Politische Richtungskämpfe vor der GV der NZZ
Hier einige zusätzliche Informationen nach der Generalversammlung der NZZ:
An der NZZ Generalversammlung vom 13. April 2013 sind alle vom bisherigen Verwaltungsrat vorgeschlagenen neuen Verwaltungsräte gewählt worden, allerdings alles andere als einstimmig. Eine unabhängige Berichterstattung über diese Generalversammlung gibt es allerdings nicht, da externe Medienvertreter an der GV der NZZ keinen Zutritt haben.
(Kleine Anmerkung: Ausgerechnet die NZZ, die zum grossen Teil davon lebt, über privatwirtschaftliche Unternehmen zu berichten, verhindert eine ordentliche Berichterstattung über das eigene Unternehmen und verhindert damit die Transparenz, die sie von anderen Unternehmen fordert. cm)
In der Ausgabe vom 16. April 2013 hat die NZZ nun ein annähernd seitenlanges Interview mit dem neu gewählten Verwaltungspräsidenten Etienne Jornod publiziert (siehe hier). Die Fragen stellten Wirtschaftsredaktor Beat Gygi und Medienredaktor Rainer Stadler. Die daraus zu gewinnenden Informationen sind allerdings marginal: Erstens erklärt der neue VRP offen, dass er von Medien (bisher) nichts verstehe, und zweitens reduziert er seine Aussage auf den einfachen Satz: Jeder im Unternehmen muss künftig unternehmerisch und kundenorientiert denken. Dabei sagt er nicht, was er unter «unternehmerisch» und was er unter «kundenorientiert» versteht: Heisst das «profitorientiert per Ende des laufenden Geschäftsjahres»? Heisst das «profitorientiert per 2020»? Heisst das eventuell auch, dass nach neuen, profitableren Aktivitäten Ausschau gehalten werden soll – PR, Promotion, etc., wie etwa im Hause Ringier? Oder auch Verkauf von Nutzer-Profilen? Heisst «unternehmerisch» und «kundenorientiert» gar, dass die NZZ künftig einfach das schreiben soll, was die Kunden, zum Beispiel also auch die Inserenten, in der Zeitung lesen möchten? (Ende des Nachtrages.)
Zum ursprünglichen Artikel:
«Putschversuch bei der NZZ» titelte die «Schweiz am Sonntag» (ehemals «Der Sonntag», die Sonntagszeitung der AZ Medien Gruppe und der «Südostschweiz»), am 24. März 2013. Und im Untertitel stand: «Eine Aktionärsgruppe verlangt, den berüchtigten FDP-Paragraphen aus den Statuten zu streichen».
Der geneigte Leser, NZZ-Abonnent und Autor dieser Zeilen freute sich schon auf gute Nachrichten, denn in der Tat ist die Vinkulierung der NZZ-Aktien auf FDP-Mitglieder und freisinnig denkende, keiner anderen Partei angehörende Personen eher etwas Ungewöhnliches und Veraltetes. Bei der Lektüre der Kommentare von NZZ-Inland-Chef René Zeller etwa denkt man immer etwa wieder an diese in den Statuten festgehaltene Einschränkung des Aktionariats. Partei-Unabhängigkeit wäre einem echt lieber.
Doch die Lektüre des Putsch-Artikels in der «Schweiz am Sonntag» vor zehn Tagen stimmte nicht fröhlich. Im Gegenteil. Der Putschversuch wurde nämlich nicht von NZZ-Aktionären unternommen, die sich eine offenere NZZ wünschten, sondern von NZZ-Aktionären, die vor allem gerne mehr Dividenden von ihren NZZ-Aktien hätten – und einen politischen Kurs anstreben, der noch weiter nach rechts und näher an die SVP-Linie geht. Der im Artikel erwähnte Name Thomas Matter (man erinnere sich an die Swissfirst-Story) lässt grüssen.
Gerhard Schwarz als VR-Kandidat
Die «Puschisten» sind in der «IG Freunde der NZZ» vereint, repräsentieren nach eigenen Angaben 10 bis 15 Prozent der NZZ-Aktienkapitals und wollten tatsächlich an der Generalversammlung der NZZ an diesem Samstag neue Verwaltungsräte nach eigenem Gusto zur Wahl bringen. Vorgesehen waren der Zürcher Immobilien-Tycoon Urs Ledermann und der ehemalige NZZ-Wirtschafts-Ressortleiter und jetzige Avenir-Suisse-Direktor Gerhard Schwarz. NZZ-Verwaltungsratspräsident Franz Steinegger, der nach der Sistierung Konrad Hummlers als VRP wegen seiner Bank-Wegelin-Probleme in die entstandene Lücke gesprungen war, mochte die Anliegen der IG allerdings nicht traktandieren. Verständlicherweise. Denn wer etwa die wirtschaftspolitischen Ergüsse des Avenir-Suisse-Direktors Gerhard Schwarz liest – oft kann man das direkt in der NZZ tun –, verspürt wenig Lust, diesen Geist im Organigramm der NZZ auch noch oben an der Redaktion sitzen zu sehen. Die NZZ ist ja kein reines Wirtschaftsblatt und darf schon gar nicht zum Sprachrohr der neokonservativen Wirtschafts-Gurus mutieren, will sie nicht Tausende von Abonnenten und Zehntausende von Lesern und Leserinnen verlieren, die sie des Auslandteils, des Feuilletons, der «Forschung und Technik»-Seiten oder eines anderen Ressorts wegen täglich – und immer noch mit Freude – in die Hand nehmen.
