Meckel – Strehle: Sesselwechsel
Die Medienszene steht wieder einmal in einer Zeit der Klärungen. Manche sind vollzogen, manche sind noch offen.
Nachträgliche Vorbemerkung: Zwei Tage nach Publikation dieses Textes erreicht uns die Medienmitteilung, dass Wolfgang Büchner, Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur, neuer Chefredaktor von «Spiegel» und «spiegel online» wird. Ebenfalls erreicht hat uns in der Zwischenzeit aus sehr zuverlässiger Quelle die Information, dass Miriam Meckel entgegen anders lautenden Gerüchten nie die Absicht hatte, die Chefredaktion des «Spiegel» zu übernehmen.
Ursprünglicher Text:
Unklar ist zum Beispiel, ob Miriam Meckel ,die renommierte Kommunikationswissenschaftlerin an der Hochschule St. Gallen und frühere Fernsehjournalistin bei deutschen Sendern, neue Chefredaktorin des «Spiegel» wird, wie gerüchtweise auch im «Spiegel» selber verlautete. Klar ist hingegen, dass Res Strehle bis auf Weiteres Chefredaktor des konvergenten «Tages-Anzeiger» bleibt. Das hat sein Verleger Pietro Supino bei der Generalversammlung der Tamedia in Zürich bestätigt: «Er hat mein volles Vertrauen…ist alleiniger Chefredaktor.. ich habe nicht vor, das zu ändern.»
Strehle nahm am gleichen Tag, unter anderen zusammen mit Miriam Meckel, an der «Brückenschlag-Tagung» in Solothurn teil. Die gut ausgestattete Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung hatte Medienwissenschafter, Medienverleger, Medienchefredaktoren und ein paar Medienschaffende eingeladen, um die Kommunikation zwischen Medien und Medienwissenschaft zu verbessern. Vorgesehen waren so spannende Themen wie: «Warum die Publizistikwissenschaft die Medien erforscht» und «Wie die Medienforschung für die Medienpraxis nützlicher» wäre.
Sesselwechsel Strehle – Meckel
Tagi-Chefredaktor Res Strehle mischte die Veranstaltung auf mit seinem Vorschlag für einen Sesselwechsel. Er hatte sich schon im Vorfeld mit einer offenbar begeisterungsfähigen Miriam Meckel darauf geeinigt: Die Universitätsprofessorin soll eine Woche lang den Sessel des Tagi-Chefredaktors einnehmen, der Chefredaktor eine Woche lang an der Hochschule St. Gallen dozieren. Die Abmachung steht, Einzelheiten sind noch zu klären. Für Miriam Meckel wäre das ein schönes «Training on the Job», falls sie beim «Spiegel» antritt, und für Andreas Strehle ein praktischer Ausblick auf eine neue Berufsperspektive, wenn seine Zeit als Tagi-Chefredaktor doch, über kurz oder lang, zu Ende gehen sollte.
Nachahmungstäter Neininger
Norbert Neininger, Verleger und Chefredaktor der «Schaffhauser Nachrichten» und des «Schaffhauser Fernsehens» (mit «Blocher TV») griff Strehles Vorschlag auf und lud, ohne zu zögern, den medienkritischen Soziologen Kurt Imhof seinerseits zum Sesselwechsel ein. Imhof gilt als «links» und ist Initiant und Herausgeber des Jahrbuchs «Qualität der Medien», welches die kritisch beurteilte Presse im ersten Jahr wohlwollend begrüsste, im zweiten Jahr in einer Verlegerreaktion pauschal zurückwies und im dritten Jahr mit Nichtachtung strafte.
«Ich hoffe», so Neininger, «dass die ‚Schaffhauser Nachrichten’ nach ihrer 120-jährigen Geschichte auch eine Woche Imhof überleben werden.» Zu den Überlebenschancen von Imhofs jungem Zürcher Institut nach einer Woche Neininger sagte er nichts.
Hochkarätig schweizerische Tagung
Die «Brückenschlag-Tagung» war eine «hochkarätige» Versammlung, wie man zu sagen pflegt, unter anderen mit dem Verlegerpräsidenten Hanspeter Lebrument, dem UBI-Präsidenten Roger Blum, dem ehemaligen Präsidenten des Presserats Peter Studer und dem Zürcher Publizistikprofessor Otfried Jarren.
Jarren hat seinen neuen Sessel als Präsident der Eidgenössischen Medienkommission jüngst bezogen. Auch die Besitzer der Sessel der Kommissionsmitglieder sind mittlerweile bekannt. Sie sind gut schweizerisch wohl ausgewogen besetzt mit rund einem Drittel Fachkompetenz und zwei Drittel Interessenvertretung. Wobei das eine das andere nicht ausschliesst. Und umgekehrt. Die neue Medienkommission wird nunmehr die schweizerische Medienlandschaft beobachten und mit ihrem Rat vielleicht den Bundesrat befähigen, Konflikte wie den Streit zwischen SRG und Verlegern um die Online-Nutzung für journalistische Inhalte und werblichen Profit innert nützlicher Frist zu klären.
Tag der Bekenntnisse
Es war ausserdem der Tag der Bekenntnisse schöner Seelen. Der Schaffhauser Verleger und Chefredaktor Norbert Neininger bekannte sich in seinem Solothurner Referat zur Notwendigkeit eines «kritischen, unabhängigen, wahrhaften Journalismus» und zum «Standpunkt des aufgeklärten Liberalismus». Norbert Neininger lässt auf dieser Basis in seinem «Schaffhauser Fernsehen» jede Woche in der Sendung «Teleblocher» ein Interview von Matthias Ackeret mit Christoph Blocher ausstrahlen.
In Zürich bekannte gleichentags und zum wiederholten Male Tamedia-Verleger Pietro Supino öffentlich, dass Andreas Strehle sich ihm gegenüber zum Konzept des Tagi als Forumszeitung bekannt habe, womit er sich, gemeinsam mit Supino, ebenfalls zum «Liberalismus nicht im parteipolitischen sondern im philosophischen Sinne» bekenne. Auch in den Organen der Tamedia findet sich in diesem liberalen Rahmen immer wieder eine mehr oder weniger begründete Gelegenheit zu einem kürzeren oder längeren Interview mit dem SVP-Philosophen Blocher.
Tag der Erkenntnis
So brachte auch dieser Tag zwischen Zürich und Solothurn seinen Erkenntnisgewinn. Wir dürfen davon ausgehen, dass wir auch künftig immer wieder Neues und Klärendes über Christoph Blochers Verhältnis zum Liberalismus im philosophischen Sinn und zur Wahrhaftigkeit finden werden.
Und wenn wir Glück haben, bringen uns die Sesselwechsel etwas mehr kritische Unabhängigkeit im Journalismus und etwas weniger Gefälligkeiten.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine