Unternehmen sollten für jeden Pendler zahlen
Mobilität ist zu billig, weil die Nutzer nur einen Teil der von ihnen verursachten Kosten bezahlen. So wälzen Bahn- und Strassenverkehr zusammen jährlich rund 17 Milliarden Franken Infrastruktur-, Unfall- und Umweltkosten auf die Allgemeinheit ab. Das zeigen die Transportrechnungen des Bundes. Diese Subventionierung erhöht die Verkehrsmenge, und die höhere Menge erzwingt den Ausbau der Verkehrswege. Womit Umfang und Defizit des Verkehrs weiter wachsen.
Verursachergerechte Preise sind kaum durchsetzbar
Um diese Transport-, Stau- und Subventionsspirale zu stoppen, fordern Experten immer mal wieder eine verursachergerechte Verteuerung des Verkehrs. An professoralen Vorschlägen fehlt es nicht: Der Preis fürs Generalabonnement, das vor allem das Pendeln in Spitzenzeiten über lange Distanzen begünstigt und damit die massgebenden Grenzkosten erhöht, soll verdoppelt werden. Das postulierte neben andern der St.Galler Tourismusprofessor Christian Laesser. Ein «Road Pricing» mit zeitlich abgestuften Verkehrstarifen auf viel befahrenen Strassen sowie höhere Bahntarife forderte der Tessiner Ökonom Rico Maggi in seinem 2010 veröffentlichten «Weissbuch» zur Verkehrspolitik. Und ETH-Professor Anton Gunzinger forderte kürzlich im «Tages Anzeiger», den Benzinpreis auf 10 Franken anzuheben (TA vom 30.9.2013).
Die Vorschläge sind ebenso einleuchtend wie alt. Sie haben nur einen Nachteil: In einem Land mit direkter Demokratie, in dem 80 Prozent der Haushalte ein Auto besitzen und 90 Prozent aller Arbeitstätigen pendeln, fanden und finden sie nie eine politische Mehrheit. Zudem gibt es sachliche Einwände: Die massive Verteuerung der Mobilität über den Benzinpreis würde den Tankstellen-Tourismus umkehren, von dem die Schweiz bisher profitiert hat. Zudem können Lohnabhängige ihre Arbeitgeber, Arbeitsorte und Arbeitszeiten nur bedingt auswählen, und sie finden obendrein, wie die Glücksforschung belegt, am Pendeln auch wenig Gefallen.
Pendlerabgabe brächte einen doppelten Gewinn
Auf der andern Seite gibt es eine Minderheit von Nutzniessern des defizitären Pendelverkehrs, die nichts daran zahlen. Das sind die Arbeitgeber und Grundeigentümer. Sie profitieren nicht nur davon, dass Bahnen, Trams und Autos ihnen täglich Hunderttausende von Arbeitskräften gratis vor die Fabriktore und Bürotüren karren. Zusätzlich steigern gute Verkehrsverbindungen auch ihre Standortgunst und mithin den Wert ihrer Grundstücke.
Als Mittel, um den weiteren Ausbau der Bahn- und Strassenkapazität verursachergerecht zu finanzieren, drängt sich eine Pendlerabgabe auf. Diese hätten die Arbeitgeber zu bezahlen. Sie sollte pro Arbeitsplatz und nach Pendeldistanz bemessen werden. Eine solche Pendlerabgabe brächte einen doppelten Gewinn: Der Staat würde damit einen Teil des privaten Mehrwerts abschöpfen, den er mit dem Bau und Ausbau der Verkehrswege den Unternehmen und Grundeigentümern beschert, und mit dem Ertrag könnte er die Kosten des Verkehrs mitfinanzieren. Andererseits böte die Pendlerabgabe einen Anreiz, das Pendeln zu vermindern, sei es durch die Förderung von Heimarbeit, sei es durch die Bevorzugung von Angestellten, die in der Nähe wohnen. Womit sich die Schweiz zumindest einen Teil des teuren Ausbaus von Strassen und Bahnen ersparen könnte.