Zwischenzeitlich hat die «IG Freunde der NZZ» auf ihrer Website auch selber informiert und den Putsch-Artikel weitestgehend bestätigt – allerdings ohne ihn im eigenen Medienspiegel zur Einsicht zur Verfügung zu stellen. Zusätzlich informiert sie ihre Sympathisanten, dass sie mit den für den VR vorgeschlagenen Namen Dominique von Matt und Isabelle Welton einverstanden sei, da mit diesen Persönlichkeiten das Marketing-Know-how im VR verstärkt werde.
Persönliche Attacken
Ob sie allerdings auch die Kandidatur des Zürcher Juristen Christoph Schmid unterstützen würde, so schreibt die IG auf ihrer Website, sei noch in Abklärung.
Warum aber die öffentliche Spitze gegen Christoph Schmid? Christoph Schmid ist ein Kenner der Medienszene seit seinem Studium. Schon seine Dissertation an der Uni Zürich hat er zu einem Medienthema geschrieben (Grossauflage). Und seit Jahren ist er – notabene als Partner der Kanzlei Wenger & Vieli – sozusagen der «Hausjurist» der NZZ, wenn sie die Unterstützung eines externen Juristen braucht. Und wer ihn persönlich kennt, kennt ihn als fairen, offenen und sympathischen Menschen.
Auch eine andere persönliche Spitze findet sich in dem Text der «IG Freunde der NZZ»: «Hier sind wir besonders enttäuscht vom Wirken bzw. Nichtwirken der neueren Verwaltungsräte, welche uns Hoffnung auf Veränderung gegeben hatten.» Der Satz bezieht sich ganz offensichtlich auf Carolina Müller-Möhl, die von der IG unterstützt worden war. Nach ihrer Kolumne auf den Schweizer Seiten der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» zu schliessen, ist Müller-Möhl allerdings kaum geeignet, sich von Drittinteressen instrumentalisieren zu lassen.
Zunehmende Medien-Konzentration
Die Schweiz hat neben der öffentlich-rechtlichen SRF noch vier starke Medien-Gruppen: Ringier, Tamedia, NZZ und AZ Medien. Ringier hat sich vom Journalismus im Dienste der Transparenz schon weitestgehend verabschiedet und mutiert zusehends zur PR- und Promotion-Gruppe. Tamedia sendet ebenfalls Signale aus, die wenig Gutes verheissen. Die Gewichtssteine in der Waagschale von Geld und Geist, deren Lage in einem Medien-Unternehmen nicht ganz unwichtig ist, scheinen sich zunehmend Richtung Geld zu verschieben. Peter Wanners AZ Medien Gruppe ist – mit allen Vor- und Nachteilen – eine politische Wundertüte. Es wäre also schön, wenn sich die NZZ-Aktionäre als oberste Instanz der NZZ-Gruppe wieder stärker bewusst würden, dass ein Medien-Unternehmen in der kleinen Schweiz nicht nur eine Geldmaschine und der Interessenvertreter der Wirtschaft und der Hochfinanz sein darf, sondern in hohem Masse auch eine staatspolitische Verantwortung trägt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Zur Abrundung der Perspektiven kann man sich unter
http://www.audiatur-online.ch/ in diversen Beiträgen und Leserreaktionan darüber informieren, dass die NZZ notorisch Israelfeindlich ist und die Propaganda der Palästinenserbehörde «multipliziert", also immer noch viel zu weit im linken Spektrum zu verorten ist. Das ist jedenfalls die vorherrschenden Meinung unter der Leserschaft von Audiatur.
Wer das international ausweiten will greife bitte zu
http://www.camera.org/ und überzeuge sich, das ähnliches wie für die NZZ auch für die New York Times etc. gilt.
Vie Spass bei der weiteren Polit-Trigonometrie.
Werner Meyer
wer von wirtschaftspolitischen «Ergüssen» von Dr. Gerhard Schwarz schreibt hat den früheren Wirtschaftsredaktor der NZZ weder gelesen noch verstanden.
Ich bedanke mich für den letzten Abschnitt, den ich voll und ganz unterschreiben kann. Die NZZ hat leider schon unter dem neuen Chefredaktor einen unguten Weg eingeschlagen. Man ist mehr um das Design der alten Tante und neue Stil-Beilagen bemüht als um Inhalte. Ausgerechnet eine Zeitung, die sich liberal schimpft, führt eine Quote für Film und Popmusik ein und fordert täglich ein halbseitiges Bild auf der Frontseite des Feuilletons. Den Afrika-Korrespondenten hat man in die Wüste geschickt, einigen das Fixum gestrichen und die Inland-Redaktion wird auf liberales Blabla getrimmt. Unanständiges wie die anonyme Dislike-Funktion wurde eingeführt. Seltsame Leserbriefe werden abgedruckt wie etwa derjenige, der den Doktortitel als Anmassung versteht, als ob Titel wie CEO, Chefredaktor oder Verwaltungsräte nicht mindestens so fraglich wären. Ich könnte noch mehr Beispiele aufzählen.
Damit komme ich zu einem wichtigen Nachsatz: Es ist überhaupt fraglich, dass Zeitungen ständig Änderungen vornehmen, ohne jemals den Leser nach seiner Meinung gefragt zu haben. Wann konnten die Abonnenten zu ihrer Zufriedenheit Stellung beziehen, z.B. mittels Fragebogen? Stattdessen können gewisse abgehobene Verwaltungsräte am Leser vorbei über die Inhalte einer Zeitung entscheiden, nur weil sie viel Geld haben. Ich bin sicher, dass eine demokratisch eruierte Ausrichtung anders aussehen würde – «demokratisch» explizit verstanden ohne Interessen von Minderheiten (Kunst, Wissenschaft) zugunsten einer Tyrannei der Mehrheit zu opfern. Was ich regelmässig in den Verlautbarungen der Verantwortlichen (CEO, Chefredaktor) vermisse, ist nämlich ein bestimmtes Stichwort: Vielfalt.