Kommentar
SonntagsZeitung: Rendez-vous mit Herrn K.
Nadja Pastega, Ressortleiterin ‹Fokus› der „SonntagsZeitung“ durfte Herrn K. treffen, den Chefredaktor der „Weltwoche“. Zum Mittagessen. Gepflegt und doch nicht zu teuer, wie es sich auf dieser Spesenstufe gehört. Der Kassenbon des Ristorante Bindella in Zürich, Nähe Bahnhofstrasse, belegt das. Er ist abgedruckt auf Seite 21 der „SonntagsZeitung“ vom 15. April 2012.
Grundsätzlich war dieses Rendez-vous eine gute Idee. Herr K. geht gerne essen. Kürzlich ist er für ein solches Essen sogar nach Berlin gereist. Für ein Gespräch mit dem sympathischen Herrn Orban, Ministerpräsident von Ungarn. Im Berliner Restaurant „Capriccio“, „einer der besten Adressen im Westen der Stadt“, wie Herr K. selber schreibt,“ aber bei aller Qualität nicht abgehoben“ – also ganz wie das Bindella im Zentrum von Zürich. Das „Capriccio“ war übrigens früher, als Berlin geteilt war in Ost und West und noch nicht die deutsche Hauptstadt, eine öffentliche Toilette. Es ist heute ein schicker Treffpunkt nicht nur deutscher Politiker. Auch den Ministerpräsidenten von Ungarn stört die übel riechende Vergangenheit nicht mehr.
Nadja Pastega , Ressortleiterin der „SonntagsZeitung“ in Zürich, hat Herrn K. bei Bindella nicht gefragt, warum er bei Herrn Orban nicht nach der Medienfreiheit in Ungarn nachgeforscht hat. Oder nach der Besetzung von Spitzenpositionen in Kultur und Gesellschaft mit bekannt rechtsnationalen bis antisemitischen Kreaturen. Oder nach der Schikanierung und Verfolgung der Roma-Minderheit durch rechtsextreme Organisationen wie die Jobbik-Partei (Jobbik: „die Rechteren“ oder auch „die Besseren“). Obwohl es bei dem Essen von Frau Pastega mit Herrn K. angeblich um „die Roma“ ging und ihre „Raubzüge in die Schweiz“. Man erfährt darüber wenig.
Nadja Pastega, die bei Bindella dem Charme des Demagogen offenbar ganz und gar verfallen ist, hält es hingegen für mitteilenswert, dass Herr K. Linguine Venezia isst und Coca Cola trinkt, und zwar das „Original, nicht die Weicheivariante mit abgespeckten Kalorien“. Sie hat aber nicht die Frage gestellt, warum der angeblich „gut dokumentierte“ „Weltwoche“-Text (Medienexperte Peter Studer) für Verkauf und Aufmerksamkeit eine Roma-feindliche Titelseite braucht. Sie hat auch nicht erwähnt, dass die „Weltwoche“ seit Jahren regelmässig fremdenfeindliche Texte publiziert – über die Schwarzen, Moslems, Kosovaren undsoweiter, und nun eben über die Roma -, und dabei immer wieder an der Grenze zum Rassismus entlang schrammt.
Und sie hat nicht nachgefragt, warum Herr K. mit seinem finanzstarken redaktionellen Apparat nicht herausgefunden hat, was die nur ehrenamtlich bestückte Website „Infosperber“ mit einer einfachen Recherche aufdeckte: dass das „Roma-Kind mit der Pistole“ heute in einem Aufbauprojekt von Caritas Schweiz gut aufgehoben ist. Sie wollte nicht wissen, ob die „Weltwoche“ das überhaupt versucht hat. Oder ob ihr das wirkliche, lebendige Kind von Anfang an völlig gleichgültig war, weil das Foto so prächtig „symbolisierte“, was die Redaktion zeigen wollte: die Bedrohung der Schweiz durch „die Roma“.