Frankreich macht vor, wie es gehen könnte
Die Idee ist nicht aus der Luft gegriffen: Frankreich hat ein ähnliches Mittel schon 1973 eingeführt. Es heisst «Versement Transport» und wird in Unternehmen ab neun Arbeitsplätzen erhoben. Die Ansätze dieser Transportabgabe schwanken zwischen 0,2 Prozent der Lohnsumme in Randregionen und 2,6 Prozent in Ballungsgebieten. Der Steuerertrag beläuft sich auf jährlich rund fünf Milliarden Euro und dient zur Mitfinanzierung des öffentlichen Regionalverkehrs.
Die Abgabe liesse sich in der Schweiz ebenfalls umsetzen. Das stellte 2010 das Bundesamt für Verkehr (BAV) aufgrund einer Machbarkeitsstudie fest. BAV-Direktor Peter Füglistaler unterstützte damals den Vorschlag mit den Worten: «Der Bahnbenutzer, aber auch die Wirtschaft als Nutzniesserin soll an die Kosten beitragen, welche die Pendler verursachen.» Darauf verschwand der Vorschlag wieder in der Schublade. Warum? «Bundesrätin Doris Leuthard hat sich dagegen ausgesprochen», antwortete 2011 BAV-Sprecher Andreas Windlinger. Ihre knappe Begründung: «Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen würde geschwächt.»
Mag sein. Doch die heutige Subventionierung des Pendelverkehrs beschert den Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil. In dieser Situation stellt die Pendlerabgabe ein geeignetes Mittel dar, um diese Wettbewerbsverzerrung verursachergerecht zu korrigieren.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Um es gleich vorwegzunehmen (Infosperber-Autoren tendieren in ihren Antworten Argumente ad hominem zu bemühen): Ich war jahrelang Berufspendler Bern-Zürich, bin jetzt selbständig (ohne Angestellte) und pendle daher nur noch, wenn es erforderlich ist; ausserdem besitze ich seit Jahren kein Auto mehr, sondern nutze Mobility, wenn ich denn ein Auto brauche.
Zunächst einmal zur franz. versement transport: Der Autor hätte vielleicht noch erwähnen sollen, dass diese a) nur von Gemeinden mit 20’000 und mehr Einwohnern erhoben werden dürfen und b) über 20 Jahre schrittweise (von 1971 bis 1992) von den grossen bis zu den kleinen Gemeinden eingeführt wurde. Ein solcher Zeithorizont ist heute m.E. nicht mehr praktikabel für unser Land.
Aber zurück zum Problem: Wieso sollten verursachergerechte Preise nicht möglich sein? Die grösste Verzerrung stellen doch die Pendlerabzüge dar, die von den Steuern getätigt werden können. Während ÖV-Benutzer nur maximal ein GA 2. Kl. abziehen können, können Pendler im Individualverkehr die vollen Kosten abziehen. Das macht das Pendeln mit dem Auto zu attraktiv. Ich bin der Meinung, hier sollte zuerst angesetzt werden, in dem eine einzige Pauschale für alle Pendler eingeführt werden soll, die tiefer als die Kosten für ein GA sind. Flankiert werden sollte das Ganze durch Road-Pricing in den Ballungsräumen und Autobahngebühren (nach km, nicht Vignette) und selbstverständlich auch kostendeckenden Bilettpreisen im ÖV – evtl. begleitet von einer Liberalisierung des Marktes, also Konkurrenz bei Bus und Bahn während das Schienennetz staatlich bleibt.
Wer also in Zukunft unbedingt in seinem Häuschen im Grünen wohnen bleiben will, soll dafür auch die vollen Kosten tragen. Es ist doch eine Frage des Grenznutzen: Solange es sich rechnet, weite Arbeitswege auf sich zu nehmen, nimmt die Zersiedelung zu. So war es bei mir: Ende Jahr blieb bei mir deutlich mehr übrig, wenn ich nicht in die Zürcher Agglo ziehe, sondern in Bern wohnen bleibe. Und so wird es auch bei den allermeisten sein, die täglich mit dem Auto vom Grünen in die Stadt zur Arbeit fahren.
