USA: Dramatischer Rückgang der Lebenserwartung
Die Kluft zwischen Reichen und Armen vergrössert sich nicht nur finanziell, sondern auch in der Zahl von Jahren, die sie auf der Erde erleben dürfen. Zwar war die Lebenserwartung der Menschen mit niedriger Bildung und niedrigem Einkommen schon immer merklich geringer als die der gut Ausgebildeten und Reichen. Doch während vieler Generationen konnten die Kinder auch der Unterschicht darauf zählen, im Durchschnitt etwas länger zu leben als ihre Eltern.
Diese Hoffnung hat sich für weisse US-Kinder (ohne Hispanos) ohne High-School-Abschluss zerschlagen: Im Jahr 2008 wurden die Frauen unter ihnen im Durchschnitt nur noch 73,5 Jahre alt, während sie im Jahr 1990 fünf Jahre länger lebten und 79 Jahre alt wurden. Die Männer unter ihnen wurden im 2008 noch 67,5 Jahre alt, während sie im Jahr 1990 mit 70,5 Jahren im Durchschnitt drei Jahre länger lebten.
Diese statistische Studie hat im August die Fachzeitschrift Health Affairs publiziert.
Jay Olshansky, Studienleiter und Professor für Public Health an der Universität von Illinois erklärte, dass der Anteil der Amerikaner ohne High-School-Abschluss oder weniger als zwölf Schuljahren erfreulicherweise abgenommen hat (von 22 auf 12 Prozent der Bevölkerung): «Doch es ist eine schlechte Nachricht für die Betroffenen dieser Gruppe, dass sie zunehmend früher sterben.»
Wie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion
Der Rückgang der Lebenserwartung um fünf Jahre innerhalb der gleichen, unterprivilegierten Bevölkerungsgruppe erinnere an den Rückgang der Lebenserwartung russischer Männer in den Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, meinte Michael Marmot, Direktor des Londoner «Institute of Health Equity» gegenüber der New York Times.
Je nach Ausbildung und Rasse bis zu 14 Jahren Unterschied
Berücksichtigt man neben der Schuldbildung auch noch die Rasse, so unterscheidet sich die Lebenserwartung noch viel stärker: Im Jahr 2008 wurden weisse Männer mit mehr als 16 Jahren Schulbildung im Durchschnitt 14,2 Jahre älter als schwarze Männer mit weniger als 12 Jahren Schuldbildung. Die entsprechenden weissen Frauen lebten 12 Jahre länger. «Diese Unterschiede in der Lebenserwartung sind im Laufe der Jahre grösser geworden», stellt Professor Olshansky fest.
Fettleibigkeit, Rauchen, Medikamentenmissbrauch
Über die Gründe für den drastischen Rückgang der Lebenserwartung könne man nur Vermutungen anstellen:
• Der Anteil krankhaft Übergewichtiger hat sich vergrössert.
• Weisse Frauen der Unterschicht rauchten 2008 etwas mehr als noch im Jahr 1990.
• Der Medikamentenverbrauch hat zugenommen.
Folgen für den Ländervergleich
Das stark gesunkene Sterbealter von Weissen mit geringer Schuldbildung drückt auf die durchschnittliche Lebenserwartung in den USA. Im internationalen Vergleich der grössten Lebenserwartung der Frauen waren die USA 1985 auf Rang 14, im Jahr 2010 nur noch auf Rang 41.
Innerhalb der Industriestaaten der OECD rangierten die USA bei der Lebenserwartung der Frauen auf dem letzten Platz. Das geht aus der Human Mortality Database hervor.
Allgemeine Schlüsse
Auch in der Schweiz gibt es grosse Unterschiede in der Lebenserwartung. Die obersten zehn Prozent in der Einkommensstatistik werden etwa zehn Jahre älter als die untersten 10 Prozent der Einkommensstatistik.
In internationalen Vergleichen der Lebenserwartung liegt die Schweiz jeweils ganz vorne. Diese Vergleiche sagen jedoch mehr aus über die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den einzelnen Länder als über den Erfolg der Gesundheitssysteme. Deshalb ist es töricht, hohe Gesundheitskosten mit hoher gestiegener Lebenserwartung zu rechtfertigen. In den USA käme dies niemandem in den Sinn. Die Schweiz hat den Vorteil, dass der Anteil der Bevölkerung ohne Mittelschulabschluss, die in Armut lebt, sehr klein ist.
Wer die Qualität des Gesundheitssystems an der Lebenserwartung messen möchte, muss mindestens die gleichen sozialen Schichten in den verschiedenen Ländern miteinander vergleichen. Alles andere bedeutet, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
• Wenn man die durchschnittliche Lebenserwartung eines entwickelten Landes erhöhen will, muss man nicht die Gesundheitsausgaben erhöhen, sondern die sozialen Verhältnisse verbessern.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Zu beachten gilt es, dass die Unterschiede in der Lebenserwartung vor allem durch Ungleichheit bestimmt sind und weniger als direkte Folge der Armut. Fettleibigkeit, Medikamentenmissbrauch (vor allem Psychopharmaka) und viele weitere «Unglücksfaktoren» sind eine Folge des Gefühls «minderwertig» zu sein in einer Gesellschaft, in der «the winner takes all". Ich rate allen Interessierten zur spannenden Lektüre von Wilkinson/Picket: «Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind". Fazit: Ursache der beängstigenden Entwicklung ist die zunehmende Ungleichheit.
Sie sagen : … Wenn man die durchschnittliche Lebenserwartung eines entwickelten Landes erhöhen will, muss man nicht die Gesundheitsausgaben erhöhen, sondern die sozialen Verhältnisse verbessern …
Ich warne aber davor einfach nur die Sozialwerke noch mehr auszubauen. Es ist ja bekannt dass der Mensch zur Bequemlichkeit neigt. Wenn er nicht «muss» tut er gerne nichts. Gut zu beobachten dies in Deutschland wo ganze Menschen Kasten sich im Hartz IV System gütlich eingerichtet haben. Und wo dessen Kinder auf die Frage : Was willst du später tun ? schon mit der prompte Antwort kommen : Ich werde auch «Hartzen» … aber so darf es doch NICHT sein ! Denn gerade die sind dann die jenige die weniger lang leben.
Besser ist knallhart zu fordern, Bildung, Bildung und nochmals Bildung, und vor allem kein Geld an junge gesunde Leute „fürs nichts tun“ ausrichten, dies ist leider „ein süsses Gift“ … für eine Gesellschaft.