Sperberauge
Medien-Doppelmoral
Der Aufmacher der ersten Nachrichtenseite des Sonntagsblatts aus dem Aargau in der heutigen Ausgabe vom 30. August 2015 mag bei einigen Lesern Empörung auslösen. «Dafür habe ich meine Spenden nicht gegeben». So zumindest argumentiert der Artikel von Beat Schmid.
Nur: Die Strategie der Organisation Greenpeace basiert darauf, mit spektakulären Aktionen auf die von den Medien meist heruntergespielten Gefahren von Atom-Anlagen aufmerksam zu machen. Dass dabei das eine oder andere Grundstück illegal betreten wird, ist unumgänglich und also selbstverständlich. Und dass das Bussen zur Folge haben kann, ja wohl auch.
Der Artikel ist also nicht einfach nur Empörungsbewirtschaftung, er versucht, Empörung zu schaffen. Auch damit kann die Leserin, der Leser heutzutage leben. Man kennt ja mittlerweile die Auflage-Steigerungsmache der unter wirtschaftlichem Druck stehenden Printmedien.
Zu denken gibt etwas anderes
Die Aargauer Zeitung aus dem gleichen Verlagshaus titelte auf der Frontseite der Ausgabe vom 21. Mai 2015:
«Die UBS hat über 5 Milliarden Franken für Bussen bezahlt. Die Grossbank kam seit 2006 mehr als 20-mal für Verfehlungen an die Kasse.»
Und dann: «Mal waren es ‚nur’ 65’000 Euro, mal fast 1,4 Milliarden Franken. Das ist die Bandbreite der Bussen, welche die UBS seit 2006 für Verfehlungen von Mitarbeitern bezahlen musste. Insgesamt summieren sich die Zahlungen für Vergleiche mit Behörden auf mehr als 5,2 Milliarden Franken. Gestern kam aus, dass die UBS sich mit US-Behörden auf die Zahlung von 545 Millionen Dollar einigen konnte. Die Vergleiche betrafen Untersuchungen von Manipulationen von Devisenkursen und Referenzzinssätzen von UBS-Händlern.»
Da wurden also Bussen bezahlt, und zwar im grossen Stil, für absichtliche Betrügereien von Bankmanagern – nicht zur Rettung der gefährdeten Umwelt, sondern zur Erhöhung der eigenen Saläre und der eigenen Boni.
Wo war damals die Empörung?
Immerhin: In einem Kommentar von Roman Seiler wurde das Problem dieser «Bussen» angesprochen. «Alle hätten sich mit diesem System arrangiert», zitiert Seiler den emeritierten Bankenprofessor Hans Geiger: «Verwaltungsräte und Top-Manager sind zufrieden mit einem Deal. Denn dann können sie nicht persönlich zur Verantwortung gezogen werden.» Und weiter unten, wieder als Zitat von Hans Geiger: «Käme es zu Gerichtsurteilen, würden auch Banker bestraft. Das täte weh und hätte eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Täter.»
Der kleine Unterschied
Bei Greenpeace werden einzelne Aktivisten verurteilt. Greenpeace übernimmt die Bezahlung der vom Gericht ausgesprochenen Bussen. Bei den Banken werden Milliarden ausgegeben, um mit sogenannten Vergleichen – aussergerichtlichen Deals – die Anklage einzelner Manager zu verhindern. Der Greenpeace-Fall führt in den Medien zu einem Seiten-Aufmacher, der UBS-Fall zu einem diskreten Kommentar.
Journalismus heute.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Greenpeace ist halt keine Bank, ist nicht «systemrelevant». Keine Bank: Haben wir auch schon vorher gewusst, aber gut, es an diesem Beispiel der Ungleichbehandlung durch die Schweiz am Sonntag erklärt zu bekommen. Nicht systemrelevant: Da könnte man sich leicht täuschen, kommt natürlich darauf an, an was man darunter versteht. Medien wie die Schweiz am Sonntag verkaufen ihre Information und berichten darum, was die Leute hören, sehen oder lesen wollen. (Medien, die auf Spendenbasis funktionieren, ticken leicht anders. Unabhängige, staatlich finanzierte Medien könnten ziemlich anders ticken, wenn sie so unabhänigig wären, wie sie sein sollten.)
Der Atomstrom-Kanton Aargau freut sich, wenn seine Kritiker zur Kasse gebeten werden. Die Bankenschweiz aber stellt sich diskret vor ihre kriminellen Bankmanager.
Heil Dir Helvetia, hast tolle Söhne ja!
Sie dürfen gerne selber entscheiden, welche Söhne Sie gemeint haben wollen.
Ich denke auch, dass die meisten Zeitungen in der Schweiz indirekt durch ihre Inserenten «gekauft» sind, selbst wenn sie behaupten, dass Verlag und Redaktion von einander unabhängig sind. Nun ist zwar Greenpeace für eine Umweltorganisation eine relativ gute Inserentin, schaltet aber wohl um Grössenordnungen weniger Inserate als Banken. Deshalb bekommt man weder hier noch zu automobilen, Konsumenten-, IT- oder Reise-Themen von diesen Zeitungen objektive Informationen, sondern verkappte Werbung.
Ein kleiner, aber gewichtiger Unterschied besteht jedoch zwischen den meisten Bussen der Banken und jene bei Greenpeace. Während die Busse von Greenpeace die Folge einer rechtskräftigen Verurteilung ist, sind viele der Bankenbussen eine moderne Form des «Ablasshandels». Durch das Bezahlen der Bussengelder als Folge von Einigungen mit der US-Justiz können die Banken unkalkulierbare Strafprozesse und ihre Folgen vermeiden. Mitunter kann eine Busse das kleinere Übel sein, als ein langwieriger Prozess mit Freispruch.
Spektakuläre und medienwirksame Aktionen sind ein Markenzeichen von Greenpeace. Solche müssen aber nicht per se kriminell sein, dass heisst ein vorsätzliches Brechen von Rechtsnormen beinhalten. Aus diesem Grund ist der AZ-Kommentar durchaus verständlich.