All das fragt Nadja Pastega nicht. Herr K. darf vielmehr noch einmal, unbefragt und unwidersprochen, die Rechtfertigungsrede halten, die er immer hält: „Die ‚Weltwoche’ diskriminiert niemanden… deckt Missstände auf… die Verbindung von Kind, Kriminalität und Verwahrlosung… behält sich juristische Schritte vor.“ Eine ganze Seite „SonntagsZeitung“ widmet die Ressortleiterin Pastega dem „Kampfintellektuellen Roger Köppel“, ohne auch nur eine einzige neue Information zu Tage zu fördern.
Und überhaupt: der „Kampfintellektuelle“ -: Manche halten einen Demagogen schon deshalb für intellektuell, weil er es versteht, mit langen Reihen grosser Worten zu beeindrucken – „Familie, Nation, christliche Werte…“ -, die Schwäche seiner Argumente hinter Schutzbehauptungen zu verbergen – „wir bedauern die Frauen und Kinder selber am meisten…“ –, Kritik mit redaktionellem Stehsatz abzuwehren – „die ‚Weltwoche’ deckt auf, deckt auf, deckt auf…“ – und politische Gegner, missliebige Personen oder ganze Gruppen zu diffamieren – „Gauner, Gangster, Kriminelle…“.
Die Verehrung des wendigen Herrn K. im Hause Tamedia ist nicht neu. 2009 erklärte „das Boulevardportal tagesanzeiger.ch“ (Medienpublizist Ronnie Grob) ihn zum „grössten Intellektuellen der Schweiz“, immerhin noch vor Persönlichkeiten wie Roger de Weck, Peter von Matt oder Adolf Muschg. Und dieses Bild des grössten aller „Kampfintellektuellen“ muss offenbar immer wieder aufpoliert werden, auch wenn man dabei eine journalistische Nullnummer produziert.
Wo die Ursachen für die stete un-heimliche Bedienung des rechtsnationalen politisch-publizistischen Feldes durch Publikationen der Tamedia liegen, muss hier offen bleiben. Es mögen Marketing-Überlegungen sein, die mit dem Niedergang der Blocher-SVP vielleicht an Bedeutung verlieren, oder personelle Verflechtungen, wie sie zwischen Linth und Limmat eng und üblich sind. Oder vielleicht liegt es in diesem Falle ganz einfach daran, dass Nadja Pastega gerne wieder einmal mit Herrn K. essen gehen wollte.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Diesem Artikel stimme ich vollumfänglich zu.
Dass sich in der Schweizer Medienlandschaft fast keiner getraut Klartext zu sprechen, ist ja nicht neu und irgendwie auch ein Teil des Schweizer Erfolgsrezeptes. Die Journalisten haben ja schliesslich auch Familien zu füttern. Dass sich die Weltwoche manchmal etwas zu sehr nach Rechts bewegt ist bekannt. Da hilft auch der Quoten-Linke aus dem Wallis nicht viel. Als mündiger Leser weiss man das; und man weiss auch wieviel man aus der WW als Information herauspicken kann.
Es stellt sich aber die Frage, ob der Stammtisch-Leser den Willen oder gar die Zeit dazu hat, zwischen den Zeilen zu lesen. So gesehen kommt halt eben nur das reisserische, indifferenzierte Titelbild beim Bürger an. Das ist schade, aber eben durchaus gewollt. Ich denke, dass Herr Köppel schlauer ist als das. Aber auch er muss seiner Redaktion offenbar mal freien Lauf gewähren. Ich denke, dass sich Herr K. die Sache mit dem Titelbild heute etwas besser überlegen würde. Dass die Weltwoche einmal mehr wegen eines Titelbildes von anderen Redaktionen (auch im Ausland) zitiert wird, ist ein billiger Nebeneffekt. Dass man aber die Probleme angeht, finde ich richtig. Und wenn man den Artikel durchliest, ist vom Titelbild plötzlich nicht mehr sehr viel zu sehen.
Ach ja, dass Roger Köppel vom «Tagesanzeiger» als «grössten Intellektuellen der Schweiz» bezeichnet wird, disqualifiziert das Blatt. Ich denke, dass er weder besser, noch schlechter als Roger de Weck, Peter von Matt oder Adolf Muschg ist. Sind das wirklich unsere Besten?
Gruss aus Amerika