Medikamente: Millionen gesetzwidrig verpulvert
Oft stehen Ärzte vor der Wahl, eines von zwei völlig identischen Medikamenten zu verschreiben oder zu verkaufen. An den teureren können sie mehr verdienen. Ein Beispiel: Nexium und Esomep, zwei identische Mittel gegen Sodbrennen und Übelkeit, stammen beide von der Pharmafirma Astra-Zeneca – nur ist Nexium fast 30 Prozent teurer.
Es handelt sich nicht um Originalpräparate und Generika mit unterschiedlicher Galenik, sondern um vollständig identische Medikamente.
Nexium und Esomep sind kein Einzelfall. Swissmedic listet rund 400 identische Medikamentenpaare unter «Co-Marketing»-Präparaten auf. Und diese Aufzählung ist nicht abschliessend. Denn Pharmafirmen können Medikamente, die nicht nur identische Wirkstoffe, sondern auch gleiche Hilfsstoffe enthalten, bei Swissmedic ebenfalls unter «Generika» registrieren lassen. «Wir führen dazu keine Statistik», erklärt die Bewilligungsbehörde.
Politiker begehren auf
Eigentlich dürfte unter identischen Medikamenten keines zu einem teureren Preis vergütet werden. Denn das Krankenversicherungsgesetz schreibt vor, dass Leistungen nur dann kassenpflichtig sein dürfen, wenn sie «wirtschaftlich» sind. Die Verordnung präzisiert: «Die Wirtschaftlichkeit wird aufgrund des Vergleichs mit anderen Arzneimitteln (. . .) beurteilt.» Insbesondere bei identischen Medikamenten erfüllt nur das günstigere diese Bedingung. Trotzdem zwingt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Kassen, den vollen Preis auch der teureren von identischen Medikamenten zu vergüten.
Mit dieser Politik verletze das BAG das Krankenversicherungsgesetz, monieren namhafte Mitglieder der Gesundheitskommissionen des National- und Ständerats: «Von zwei identischen Präparaten kann unmöglich eines teurer sein», sagt SP-Ständerätin Anita Fetz. Gleicher Ansicht sind die grüne Nationalrätin Yvonne Gilli, SP-Nationalrätin Silvia Schenker sowie FDP-Ständerat Felix Gutzwiller. Auch für CVP-Nationalrätin Ruth Humbel ist klar: «Nur ein grösserer Nutzen für die Patienten würde einen höheren Preis rechtfertigen.» Und SVP-Gesundheitspolitiker Toni Bortoluzzi zeigt sich erstaunt: «Bei identischen Medikamenten wird wohl der Preis der gleiche sein. Alles andere wäre eher komisch.» Ruth Humbel, Silvia Schenker, Anita Fetz und Yvonne Gilli planen entsprechende Vorstösse im Parlament, wie sie Infosperber erklärten.
Die Kassen haben kein Rekursrecht
Auch bei den Krankenkassen regt sich Widerstand: «Das BAG nimmt die Kriterien der Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit nicht ernst», erklärt Peter Fischer, Chef der Krankenkasse Visana. Und Helsana-Sprecher Rob Hartmans doppelt nach: «Bei identischen Medikamenten dürfte jeweils nur das günstigste vergütet werden.» Der Entscheid darüber liege jedoch beim BAG. Die Kassen können sich nicht wehren, weil sie gegen Entscheide des BAG kein Rekursrecht haben. Letzteres ist den Pharmafirmen vorbehalten. Und diese begrüssen es, wenn das BAG auch die teureren Medikamente für kassenpflichtig erklärt.
Sparpotenzial von 74 Millionen
Völlig identische Medikamente gibt es für fast alle häufigen Anwendungen – etwa gegen zu hohe Cholesterin- und Blutdruckwerte, gegen Übelkeit oder Schmerzen (siehe Beispiele im Kasten). Müssten die Kassen immer nur den Preis der günstigeren vergüten, wie es das Gesetz vorsieht, könnten die Prämienzahler aufgrund der aktuellen Preise 74 Millionen Franken sparen. Das schätzt Josef Hunkeler, langjähriger Arzneimittelspezialist beim Preisüberwacher. Dabei sind die Einsparungen in Spitälern nicht mitgerechnet.
Ein differenzierter Selbstbehalt gilt nur teilweise
Immerhin hat das BAG kürzlich die Zahl jener teureren Medikamente erweitert, für welche die Patienten einen Selbstbehalt von 20 statt nur 10 Prozent zahlen müssen. Dieser differenzierte Selbstbehalt wird eine Wirkung haben, weil Ärzte und Apotheker die Patienten ausdrücklich auf den höheren Selbstbehalt hinweisen müssen. Doch ändert der höhere Selbstbehalt nichts daran, dass diese Medikamente im Sinne des Gesetzes «unwirtschaftlich» sind.
Zudem hat das BAG längst nicht alle teuren Kopien mit einem erhöhten Selbstbehalt belegt. Das teure Nexium zum Beispiel darf mit dem üblichen Selbstbehalt von 10 Prozent verkauft werden (weitere Beispiele unten).
