Phthalate in Medikamenten: Warnung an Schwangere
Mit hormonaktiven Weichmachern wie Phthalaten ist nicht zu spassen. Infosperber hat darüber berichtet («Hodenhochstände und weniger Spermien»). Unfruchtbarkeit und Missbildungen der Fortpflanzungsorgane können die Folge sein. Besonders gross ist das Risiko, wenn Schwangere und Stillende solchen hormonaktiven Stoffen ausgesetzt sind.
Ausgerechnet in magenresistenten Kapseln von Medikamenten setzen Pharmakonzerne diese günstigen Weichmacher ein, zwar nicht mehr so häufig wie früher, aber noch immer. Wie häufig und wo, will die Aufsichtsbehörde Swissmedic nicht transparent machen.
Schon vor zehn Jahren hatten Forscher des Instituts für Umweltmedizin der Universität Erlangen Frauen im gebärfähigen Alter und Kleinkinder als «besondere Risikogruppe» bezeichnet. Diese würden zuweilen «bis zum Zehnfachen der tolerierbaren täglichen Menge aufnehmen». Die Erlanger Forscher mussten zu ihrer Überraschung feststellen, dass viele dieser Arzneimittel «besonders zur Anwendung während der Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Kindern- und Kleinkindern empfohlen» sind.
In Medikamenten weiterhin zulässig
Unterdessen sind Phthalate verboten, wenn sie mit Lebensmitteln in Kontakt kommen. Auch in Kosmetika dürfen sie nicht mehr verwendet werden. Im Gegensatz dazu gibt es bei Medikamenten keine Einschränkung. «Generell ist die Verwendung der Phthalate in Arzneimitteln in der Schweiz zulässig», erklärt das Bundesamt für Gesundheit BAG in einem Factsheet. Dazu gehört auch das vom BAG als «besonders gefährlicher Stoff» eingestufte Phthalat DBP (Dibutylphthalat). Die EU habe DBP als «fortpflanzungsgefährdend» eingestuft.
Doch die Zulassungsbehörde Swissmedic verlangt seit 2006 lediglich, dass Pharmafirmen das Phthalat DBP als Hilfsstoff deklarieren müssen, und dass in den Fachinformation von DBP-haltigen Arzneien stehen muss, dass diese für Schwangere und Stillende nicht geeignet sind.
Die vollständige Liste der in der Schweiz erhältlichen DBP-haltigen Arzneimittel gibt Swissmedic mit insgesamt sieben wie folgt an: Ursodiol RR Zentiva, Kapseln; Primofenac Retard, Filmtabletten; Primofenac, Filmtabletten; Rinoral, Retardkapseln; Vivotif, Kapseln; De-ursil RR, Kapseln; Litares, Tabletten.
DEP-Phthalate müssen Firmen nicht deklarieren
Die ebenfalls hormonaktiven DEP-Phthalate (Diethylphthalat) nehmen Schwangere und Stillende in der Schweiz ein, ohne es zu wissen. Laut dem Wiener Kinder- und Umweltfacharzt Professor Andreas Lischka stehen auch DEP-Phthalate im Verdacht, «sensible Entwicklungsprozesse beim heranreifenden Organismus irreversibel zu beeinträchtigen». Damit könnten «bereits im Mutterleib Krankheiten vorprogrammiert werden, die im späteren Erwachsenenleben auftreten.» Lischka hatte sich als langjähriger Vorstand des Wiener Kinderspitals Glanzing mit den Auswirkungen von Phthalaten auf die gesundheitliche Entwicklung von Föten und Säuglingen befasst und Glanzing zum ersten phthalatfreien Kinderspital Europas gemacht.
Dagegen erklärt Swissmedic, das Phthalat DEP habe 2005 «einen hohen Sicherheitsfaktor in den Standardstudien am Tier» ausgewiesen, weshalb keine Deklaration nötig sei. Seit einer neuen Risikoüberprüfung im Jahr 2012 müssten die Pharmafirmen bei jeder Neuzulassungen den Einsatz von Phthalaten begründen. Eine Deklarationspflicht für DEP gibt es jedoch weiterhin nicht.
Liste mit DEP-Phthalaten bleibt «geheim»
Weil der Einsatz von DEP-Phthalaten in der Fachinformation nicht deklariert werden muss, will Swissmedic die Liste der Medikamente mit DEP-Phthalaten nicht bekannt geben: «Nicht deklarationspflichtige Hilfsstoffe unterstehen dem Firmengeheimnis und dürfen unter der geltenden Gesetzgebung von Swissmedic nicht veröffentlicht werden.»
Das ist eine äusserst firmenfreundliche Auslegung des Gesetzes. Das noch geltende Heilmittelgesetz hält in Artikel 62 fest: «Die auf Grund dieses Gesetzes gesammelten Daten, an deren Geheimhaltung ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse besteht, sind von der zuständigen Behörde vertraulich zu behandeln.»
Schutzwürdiges Firmengeheimnis?
