Reise durch Chile, Peru und Kolumbien zurückgekommen. In diesem Stil wird es wohl weitergehen.
Maurer lässt Burkhalter gewähren
Ueli Mauer selber wird es nicht gross stören. Schon vor seinem Amtsantritt liess er in Interviews durchblicken, dass er sich auf Auftritte im Inland und die Leitung der Bundesratssitzungen konzentrieren und Burkhalter diverse Ausland-Termine überlassen wolle. Das macht auf den ersten Blick Sinn: Didier Burkhalter wird 2014 Bundespräsident und kann so faktisch zwei Jahre lang Kontakte aufbauen. Maurer dazu: «Das gibt eine gewisse Kontinuität – überall dort, wo die Schweiz darauf angewiesen ist.»
Man könnte hier auch von einer glücklichen Fügung sprechen. Ueli Maurer scheint im Gegensatz zu Vorgängern wenig scharf darauf, sich im Amt des Bundespräsidenten zu sonnen. Nur: Diese persönliche Konstellation verdeckt ein grundsätzlicheres Dilemma. Die Erfahrung zeigt: Bundespräsidenten (oder -präsidentinnen) stehen dann im Fokus, wenn gleichzeitig in ihrem Departement akute Fragen anstehen, die die Schweiz auf internationaler Ebene angehen und lösen muss, zum Beispiel Eveline Widmer- Schlumpf 2012 in der Euro- und Finanzplatzkrise. Ein Departementschef kann als Präsident aber auch durchhängen, wenn er naiv agiert. So wurde Wirtschaftsminister Hans-Rudolf Merz in der Lybien-Krise 2009 eine Lektion in Diplomatie erteilt. Kommt dazu: Maurers Departement bietet wenig Möglichkeiten, sich im Ausland darzustellen – es sei denn, der VBS-Chef heisst Adolf Ogi und sieht sich auf einer Mission für die Schweiz unterwegs.
Bundespräsident immer auch Aussenminister?
Authentisch als Verbindung von Amt und Darstellung wirkt darum ein Bundespräsident in erster Linie dann, wenn er oder sie gleichzeitig Aussenminister ist: Micheline Calmy-Rey, Joseph Deiss und Flavio Cotti sind die jüngsten Beispiele. Warum also die Dinge nicht so regeln, dass der Aussenminister immer gleichzeitig auch Bundespräsident ist?
Die Idee ist nicht neu: In den ersten Jahrzehnten nach der Gründung des Bundesstaates 1848 übernahm der alljährlich wechselnde Bundespräsident das Politische Departement EPD (so die damalige Bezeichnung). «Das Rotationssystem im EPD war nur möglich, weil die Aussenpolitik anfänglich einen verhältnismässig kleinen Zeitaufwand erforderte», schreibt der Historiker Urs Altermatt in seinem Standardwerk über «Die Schweizer Bundesräte – ein biographisches Lexikon.»
Ämter erst 1920 definitiv entkoppelt
Von 1888 bis 1895 führte man dann erstmals einen Systemwechsel ein – das Aussenministerium wurde vom Amt des Bundespräsidenten getrennt. 1896 kehrte man zum alten System zurück, 1914 verselbstständigte man das EPD erneut, 1917 gabs wiederum eine Rückkehr, aber 1920 wurde definitiv ein vom Bundespräsidium losgelöstes Aussenministerium eingeführt. In den folgenden Jahrzehnten prägten zwei Bundesräte die Aussenpolitik: Giuseppe Motta (1920-1940) und Max Petitpierre (1945-1961).
Und heute? Im Trauerspiel der letzten Jahre um eine Regierungsreform tauchte die Idee wieder auf, dass das Bundespräsidium mit dem Aussenministerium verknüpft werden sollte. In einer Zusatzbotschaft zur Reform vom Oktober 2010 erwog der Bundesrat das Modell, verwarf es aber: «Allenfalls liessen sich auf diese Weise gewisse Synergien in der Wahrnehmung der Kontakte mit dem Ausland nutzen.» Doch die Nachteile überwögen: «Die Funktionen des Bundespräsidiums betreffen aber nicht nur den Aussenbereich.» Ebenso wichtig seien Planung und Koordination der Geschäfte der Regierung, die Leitung der Sitzungen des Bundesrates und die Repräsentation im Inland.
Parlament will kein zweijähriges Bundespräsidium
«Eine feste Anbindung an ein bestimmtes Departement würde auch das Bedürfnis nach einem vierjährigen Bundespräsidium erhöhen», so die Regierung. Sie brachte dann nicht einmal den Wunsch nach einem zweijährigen Bundespräsidium im Parlament durch und zog auch diesen Vorschlag zurück. Justizministerin Simonetta Sommaruga sagte im März im Ständerat: «Angesichts des Umstands, dass der Nationalrat mit einer Zweidrittelmehrheit Nichteintreten beschlossen hat und jetzt auch Ihre Kommission mit einer sehr deutlichen Mehrheit Nichteintreten beantragt, verzichtet der Bundesrat darauf, seinen Antrag aufrechtzuerhalten.» Die Initiative zur Volkswahl des Bundesrates, über die wir am 9. Juni abstimmen, bringt in dieser Hinsicht auch nichts Neues.
Burkhalters Gattin wird die «First Lady» geben
So bleibt alles beim Alten. Aussenminister Burkhalter darf sich aufs nächste Jahr freuen, wenn er auch formell Bundespräsident ist. Mitfreuen wird sich seine Frau Friedrun, die auf Bundeskosten ihren Mann oft und gerne ins Ausland begleitet. 2012 war sie auf der Hälfte seiner 22 Auslandreisen dabei – beide meist händchenhaltend und strahlend.
EDA-Sprecher Jean-Marc Crevoisier sagte als Rechtfertigung dem «SonntagsBlick», Friedrun Burkhalter knüpfe auf diesen Reisen wertvolle Kontakte zu anderen Partnerinnen von Politikern. Zudem sei sie nicht nur als Bundesratsgattin sondern auch als Ehrenpräsidentin des «Vereins der Ehegatten und Partner der versetzbaren Angestellten des EDA» unterwegs. 2014 wird sie sich an der Seite ihres präsidialen Gatten darüber hinaus auch als eigentliche «First Lady» der Schweiz bewegen dürfen.
Am 1. August geht Maurer auf eine «Tour des Communes»
Und Ueli Maurer? Er scheint den roten Faden verloren zu haben, den er anfangs Jahr so überraschend keck auslegte. Auch im Inland ist er bisher als Bundespräsident ja nicht übermässig aufgefallen. Und nun wurde auch noch sein Facebook-Profil vom Netz genommen, das er für sein Präsidialjahr eröffnet hatte. Er wollte damit den Kontakt zum Volk pflegen. Maurers Erwartungen hätten sich nicht erfüllt, berichtet die «Neue Zürcher Zeitung». Er wolle laut VBS wieder verstärkt auf persönliche Kontakte setzen.
Spätestens am 1. August will der Bundespräsident diese Gelegenheit wahrnehmen und an zwei Tagen «mit den Bürgerinnen und Bürgern möglichst vieler Gemeinden unserer vier Sprachregionen zusammentreffen», wie sein Departement bekanntgibt. Für diese «Tour des Communes» können sich Gemeinden ab sofort anmelden. «Der 1. August ist der beste Tag, um daran zu denken, dass wir freie Schweizer sind», wird Maurer zitiert.
Da blitzt er wieder kurz auf, der kantige Patriot.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine