Guter Journalismus macht die Welt überschaubar
upg. In einem ersten Teil hatte Heribert Prantl analysiert, warum Qualitätsjournalismus und Qualitätsmedien noch systemrelevanter sind als Banken; in einem zweiten Teil, wer den Qualitätsjournalismus heute am meisten bedroht: Medienunternehmen und der Journalismus selber. Im dritten Teil zeigte Prantl auf, warum das Internet und die Social Media die Qualitätsmedien nicht gefährdet. Im vierten Teil legte Prantl dar, dass der verbreitete Larifari-Journalismus die verfassungsmässig garantierte Pressefreiheit nicht verdient und weshalb es die Pressefreiheit überhaupt braucht. Im fünften und letzten Teil schliesslich prophezeiht Prantl gutem Journalismus eine gute Zukunft.
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Grosses Bedürfnis nach Klärung und Einordung
Ich bin überzeugt davon: Guter Journalismus hat gute, er hat grosse Zeiten vor sich: Noch nie hatten Journalisten ein grösseres Publikum als nach der digitalen Revolution. Noch nie war Journalismus weltweit zugänglich. Und es gab wohl noch nie so viel Bedürfnis nach einem orientierenden, aufklärenden, einordnenden und verlässlichen Journalismus wie heute – das gilt für regionale und für nationale Zeitungen. Die Texte, die dieser Journalismus produziert, werden Nachrichten im Ursinne sein: Texte zum Sich-danach- Richten.
Die gedruckte Zeitung wird es immer geben. Aber der Journalismus wird sich nicht mehr ganz so fest wie bisher am Papier festhalten; er löst sich zum Teil davon, aber er löst sich nicht auf. Der Journalismus steht vor Veränderungen. Aber ein Journalismus, der Angst vor solchen Veränderungen hätte, wäre ein Unglück. Ein Unglück war und ist es natürlich, wenn Zeitungen sterben – wie in Deutschland die «Frankfurter Rundschau» und die «Financial Times Deutschland». Die «FR» und die «FTD» sind aber nicht wegen internetbasierter Kommunikation in die Krise geraten. Die Krise der «FR» ist viel älter. Und dass die «Financial Times Deutschland» eingestellt werden musste, liegt vor allem daran, dass deren Marktchancen von Anfang an falsch eingeschätzt wurden – nämlich überschätzt. Sie entstand, als der Finanzmarkt-Hype am grössten war. Die Verleger gingen davon aus, dass jeder Bürger ein Wirtschaftsbürger und Finanzmarktkunde und damit ein potenzieller Käufer ist. Das war eine Täuschung.
Bezahlte Inhalte für lokalen,nationalen und internationalen Qualitätsjournalismus
Der Journalismus hat – aus den Gründen, die ich vorhin geschildert habe – eine gute, ja eine glänzende Zukunft. Und die Zeitung, gedruckt und digital, als Premium-Objekt dieses Journalismus ist Teil dieser Zukunft. Ich glaube auch daran, dass die Paid-Content-Strategien – mit denen die Medienhäuser leider zu spät begonnen haben – dabei helfen, diese Zukunft zu sichern. Der Leser (ich erinnere an Moritz Müller vom Beginn meines Vortrags) schätzt Qualitätsjournalismus; und er ist bereit, dafür zu bezahlen, wenn er ihn online konsumiert. Aufgabe der Verlage ist es, die Bezahlschranken so zu installieren, dass sie so einfach wie möglich passierbar ist. Die «New York Times» und die «NZZ» lehren, dass das möglich ist.
In Deutschland haben mittlerweile 42 Lokal- und Regionaltitel erfolgreich Bezahlmodelle für ihre Online-Angebote entwickelt. Besonders in Ein-Zeitungs-Gebieten funktionieren sie hervorragend.
Fruchtbare Zusammenarbeit mit Blogs
Und wie verhält es sich mit dem Amateur-Journalismus, wie er in den Blogs Blüten treibt? Ist er Konkurrenz, ist er Anlass für professionellen Griesgram? Gewiss nicht. Dieser Amateur-Journalismus bietet doch Chancen für eine fruchtbare Zusammenarbeit. Er ist ein demokratischer Gewinn. Mich erinnern dieses Blogs, mich erinnert diese Kommunikationsrevolution an die Revolution von 1848/49, mich erinnert die Kommunikationsrevolution heute an die vor 165 Jahren. Die Revolution von 1848/49 war auch eine Kommunikationsrevolution. Die Zahl der deutschsprachigen Tageszeitungen verdoppelte sich damals fast, von 940 im Jahr 1847 auf 1700 zwei Jahre später. In Paris stieg die Auflage aller Zeitungen von 50’000 vor der Revolution auf 400’000 im Mai 1848, als man 171 Zeitungen zählte.