Von einem «überwiegenden schutzwürdigen Interesse» kann im konkreten Fall kaum die Rede sein:
- Ein schützenswertes Interesse ist mit dem öffentlichen Interesse abzuwägen (Schwangere und Stillende haben ein offensichtliches Interesse).
- Es handelt sich um keine Geschäftsgeheimnisse, da weder Herstellungsprozess noch Mengenangaben betroffen sind. Ob eine Kapsel DEP enthält, können Konkurrenten und alle, die es wollen, in Labors feststellen lassen.
- Die Deutschen Behörden geben alle Medikamente bekannt, welche DEP enthalten. Auch in den USA gibt es Listen mit die DEP-haltigen Arzneien.
Herzkreislauf-Arznei Flamon (Wirkstoff Verapamil): In den USA und in Deutschland ist das Phthalat DEP deklariert – für die Swissmedic ein «schützenswertes Geschäftsgeheimnis». - Bei DEP-haltigen Medikamenten, die in Deutschland/USA und der Schweiz identisch sind, ist die DEP-Angabe bereits öffentlich. Öffentlich zugängliche Angaben können keine Geschäftsgeheimnisse sein.
Auf diese Einwände ging Andreas Balsiger, Chef des Rechtsdienstes von Swissmedic, nicht konkret ein, sondern antwortete wie folgt (ungekürzt):
«Gerade die Tatsache, dass gewisse Phthalate deklarationspflichtig sind, zeigt – argumentum e contrario – dass die übrigen eben gerade nicht deklariert werden müssen. Kommt hinzu, dass die Hilfsstoffe eines Arzneimittels gemäss ständiger Praxis von Swissmedic als Geschäftsgeheimnis behandelt werden, auch wenn keine Mengenangaben damit verbunden sind. Dies wird sich jedoch mit der Revision des HMG ändern; der Bundesrat hat auf eine parlamentarische Motion hin zugesichert, dass künftig eine volle Hilfsstoffdeklaration der zugelassenen Arzneimittel publiziert werde – die entsprechende gesetzliche Grundlage ist aber noch zu schaffen (im Rahmen des Ausführungsrechts zur gegenwärtig in der parlamentarischen Beratung stehenden Revision des Heilmittelgesetzes).»
Deutschland veröffentlicht Listen mit DEP-haltigen Medikamenten – die Swissmedic weigert sich, eine solche Liste herauszugeben. Es wird dort auch auf eine US-Studie verwiesen, die einen Zusammenhang zwischen DEP und Fehlbildungen bei Knaben im Genitalbereich gefunden hat. (Liste in grossem Format hier)
In der Schweiz haben Schwangere und Stillende vorläufig das Nachsehen.
Auf die Frage, ob es für Phthalate in Medikamentenkapseln keinen Ersatz gebe, hatte Swissmedic im Jahr 2005 geantwortet, dies sei «Teil der Neubeurteilung». Heute erklärt Swissmedic zur gleichen Frage: «Die Swissmedic kann die ‹Umformulierung›, d.h. den Ersatz eines Inhaltsstoffes anordnen. Wodurch dieser Inhaltsstoff geeignet ersetzt wird, ist Sache der Zulassungsinhaberin (=Herstellerfirma).»
Im Klartext: Die Swissmedic hat seit 2005 nicht abgeklärt, ob es Ersatzstoffe gibt, deren Risiken geringer sind. Etliche Medikamente mit einem vergleichbaren therapeutischen Nutzen kommen schon lange ohne Phthalate aus, auch ohne DEP. Doch die Kapsel-Schluckenden dürfen nicht wissen, welche DEP enthalten und welche nicht.
Vor gut drei Jahren hatte die Zürcher Toxikologin Margret Schlumpf im K-Tipp das Fehlen einer allgemeinen Deklarationspflicht kritisiert: «So fehlt den Patientinnen und den Ärzten die Möglichkeit, nach Alternativpräparaten zu suchen, obwohl dies ratsam wäre.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Früher, als ich noch jung und naiv war, glaubte ich einmal daran, dass Swissmedic dazu da sei, die Konsumenten zu schützen. Mann war ich dämlich, wie kam ich nur darauf. Schliesslich zeigt sich ja seit Jahren in diversen Fällen, dass Swissmedic nur dazu da ist, die Pharmafirmen vor skeptischen Konsumenten und Journalisten zu schützen. Leider scheint bei uns in der Schweiz eine Institution zu fehlen, die Konsumenten vor den Machenschaften der Pharmabranche schützt. Und dank unserer momentanen bürgerlichen bis rechtskonservativen Regierung wird sich daran so bald nichts ändern, eher noch verschlimmern. Hier wäre doch mal eine Gelegenheit zu zeigen, wie sehr für das Volk die Volkspartei politisiert.
Swissmedic ist spitze darin, das Gesetz so zu interpretieren, dass möglichst wenig Aufwand für Swissmedic entsteht. Es werden nämlich auch nirgends allergierelevante Stoffe wie Gluten, Lactose oder Zuckeralkohole deklariert. Wenn man Glück hat, ist das gleiche Medikament in Deutschland registriert, denn die deutsche Rote Liste führt alle Inhaltsstoffe feinsäuberlich auf.