Nein, eine Pendlerabgabe bevorzugt einseitig die ÖV-Pendler, d.h. es geht doch den Befürwortern nur darum, die Kosten für die von ihnen genutzten Infrastruktur auf Dritte abzuwälzen, um selber weiterhin viel zu billig mit dem Zug reisen zu können. Aber die echten Probleme (Zersiedelung, knapper Wohnraum etc.) werden damit überhaupt nicht gelöst, im Gegenteil. Es sind nämlich primär nicht die Unternehmen für die Pendlerstöme verantwortlich, sondern wir alle, die immer noch der Vision vom Reihen-EFH mit Garten, Hund und zwei Kindern nachhängen. Nur funktioniert das heute nicht mehr – es sei denn, wir machen einen gesellschaftlichen Reboot. Aber das übersteigt leider noch lange – vielleicht zu lange – die Vorstellungskraft der Mehrheit.
Ich finde das – wahrscheinlich – die einzige machbare Version, die Kosten zu minimieren resp. richtig umzulegen. Unsere Wettbewerbsfähigkeit liegt nicht nur im Abschöpfen von Pendlern und Arbeitern, sondern auch in der Motivation jedes Einzelnen. Zufriedene Bürger stärken die Schweiz in jeder Hinsicht.
Die Argumente von HP Guggenbühl haben zwar eine einleuchtende Logik. Doch wenn man sich das in der Praxis vorstellt, gibt es zahlreiche Schwierigkeiten und sogar sogenannte Rebound-Effekte. Werden nämlich die Pendler nicht auch in die Verantwortung genommen, sind sie weniger motiviert, in die Nähe der Firma umzusiedeln oder Fahrgemeinschaften zu bilden.
Daher sehe ich die Vorschläge von Leserbriefschreiber Michael Gisinger wesentlich realistischer (keine Vignette, dafür Roadpricing, einheitliche Pendlerpauschale).
Ein einfacher und sinnvoller Kompromiss wäre vielleicht, wenn die Pendlerpauschale wirklich pauschal wäre, also unabhängig vom Verkehrsmittel, Distanz und vielleicht sogar unabhängig von der Erwerbsarbeit. Diese könnte in gleicher Höhe den Unternehmen pro Arbeitsplatz und Luftliniendistanz zum Unternehmen eingezogen werden. Und zwar unabhängig vomVerkehrsmittel, denn die Reisedistanz ist das grössere Problem wie das Verkehrmittel. Das wäre administrativ sehr einfach. Das Unternehmen leistet damit seinen Beitrag an die Infrastruktur und der Pendler würde die Motivation nicht verlieren, Fahrgemeinschaften zu bilden und Roadpricing durch nähere Anfahrstrecken zu vermeiden oder auf umweltfreundlichere weil günstigere Verkehrsmittel umzusteigen.
Argument ad hominem: Am stärksten sparen, was die Anfahrstrecken betrifft, könnten Unternehmen wie etwa Zementfabriken, wenn sie wie früher, d.h. noch vor 45 Jahren, für die Arbeiter in Fabriknähe Baracken bauen würden, in denen, dank der Kleinheit der Wohnflächen, auch relativ energiesparend gelebt werden kann. In den Baracken konnte damals z.T. sogar gratis gewohnt werden, was den damaligen sogenannten Gastarbeitern erlaubte, für ihre Verhältnisse relativ hohe Summen in ihre Heimatländer zu schicken. Das war eine Pioniergeneration, deren Chronik einmal geschrieben werden müsste. Diese Barackenarbeiter waren übrigens Meister im Grillieren und beherrschten auch die mediterrane Küche, mit vergleichsweise sparsamem Energieverbrauch.
Viele mehr oder weniger praktikable Vorschläge. Um die Ziele der gerechten Kostenverteilung und letztendlich der Reduktion der wachsenden Verkehrslawinen zu erreichen, sollten wir nicht über ENTWEDER ODER, sonder über SOWOHL ALS AUS diskutieren. Ich bin überzeugt, dass eine Kombination mehrer kleiner Massnahmen näher ans Ziel führen wird als die EINZIG RICHTIGE Strategie.
Als Ergänzung zu den bereits vorgeschlagenen Massnahmen hier eine weitere Möglichkeit:
Die Lohnsteuern sollen nicht wie bisher nur an die Wohngemeinde und den Wohnkanton entrichtet werden, sondern neu aufgeteilt werden zwischen Wohnort und Arbeitsort. Das hätte folgende Effekte:
> Für Gemeinden mit einem ausgewogenen Angebot an Wohnraum und Arbeitsplätzen ändert sich nichts
> Gemeinden und Städte die mehr Arbeitsplätze als Wohnungen anbieten werden profitieren. Damit werden unter Anderem auch die so genannten Zentrumslasten reduziert.