BAG gibt schwarzen Peter den Ärzten weiter
Das BAG sagt, auch ein teureres von identischen Medikamenten könne wirtschaftlich sein. Man dürfe die Bestimmungen von Gesetz und Verordnung «nicht isoliert betrachten». Denn «die Wirtschaftlichkeit von Originalpräparaten wird aufgrund des Auslandpreisvergleichs und aufgrund des Vergleichs mit andern Arzneimitteln bestimmt». Das BAG gibt den Schwarzen Peter den Ärzten weiter: «Diese müssen möglichst die preisgünstigsten Präparate verschreiben, sofern die Verträglichkeit gewährleistet ist.» Betreffend Verträglichkeit gibt es bei identischen Medikamenten keinen Unterschied. Der Appell an die Ärzte wirkt wenig glaubwürdig, weil das BAG die Margen so festgesetzt hat, dass Ärzte und Apotheker an den teureren Medikamenten mehr verdienen als an den günstigen.
«Einsparungen wären hinfällig»
Das BAG hält es für kontraproduktiv, die teureren Medikamente nicht mehr zu vergüten. Sonst würden die Pharmafirmen einfach keine günstigeren Kopien mehr anbieten, sodass «den Patienten nur noch die teuren Originalpräparate zur Verfügung stehen und die Einsparungen (dank günstigeren Kopien) hinfällig» wären. Allerdings verkaufen Pharmafirmen Kopien nicht günstiger, um sich selber zu konkurenzieren. Vielmehr lassen sie diese mit unterschiedlichen Namen entweder selber oder unter Lizenz registrieren, um vor Patentablauf möglichen Konkurrenten das Lancieren von Generika zu erschweren.
Diese vom BAG geförderte Marketing-Politik von Originalherstellern führt mit dazu, dass a) Generika in der Schweiz erheblich teurer sind als im Ausland, und dass b) der Anteil der Generika in der Schweiz viel kleiner ist als im Ausland.
Jedes fünfte Medikament wird gesetzwidrig vergütet
Die BAG-Praxis, die meisten Medikamente kassenpflichtig zu erklären, begann schon unter Bundesrätin Ruth Dreifuss, verbreitete sich unter Bundesrat Pascal Couchepin und hielt auch unter Bundesrat Didier Burkhalter an. Noch 1990 gingen erst 52 Prozent des Medikamentenumsatzes zulasten der Kassen, heute sind es bereits über 80 Prozent. Nach Aussagen verschiedener Pharmakologen sind mindestens ein Fünftel aller kassenpflichtigen Medikamente entweder nicht zweckmässig oder nicht wirtschaftlich, wie es das Gesetz verlangt.
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BEISPIELE VÖLLIG IDENTISCHER ARZNEIEN (nicht zu verwechseln mit Generika)
Gegen Sodbrennen und Übelkeit:
Nexium Mups (98 Stück à 20 mg) ist 29 Prozent teurer als Esomep Mups (beide Astra-Zeneca). Mit dem Streichen von Nexium Mups (alle Dosierungen) könnten die Kassen mindestens 10 Millionen pro Jahr sparen**.
Gegen Depressionen und Angst:
Xanax Pfizer (30×0,5 mg) ist 63 Prozent teurer als Alprazolam Pfizer. Bei anderen Dosierungen ist Xanax 20 bis 40 Prozent teurer. Sparpotenzial über eine Million Franken.
Gegen Bluthochdruck:
Diovan Novartis (28×160 mg) kostet 29 Prozent mehr als Valsartan Sandoz. Bei anderen Dosierungen ist Diovan 10 bis 20 Prozent teurer. Sparpotenzial über eine Million.
Cholesterinsenker:
Pravastatin Helvepharm (100×20 mg) kostet 17 Prozent mehr als Pravastatin Sandoz. Sparpotenzial über 500 000 Franken.
Schmerzmittel:
Tramal (Grünenthal) kostet 5 Prozent mehr als Tramadol Mepha oder Tramadol Streuli. Sparpotenzial 100 000 Franken.
Bei Brust- und Prostatakrebs:
Goserelin Cimex kostet 57 Prozent mehr als Goserelin Teva und 32 Prozent mehr als Goserelin Sandoz. Sparpotenzial statistisch noch schwierig zu erfassen.
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** Hochrechnungen aufgrund der Umsätze der Krankenkasse Helsana (jeweils alle Dosierungen zusammen). Bei diesen Beispielen wird auch das teurere der beiden Medikamente mit einem normalen Selbstbehalt von 10 Prozent abgegeben. Quellen: Spezialitätenliste (SL) des BAG, Stand 6. 1. 2012/Swissmedic.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor vertritt Patienten und Konsumentinnen in der Eidgenössischen Arzneimittelkommission.
Es wird höchste Zeit, dass das BAG seinen Nahmen ändert in BAF
«BUNDESAMT FÜR FARMAABZOCKER."
Hans Meier
Dieses Desaster haben wir der ex. BR. Dreifuss zu verdanken die uns schon vor der Abstimmung über die Obligatorische Krankenkasse angelogen hat. Jetzt haben wir den Salat und die nachfolgenden BR. sind nicht viel besser.