Eine der Haupttätigkeiten der unglaublich vielen politischen Vereine, die damals gegründet wurden, bestand darin, aus Zeitungen vorzulesen und sie gemeinsam zu bearbeiten Kurz: 1848 war ein politischer Lernprozess, der hunderttausende von Menschen einbezogen und ihnen Möglichkeiten zur politischen Partizipation gegeben hat. 165 Jahre später bietet die digitale Revolution diese Möglichkeit wieder, in nie gekannter Dimension. Anders gesagt: Blogs sind mehr Demokratie. Sie sind die Chance zu einer neuen bürgerlichen Revolution.
Soll da der professionelle Journalismus die Nase hochziehen, so wie es vor 165 Jahren die fürstlichen Herrschaften und monarchischen Potentaten getan haben?
Forscher, Entdecker, Erklärer
Ein guter Journalist ist ein Forscher, ein Entdecker, ein Erklärer – er ist ein Amundsen, er ist ein Scott. Er kann Dinge, die andere nicht können und er traut sich Dinge, die sich andere nicht trauen. Guter Journalismus kann, muss auch in der sogenannten Provinz zu Hause sein. Provinz kann so wertvoll sein – denn Provinz ist Heimat, Provinz ist Geborgenheit in vertrauten Formen und vertrauten Regeln. Provinziell muss die Welt werden, dann wird sie menschlich. Eine gute Regional- und Lokalzeitung muss dafür sorgen, dass das stimmt.
Wer Provinz gleichsetzt mit Dummsdorf, ist selbst provinzlerisch. Provinz ist ein gutes Wort. Provinz ist, wo Zusammenhänge überschaubar sind. Provinz ist der Raum, in dem die Menschen sich kennen. Provinz ist auch die Überschaubarkeit der Machtverhältnisse.
Guter Journalismus macht die Welt überschaubar
Eine gute Zeitung, ein guter Journalismus macht aus der Welt eine Provinz: weil eine gute Zeitung die Machtverhältnisse überschaubar macht. Es gibt die Pressefreiheit, weil die Presse auf die Demokratie achten soll. Diese Achtung beginnt mit Selbstachtung. Es wird daher, und in den Zeiten des Internets mehr denn je, gelten: Autorität kommt von Autor und Qualität kommt von Qual. Dieser Qualitäts-Satz steht zwar an der Wand der Hamburger Journalistenschule, aber er gilt nicht nur für Journalistenschüler. Er meint nicht, dass man Leser und User mit dümmlichem, oberflächlichem Journalismus quälen soll. Qualität kommt von Qual: Dieser Satz verlangt von Journalisten in allen Medien, auch im Internet, dass sie sich quälen, das Beste zu leisten – und er verlangt von den Verlegern und Medienmanagern, dass sie die Journalisten in die Lage versetzen, das Beste leisten zu können. Dann hat der Journalismus eine glänzende Zukunft. Dieser Glanz misst sich nicht unbedingt an einem gewaltigen Einkommen. Er besteht in dem Stolz, wenn man sagen darf: Wir backen für Sie das tägliche Brot der Demokratie.
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ENDE DER SERIE
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Zum ersten Teil: «Qualitätsmedien sind so systemrelevant wie Banken»
Zum zweiten Teil: «Medienunternehmen machen den Journalismus kaputt»
Zum dritten Teil: «Bezahlte Information hat Zukunft – gedruckt oder online»
Zum vierten Teil: «Rendite-Einheitsbrei braucht keine Pressefreiheit»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Heribert Prantl (59) ist Mitglied der Chefredaktion der «Süddeutschen Zeitung» und leitet das Ressort Innenpolitik.
Die Presse wird ihrer Rolle schon langsam nicht mehr wirklich gerecht. Es ist dringend nötig, dass Qualitätsjournalismus wieder bezahlt wird! Dazu muss er für den Leser sichtbar werden. Derzeit kann ich den Unterschied zwischen guter und schlechter (und damit billigerer) Recherche nicht erkennen, solange alles nur seriös aussieht! Dazu gibt es allerdings ein neues Projekt (Medienranking).
https://www.facebook.com/Medienranking
http://medienranking.jimdo.com/
Ja, Heribert Prantl hat in nahezu allem recht. Aber: Auch Bezahl-Schranken werden nicht genügen, ordentlichen Journalismus ordentlich zu finanzieren. Anzeigenkunden sind nicht an gutem Journalismus interessiert, sondern an Clickrates und Reichweiten, allenfalls noch an der Vorsortierung des Publikums, um Streuverluste zu verringern. Das ist völlig normal und stringent ökonomisch gedacht. Aber das ist mit «gutem» (ich nenne es lieber etwas tieferstufig: mit «ordentlichem") Journalismus nicht zu erreichen. Der muss anders finanziert werden. Aber wie? Das bleibt die offene Frage. Und darüber hätte ich vom Kollegen Prantl auch noch gern ein paar Sätze gelesen.