> Reine Wohngemeinden / Wohnkantone mit viel «hochwertigem» Wohnraum und wenigen Arbeitsplätzen werden motiviert, Unternehmen anzusiedeln, die am Ort Arbeitsplätze anbieten und damit die verlorenen Steuereinnahmen ausgleichen.
Damit entsteht zwischen den Gemeinden / Kantonen nicht nur ein Wettbewerb um «gute Steuerzahler» sondern zusätzlich um hochwertige Arbeitsplätze. Ganz nebenbei wird langfristig das Verkehrsaufkommen reduziert.
Die Industrie solle die Pendlerkosten bezahlen damit die Welt besser wird! Ich war 40 Jahre Unternehmer in der Druckindustrie und weiss, was es heisst pünktlich die Löhne, die Sozialkosten, die Lieferantenrechnungen, die Steuern und sonstigen Abgaben zu zahlen, einen cash-flow zu erarbeiten damit sich die Unternehmung erneuern kann und damit ihren Weiterbestand zu sichern. Und jetzt kommen Professoren, Intellektuelle, Weltverbesserer und Politiker der roten und grünen Sorte und reden davon, dass die Industrie die Verantwortung für die Pendlerströme trage und dafür zu bezahlen habe. Zum grossen Teil Besserwisser welche nie direkte Führungsverantwortung in der Wirtschaft getragen haben. Dazu massen sie sich an zu wissen, aber die tumben Bürger mit demokratischem Stimmrecht wollten einfach nicht begreifen, was für sie besser wäre. Und dann noch das Paradebeispiel Frankreich, dessen Wirtschaft durch Politik und Gewerkschaftsmacht immer mehr erstarrt und unfähig wird, den sich laufenden Veränderungen erfolgreich anzupassen.
Ich bin auch Unternehmer. Trotzdem kann ich mich Ulrich Hertig nicht anschliessen. Die Unternehmen haben ebensoviel Verantwortung für unsere Umfeld und Infrastruktur zu tragen, wie der Bürger. Warum das heute für ein Unternehmen schwierig ist, liegt hauptsächlich daran, dass die Konkurrenz unter Umständen anderen Gesetzen in anderen Ländern unterworfen ist, wo solche Regeln nicht gelten. Dass sollte uns aber nicht davon abhalten, darüber nachzudenken, wie es richtig wäre.
kleine Korrektur: ich habe 21 Jahre u.a. auf Gemeindeebene politisch mitgearbeitet. Ich warne einfach davor, dass man mit Schuldzuweisungen und immer neuen Forderungen die Wirtschaft belastet. Die Schweiz ist eine Preis- und Kosteninsel und im Alltag können wir nicht nur von technologischen Spitzenunternehmen leben. Bevor wir punktuell einzelne Probleme beheben sollten wir Unternehmer wieder das Vertrauen der breiten Bevölkerung zurückgewinnen. Dieses ist durch die Lohnexzesse, durch die Gewinnmaximierung verloren gegangen. Auf der anderen Seite schränken Reglementierungen und Kostensteigerungen die Handlungsfreiheit vieler Unternehmer ein. Es fehlt einfach die Zeit sich in Politik und – das ist heute vielleicht politisch nicht korrekt – Militär persönlich einzusetzen. Der Artikel von Michael Düringer in der NZZ 09.10.2013 Seite 23 zeigt gut auf wo die Kernprobleme liegen.
Mit einer Pendlerabgabe zu Lasten der Arbeitgeber bin ich absolut einverstanden! Dies würde dann auch zu einer Korrektur bei den ausländischen Arbeitspendlern/Grenzgängern führen und so automatisch einen InländerVorrang schaffen.
Alles andere sind theoretische Hirngespinste aus dem abgehobenen, elitären Elfenbeinturm, bei dem sich niemand Gedanken über die Ausgaben und Kosten machen muss, denn sonst würde es ganz anders tönen